Der Mantel der Großartigkeit

Hugh Trevor-Roper erzählt vom genialen Fälscher Edmund Backhouse

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Allzu viel wissen wir ja immer noch nicht über China. Immerhin, ein paar Sachen schon. Dass zum Beispiel die Kaiserinwitwe Cixi, die von 1835 bis 1908 lebte, eine böse, intrigante Herrscherin war, die eine Vorliebe für sexuelle Perversionen hatte und sogar die Ermordung ihres eigenen Sohnes anordnete. Das erzählt zumindest der imperiale Kammer-Eunuch Jing Shan in seinem Tagebuch. Von Edmund Backhouse wurde es in den Wirren des Boxeraufstands gerettet, übersetzt und 1910 herausgegeben: eine wunderbare Quelle über das degenerierte Leben am Hof. Da musste das System ja zusammenbrechen.

Dummerweise stimmt das alles gar nicht. Es ist wie mit den Hitler-Tagebüchern: alles erfunden. Nur nicht so plump. Denn Edmund Backhouse war ein Genie, und er war fleißig. Lange galt er als einer der bedeutendsten Sinologen seiner Zeit. Bei Hof ging er ein und aus, kannte alle wichtigen chinesischen Politiker der Jahrhundertwende und war mit einigen sogar eng befreundet. Er arbeitete als Geheimagent für die britische Regierung und schrieb das wohl wichtigste Buch über China am Anfang der Moderne: „China unter der Kaiserinwitwe“. Mit großzügigen Bücherspenden bedachte er die berühmte Bodleian Bibliothek in Oxford, über 30.000 seltene Exemplare und kostbare Manuskripte waren dabei. Außerdem war er bereits in seiner Jugendzeit befreundet mit Oscar Wilde, Paul Verlaine, Winston Churchill und Henry James. Eine schillernde Persönlichkeit.

Erst 1973 entdeckte der englische Gelehrte Hugh Trevor-Roper, dass fast alles gefälscht war. In langjähriger Recherche entlarvte er nicht nur die Gerüchte um den Sinologen, sondern zeichnet auch penibel sein changierendes Leben nach. Oft stand Backhouse am Rand des Ruins, war eigentlich ein schüchterner Mensch und schaffte es trotzdem immer wieder, sich einen Mantel der Großartigkeit umzuhängen und die Welt zu täuschen. Ausgestattet mit nur wenig mehr als seinen Chinesischkenntnissen verdingte er sich als Helfer des Journalisten und China-Korrespondenten der Times, George Morrison, dem er Informationen zukommen ließ, oft erfundene. Später machte er der britischen Regierung vor, er könne aus China Waffen schmuggeln, die die Briten dringend brauchten. Viel Geld kostete es, leider kamen die Waffen nie irgendwo an, denn Backhouse „entdeckte, erklärte und überwand eine nicht abreißende Serie von ausgesucht orientalischen Hindernissen“.

Trevor-Roper zeichnet ein faszinierendes Bild der Zeit, ihren gutgläubigen Menschen und von einem Scharlatan, der auch in seiner eigenen Rolle gefangen blieb. Denn so großartig er immer tat, aus Geldnot, aus Geltungssucht, so sehr misslang ihm schließlich alles, und er endete als „Eremit von Peking“, völlig zurückgezogen und ärmlich gekleidet. Mit viel Ironie, englischem Understatement und wenigen Redundanzen erzählt Trevor-Roper von einem Mann und seiner „Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit“.

Titelbild

Hugh Trevor-Roper: Der Eremit von Peking. Die Geschichte eines genialen Fälschers.
Übersetzt aus dem Englischen von Andrea Ott.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
389 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783821845906

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