Lichter anzünden

Matthias Wilke zeigt Wege in und aus der „Krise“

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist die Zeit der Propheten. Mag die deutsche Öffentlichkeit in der „Krise“ erstaunlich gelassen erscheinen, die Politik über Banken rettenden Ad-hoc-Aktivismus und wohlfeile Managerschelte hinaus sich ratlos und untätig zeigen – im akademischen Milieu blüht der Radikalismus: Slavoj Žižek und Alain Badiou bekennen sich wie eh und je als „Kommunisten“ – nun finden sie Gehör. „Liberaler“ ist beinahe ein Schimpfwort geworden, „Reformismus“ meint zögerlichen Kleinmut. Vor allen anderen ist Žižek zum Propheten der leidenschaftlich ersehnten „Revolution“ aufgestiegen: Mit floskelhaftem Englisch, Clownerie und Anekdoten, genialischer Inspiration und ökonomischem Unverstand bringt er, gleichsam als philosophischer Dampfplauderer, die Auditorien zwischen Berkeley und Saas-Fee in Wallung: Der Kapitalismus ist tot, ein neuer „Kommunismus“ soll ihn ersetzen. Näheres wird nicht verraten, denn Žižek zielt stets aufs Große und Ganze: Um Argumente und empirische Richtigkeit im Detail braucht seinesgleichen sich nicht zu bekümmern.

Es geht aber auch anders. Matthias Wilke führt es vor: „Geiz ist dumm“, argumentiert ‚von unten‘, aus der Mitte des Wirtschaftslebens, und in unaufgeregtem, nüchternem Ton. Wilke sagt, was er weiß – nicht mehr. Was er weiß, ist der täglichen Praxis als Unternehmensberater entnommen, aber auch als Berater verschiedener Ministerien. Die ‚Weltformel‘ bietet er ausdrücklich nicht. Auch ihr Fehlen wird nicht beklagt. Nicht die gute Gesellschaft und Wirtschaft werden beschworen, vielmehr, um Theodor W. Adornos bekanntes Wort erneut zu bemühen, Wege des moralisch bewussten – und erfolgreichen – Lebens und Wirtschaftens im falschen. Sie machen dieses Stück um Stück dem richtigen Leben ähnlich und befördern – anstelle der Weltrevolution – den Kapitalismus mit menschlichem Antlitz.

Wilke führt beharrlich biedere Worte wie „Gerechtigkeit“, „Wahrheit“ und „Verantwortung“ im Munde – aber genauer betrachtet zeigt er sich weniger sentimental, militant und fantastisch als Meisterdenker von Žižeks und Badious Schlag. Sein Buch „Geiz ist dumm“ wurde vor der „Krise“ geschrieben, im Jahre 2007, vom modisch gewordenen apokalyptischen Ton fehlt jede Spur. Seine Vorhersagen über die Gefahren der Spekulation treffen allerdings zu, bis ins Detail: „97 Prozent der täglichen internationalen Geldumsätze von über 2 Billionen US-Dollar dienen nur spekulativen Zwecken. Drei Prozent dieser Summe würden ausreichen, um alle realen, grenzüberschreitenden Austauschvorgänge für Güter, Dienstleistungen und Tourismus abzuwickeln. Unser Problem bleibt die Verteilung des Geldes und zunehmend seine Mobilität.“ Wilke stellt Gegenbeispiele und erfolgreiche Geschäftsmodelle vor, etwa die GLS-Bank in Deutschland, oder die Arbeit des Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus in Bangladesh, die Banken risikoarmes, aber gleichzeitig gewinnträchtiges Wirtschaften ermöglichen – und dem Gemeinwohl dienen. Die Präferenz fürs Konkrete hindert Wilke durchaus nicht, wie nebenbei Einsichten allgemeiner Natur vorzutragen, die makroökonomische Zusammenhänge bewusst machen. Dies betrifft etwa Gesetzmäßigkeiten der Preisbildung und der Institutionensoziologie, aber auch Stadtplanung und ‚Entwicklungshilfe‘, ebenso wie ‚postheroisches‘ Managements oder „industrielle Ökologie“. Sie werden allesamt am Beispiel transparent gemacht.

Wilkes Stil ist nicht im eigentlichen Sinne elegant, doch zuverlässig klar und ohne Prätention. Er bringt es fertig, fachlich kompetent von wirtschaftlichen Problemen zu reden, dabei marktgängige Euphemismen, Anglizismen und Marketingphrasen konsequent zu vermeiden.

Solche Demut und Selbstbescheidung ist nicht mit Kleinmut zu verwechseln. Das Ziel ist ein großes – kaum geringer als bei Žižek und Badiou: „Erfolge eines […] Unternehmens werden sich vermutlich nicht in Kategorien von Sieg und Niederlage, nicht allein in Umsatz und Gewinn messen lassen, sondern nach anderen Aspekten richten. Vielleicht nach der Dauer der Existenz des Unternehmens? Oder der Fähigkeit der Wandlung und Anpassung? Vielleicht nach der Verteilung der Wertschöpfung auf Arbeitseinkommen? Oder nach dem Nutzen für das Gemeinwohl? Dieses Buch zeigt Beispiele auf, soll Mut machen und Hoffnung vermitteln, dass die Arbeitswelt einen wesentlich größeren Beitrag dazu leisten könnte, dass das Leben auf dieser Erde für alle ihrer Bewohner angenehmer und glücklicher werden kann.“ Wilkes Mittel allerdings sind durchdacht, verlässlich und „revolutionärem“ Marktgeschrei vorzuziehen, denn „es ist besser, ein Licht anzuzünden, als auf die Dunkelheit zu schimpfen.“

Titelbild

Matthias Wilke: Geiz ist dumm. Wege zu einer Ökonomie der Menschlichkeit.
Verbum Druck- und Verlagsgesellschaft, Berlin 2007.
265 Seiten, 22,80 EUR.
ISBN-13: 9783928918480

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch