Clown und Philosophin in einem

Judith Butler beschreibt die Macht der Geschlechternormen

Von Mario WenningRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mario Wenning

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In ihrer neuen Aufsatzsammlung geht die renommierte Theoretikerin der Genderdiskussion Judith Butler der Frage nach, wie sich queer-, inter- und transsexuelle Bewegungen in Bezug auf heterosexuell geprägte Normen verhalten sollen. Homosexualität, so suggerieren die nur wenig aufeinander abgestimmten Texte, ist die eigentliche Heterosexualität, da sie das Andere weder ein noch ausschließt, sondern als Anderes anerkennt.

Bei Butlers Beantwortung der Frage nach einem guten Leben bleiben viele Aspekte klärungsbedürftig. So etwa ihre Behauptung der Identitätsunbestimmtheit und die Frage, an wen sich Butlers Kritik der Macht eigentlich wendet: Trotz ihrer unterschiedlichen geschlechtsontologischen Ausrichtungen ist den Bewegungen, für die sich Butler seit Jahrzehnten einsetzt, gemeinsam, Identitätsvorstellungen deregulieren zu wollen. Das Selbst ist sich demnach selbst und den anderen gegenüber ein Anderes. Es befindet sich stets in „ontologischer Ek-stase“. Diese an Hegel, Heidegger und Foucault anknüpfende ontologische Bestimmung des Selbst wird als Ausgang einer normativen Theorie verwendet, nach der das Selbst stets immer auch ein Anderes sein soll. Aufgabe ist es, in diesem Anderssein Anerkennung zu finden und nicht in eine Identität gezwängt zu werden.

Dass viele Pathologien des modernen Selbst gerade aus einem Leiden an Unbestimmtheit resultieren, übersieht Butler dabei. Hegel ist für sie nur als Theoretiker der Differenz zu gebrauchen. Die Unbestimmtheit der Identität und deren bedingungslose Anerkennung scheinen ihr ein absoluter Wert zu sein, den es gender- und gesellschaftspolitisch um jeden Preis zu verteidigen gilt. Indem die Kategorie dieser Möglichkeit selbst als erstrebenswerte Norm gehandelt wird, versperrt sich der differenztheoretische Ansatz den Blick auf die normative Dialektik des Möglichen: dass es neue Freiheiten schaffen, sich aber auch in Unbestimmtheit verlieren kann. Dass etwas möglich ist, macht es noch lange nicht erstrebenswert.

Der Konstruktivismus liegt der Konzeption unendlicher Geschlechterdifferenzen zu Grunde. Was auch immer als gefundene Identität vorgestellt wird, ist laut Butler „in Wahrheit“ etwas Gemachtes. Fixe Identitäten kommen im konstruktivistischen Klima, in dem ihre Texte entstanden sind, traditionell nicht gut weg. Jedem, der trotzdem auf gegebene Identitäten beharrt, wird nachgewiesen, einen naturalistischen Fehlschluss zu begehen.

Doch an wen wendet sich die Autorin mit ihren nicht ganz neuen Argumenten? Man kann davon ausgehen, dass die Leser ihrer Bücher bereits eine Schulung in Sachen Genderdifferenz durchlaufen haben. Der heutige Butler-Leser ist bereits mit den Mitteln der Genealogie und der dekonstruktivistischen Diskursanalyse ausgerüstet. Homosexuelle finden sich jedoch gesellschaftlichen Fronten gegenüber, die durch eine solche hochgradig selbstbezogene und politisch merkwürdig wirklichkeitsferne Theoriebildung gar nicht mehr erreicht werden. Wird Butler konkret, so bleibt es bei einem Schwur auf die Differenz: „Ich glaube […] an die Kraft subversiver Resignifikation und spende Versuchen Beifall, den Phallus zu disseminieren und beispielsweise lesbische Väter oder Ähnliches zu fördern“.

Doch warum sollten wir in diesen Beifall einstimmen und uns vor der Differenzierung um ihrer selbst willen nicht zumindest ebenso fürchten wie vor der Naturalisierung von Identitäten? Warum sollte die Leserin des Buches akzeptieren, dass Differenz ein anzuerkennendes Gut darstellt? Warum sollten sie Butler zustimmen, „dass Gender-Identifikationen immer auf Kosten des Begehrens vorgenommen werden“? Und warum soll Heterosexualität der Grund für Homophobie sein? Diese naheliegenden Fragen werden bei Butler überhaupt nicht mehr thematisiert. So gewinnt man den Eindruck, dass sich hier ein als kritische Theorie getarnter Diskurs verselbstständigt hat und auf emanzipatorische Eingriffe in öffentliche Diskussionen bewusst verzichtet.

Das Buch schließt mit einer autobiografischen Reflexion über die Frage: „Kann das ‚Andere‘ der Philosophie sprechen?“ Als Kind wollte Butler entweder Clown oder Philosophin werden. Durch die Lektüre von Spinoza, Kierkegaard und Schopenhauer hat sie sich für die zweite Alternative entschieden. So sollte man es zumindest meinen, gäbe es da nicht die ständige Ausgrenzung von Seiten der institutionalisierten Philosophie, die ihr Werk – wie das der meisten Feministen – verschmähen. Doch ein Enfant Terrible ist die international gefeierte Gendertheoretikerin längst nicht mehr. Butler gefällt sich als Philosophin des Außen, aber leider ist dieses Außen schon mitten in der Akademie angekommen. So darf man ihr getrost zugestehen, dass sie das als Kind für unmöglich Gehaltene erreicht hat: sowohl Clown als auch Philosophin zu werden. Eine differenztheoretische Meisterleistung.

Titelbild

Judith Butler: Die Macht der Geschlechternormen.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Karin Wördemann.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
414 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783518585054

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