Nichts Neues zur Mauergeschichte

Zwei Bücher zur Geschichte der Berliner Mauer konservieren altbekannte Geschichten

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Die Mauer“ ist Vergangenheit. Genauer müsste es eigentlich heißen „die deutsche Mauer“, denn anderswo ist „die Mauer“ traurige Realität. So wie in Jerusalem, wo sie für die einen als Sicherheitsgarantie vor Terroranschlägen, für die anderen als Schikane einer Besatzungsmacht durch die ostjerusalemer Stadtviertel verläuft.

Aber zurück zur deutschen Mauer: Im Jahre 2009 ist sie bereits 20 Jahre lang verschwunden. Der Jahrestag ist Anlass für einen Rückblick auf die Geschichte der Mauer, so wie ihn Edgar Wolfsrun in seiner knappen „Geschichte einer Teilung“ und Frederick Taylor in seiner umfangreichen Darstellung „Die Mauer. 13. August 1961 bis 9. November 1989“ vornehmen.

28 Jahre also existierte die Mauer und trennte auf spektakuläre Weise zunächst die Stadt Berlin in zwei Teile. Was man dabei oftmals nicht bedenkt: für die DDR war auch in Berlin „die Mauer“ zunächst einmal nichts anderes als ein Teil ihrer ‚normalen‘ Grenzanlagen. Bereits seit den 1950er-Jahren hatte die DDR sie ausgebaut und militärisch befestigt. Nur im Viermächte-Berlin war das bislang nicht geschehen. Und ausgerechnet über „die Hauptstadt der DDR“ verlor Walter Ulbrichts Staat nach wie vor seine Besten. Denn hier war der Übergang in die westlichen Stadtbezirke noch problemlos möglich. Das hatte Folgen: der stetige Flüchtlingsstrom aus dem „ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat DDR“ in die „kapitalistische BRD“ war zu einem existentiellen Problem für die DDR geworden. Wollte man irgendwann in die versprochene glorreiche Zukunft schreiten, so musste etwas geschehen, was dem Staat Stabilität verschaffen konnte. Ulbricht nahm sich der Sache an und ließ die Aktion sorgsam vorbereiten. Der Coup glückte – ironischerweise eine der wenigen tatsächlich gelungenen Aktionen der DDR-Führung. Von einem auf den anderen Tag war die Stadt geteilt.

Der Schock saß tief und die Empörung über den Schritt war groß. Erst recht, als bald schon die ersten Mauertoten zu verzeichnen waren. Es gab dramatische Szenen, wie in der Bernauer Straße, wo die Menschen verzweifelt versuchten, mit einem Sprung aus den Fenstern ihrer nun zum Osten gehörenden Wohnungen in den Westen zu gelangen, oder sich an Bettlaken hangelnd vor den aus den Fenstern nach ihnen greifenden Grenzsoldaten in Sicherheit zu bringen versuchten. Solche Bilder und die dazugehörigen Geschichten machten die Mauer zur Ikone einer leidgeprüften Stadt. Aus Westberliner Sicht bedeutete das: hier der freie Westen, dort der unmenschliche Osten. Ein Bauwerk des Schreckens, bestens geeignet, die Unmenschlichkeit des anderen Regimes zu bezeugen. Anders sah die Sache aus Sicht der DDR aus: Der „antifaschistische Schutzwall“ trug zur ersehnten Stabilität bei, auf die sich staatliche Identität entwickeln konnte. „Die Mauer“ erst machte die DDR zum anerkannten Staat.

Eine solche Feststellung lässt sich heute emotionslos treffen. In der angespannten Hektik des Kalten Krieges war das keineswegs immer möglich. Die Berliner erwarteten Reaktionen, vor allem von den USA. Drohte gar Krieg? Indes stellte der Mauerbau zu keiner Phase eine wirklich akute Kriegsgefahr dar. Weder die Sowjetunion, erst recht nicht die Amerikaner verspürten Lust, sich durch die Ereignisse in Berlin in eine heiße Konfrontation drängen zu lassen. Pflichtgemäß lieferte man standardisierte Empörung über das ‚schändliche Bauwerk‘, reagierte aber ansonsten kühl auf die Berliner Aufgeregtheiten. Denn aus Sicht der Amerikaner hatte die Mauer auch einen positiven Effekt. Sie stabilisierte die Ost-West-Konfrontation und ermöglichte so auch den neuen Politikansatz einer Entspannungspolitik zwischen den beiden Blöcken. Diese von US-Präsident John F. Kennedy zu Beginn der 1960er-Jahre noch gegen den Widerstand der bundesdeutschen Verbündeten eingeleitete Politik führte dann nur wenige Jahre später der Willy Brandt, zum Zeitpunkt des Mauerbaus Westberliner Oberbürgermeister,  als Kanzler einer sozialliberalen Koalition fort. Die neue Politik der Annäherung machte dann auch die Mauer wieder durchlässiger.

Die beiden vorliegenden Bücher zur Geschichte der Mauer liefern nichts Neues. Sie erzählen sorgsam die altbekannten Geschichten. Schaut man in die Anmerkungen, stellt man fest, dass viele Nachweise sich auf Film- und Fernsehdokumentationen beziehen, die in jüngster Zeit die Mauergeschichte aufgearbeitet haben. In diesen Dokumentationen sind die Bilder zu sehen, von denen in den beiden Büchern ‚nur‘ erzählt wird. Dabei bleibt unreflektiert, dass diese Bilder Ausdruck einer Westberliner – und deutschen – Selbstbezogenheit waren, die die Mauer zum Mittelpunkt der Welt machte. Angesichts dieses Bauwerks ließ sich das eigene Selbstverständnis als „Frontstadt“, als Insel der Freiheit inmitten der Unfreiheit pflegen. So konservieren die beiden Mauerbücher im Grunde noch einmal das wohlig-gruselige Gefühl aus Frontstadtzeiten. 20 Jahre nach dem Mauerfall hätte es durchaus ein wenig mehr sein dürfen.

Titelbild

Frederick Taylor: Die Mauer. 13. August 1961 bis 9. November 1989.
Siedler Verlag, München 2009.
576 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783886808823

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Titelbild

Edgar Wolfrum: Die Mauer. Geschichte einer Teilung.
Verlag C.H.Beck, München 2009.
192 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783406585173

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