Dann sterben die Karpfen

Xiaolu Guos „Ein Ufo, dachte sie“ ist ein Unterhaltungsroman mit Hintersinn

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Leben ist noch in Ordnung in dem kleinen Dörfchen Silberberg irgendwo in der allerhintersten Provinz. Alle leben friedlich miteinander, Ortsvorsteherin Chang Lee, Zhao Ning, ihr Sekretär, die unverheiratete Bäuerin Kwok Yun, der alte Karpfen-Li, der Schlachter, der Lehrer und der Fahrradhändler, der nie viel spricht. Aber dann passiert es: Am zwanzigsten Tag des siebten Monats fährt Kwok Yun auf ihrem Fahrrad der Marke „Fliegende Taube“ ins Dorf. Als sie an Wongs Reisfeldern vorbeikommt, muss sie sich ausruhen: „Und dann war da plötzlich diese eigenartige Kraft. Ich hab sie überall um mich herum gespürt, und vom Himmel hab ich ein seltsames Geräusch gehört. […]. Und dann war da plötzlich eine riesige silberne Scheibe am Himmel und flog auf den Hundert-Arme-Baum zu.“ Dann wird sie ohnmächtig.

Als sie aufwacht, findet sie einen fremden Mann mit „sonnenverbrannter Haut und Haaren so gelb wie das verdorrte Gras“. Er ist verletzt, und obwohl es verboten ist, nimmt sie ihn mit nach Hause und versorgt ihn: „Eine chinesische Bäuerin darf einen Fremden nicht sterben lassen […], das wäre sicherlich ein politischer Fehler.“ Plötzlich ist er wieder verschwunden – wie das Ufo. Dafür tauchen kurz darauf zwei Polizisten auf, die diese Ereignisse untersuchen und alle Einwohner verhören. Es kommt jedoch nichts dabei heraus, denn sonst hat niemand etwas gesehen.

Aber dann kommt ein Brief eines Amerikaners an, mit einem Scheck über 2.000 Dollar: Er will sich bedanken für die wundersame Rettung nach seinem Unfall während einer Wanderung. Das ist die Initialzündung, mit der sich alles verändert – und nicht zum Besseren. Zwar ist der Schule geholfen, und Kwok Yun wird als „Muster-Landarbeiterin“ ausgezeichnet. Das Dorf soll schließlich Anschluss an die Welt bekommen: Ein Ufo-Denkmal wird aufgestellt, eine Autobahn und ein Kanal sollen gebaut werden, ein Schwimmbad soll her, obwohl keiner im Dorf schwimmen kann: Die Zivilisation lockt.

Mit „Ein Ufo, dachte sie“ hat Xiaolu Gu einen ironischen Roman geschrieben, der von den Veränderungen durch die Zivilisation erzählt. In Verhörprotokollen der Polizisten und Aufzeichnungen eines Finanzbeamten wird der Zerfall einer Dorfgemeinschaft beschrieben. Das Leben, das früher beschaulich und gemütlich war, soll jetzt modern werden. Und so sterben die Karpfen, Karpfen-Li bringt sich um, der Fleischer muss schließen, weil er den Hygienevorschriften nicht genügt, Alter Wong und der alte Kwok werden enteignet, der Fahrradhändler verschwindet wieder, und Kwok Yun zieht mit Lehrer Lee in die Großstadt.

Hohe Literatur darf man von diesem Buch nicht erwarten, aber „Ein Ufo, dachte sie“ ist ein Unterhaltungsroman mit politischem Hintersinn. Eine bissige Satire, die uns zeigt, dass es woanders, selbst im Kommunismus, auch nicht besser ist als bei uns. Bei allem Tadel an den Zuständen bleibt der Roman aber stets amüsant, erheiternd und wird auch gegenüber den Machthabern nie allzu kritisch.

Titelbild

Xiaolu Guo: Ein Ufo, dachte sie. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Anne Rademacher.
Knaus Verlag, München 2009.
220 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783813503531

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