„Politisch oft etwas unkorrekt“

Über Peter O. Chotjewitz’ „Fast letzte Erzählungen 2“

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor zwei Jahren hat der Schriftsteller, Übersetzer und Jurist Peter O. Chotjewitz (Jahrgang 1934) im Berliner Verbrecher Verlag unter dem Titel „Fast letzte Erzählungen“ eine Sammlung von 21, meist in Zeitungen und Zeitschriften bereits erschienenen, kurzen Prosatexten vorgelegt. Darin zeigt sich der ehemalige Wahlverteidiger von Andreas Baader und Peter Paul Zahl als einer, dem ‚Schreiben zu einer Seinsweise‘ geworden ist.

Und auch in dem jetzt vorgelegten Fortsetzungsband unter dem Titel „Fast letzte Erzählungen 2“ ist ein ebenso ironischer wie sarkastischer Quersteher zur Gegenwartsliteratur zu entdecken, der mit einem drei Seiten umfassenden „Phantombild“ und dem Satz „Ein Solcher, wie ein Anderer einst gewesen zu sein schien, hätte ich werden wollen“ seine 38 kurzen Prosaminiaturen einleitet. Hieß es 2007 in der erinnernden Auseinandersetzung mit Andreas Baader noch selbstironisch: „Ich bin Rentner geworden, nicht klüger“, so weiß das bis dato unveröffentlichte „Phantombild“: „Man schrumpft dahin und macht gute Miene zum eigenen Mittelmaß“, um schließlich das Resümee zu ziehen: „Politisch oft etwas unkorrekt war ich, aber Kinder fanden mich immer sehr nett, und die Damen im Rotlichtviertel pfiffen, wenn ich vorbeistolzierte.“

Wie im ersten Band versammelt Chotjewitz auch in „Fast letzte Erzählungen 2“ Notizen, Skizzen, Essays, Reflexionen, Erinnerungen und Anekdoten. Einige wurden bereits zwischen 1985 und 2009 veröffentlicht, sechs Texte – außer dem „Phantombild“ sind dies: „I hate Krimis“, „Die Pizza“, „Bedrohte Arten“, „Helmut Mader und der Stuttgarter SKKB“ sowie „Golden war die Zeit“ – werden hier erstmals publiziert.

Wie im ersten Band seiner „Fast letzten Erzählungen“ spannt Chotjewitz wiederum einen weiten Bogen. Dabei trifft der Leser den bekannten Autor des ersten Bandes, einen meist treffsicheren Stilisten, einen lakonischen Räsonierer, der sich wiederholt an den Jungen, der er einmal war, erinnert wie auch an jenen, der er gerne gewesen wäre: etwa die Reinkarnation eines literarischen Landedelmannes. Und er trifft einen Autor, der polemisch und sarkastisch pointiert und dabei gerne auch über das Ziel hinausschießt. So im Text „Die Büroklammer“, der mit der Erinnerung an einen Aufenthalt im Kabul des Jahres 1973 einsetzt, um mit dem „Lied der Büroklammern“ zu schließen: „Vor allem die Leitidee der Anschließbarkeit, die das deutsche Denken seit alters durchzieht, findet ihren klarsten Ausdruck in der deutschen Büroklammer. Nur sie erlaubt es, Schriftstücke, und das heißt: einmal Gedachtes, rasch und ohne Aufwand auseinander zu nehmen, neu zu ordnen, in eine andere andere Systematik zu bringen, erneut zusammenzufügen und alsbald bei nächstem Wechsel der Paradigmen abermals rasch und ohne Aufwand auseinander zu nehmen, neu zu ordnen, in eine andere andere Systematik zu bringen, erneut zusammenzufügen und alsbald bei nächstem Wechsel der Paradigmen abermals rasch und ohne Aufwand auseinander zu nehmen, neu zu ordnen, in eine andere andere Systematik zu bringen, erneut zusammenzufügen und abermals: Lang lebe die deutsche Büroklammer! Ihr Prophet sei: Jan Philipp Reemtsma!“

Wie im vorhergehenden Band sind auch hier Gedanken an den Tod nicht allzu weit. So ist sich bereits zu Beginn der Autor im „Phantombild“ im Klaren darüber, dass sich die vielen „wertvollen Fertigkeiten“ spätestens dann wieder verflüchtigen werden, „wenn der große Strippenzieher mir das Lichtlein ausblasen wird“.

In „Fast letzte Erzählungen 2“ beschreibt Chotjewitz einmal mehr satirisch-sarkastisch Fragen der Politik – dabei ein gutes Stück auch selbst dem „Lied der Büroklammer“ verhaftet –, wenn er etwa in „A wie Österreich“ sich des Themas Ausländerfeinlichkeit annimmt. Sein Verhältnis zur RAF (in „Pisacane und andere Erinnerungen“) sowie zu einzelnen ihrer Mitglieder – beispielsweise zu Holger Meins in „Der Kampf kennt nur ein Ende“ – reflektiert Chotjewitz ebenso wie auch literarische Vorbilder. Kräftige Seitenhiebe erhalten außer dem erwähnten Jan Philipp Reemtsma auch Günter Grass und vor allem Martin Walser.

Alles in allem ist „Fast letzte Erzählungen 2“ eine durchaus interessante und teilweise amüsante Sammlung verschiedener Textsorten, deren Unterhaltungswert dort leider nachlässt, wo Chotjewitz sich betont witzig gibt, wie beispielsweise bereits im „Phantombild“, wenn es mit Blick auf den „großen Strippenzieher“ am Ende heißt: „Nur eins bitte ich mir aus: Keinen Trollinger, Herr Ober!, schmeckt wirklich nicht.“

An solchen Stellen verkennt Chotjewitz leider die Wirkung seiner Texte und in diesem Falle auch gewaltig das Potenzial des Trollinger im allgemeinen. Aber sei’s drum: nicht jeder Schriftsteller muss ein Hugh Johnson sein.

Titelbild

Peter O. Chotjewitz: Fast letzte Erzählungen 2.
Verbrecher Verlag, Berlin 2009.
326 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783940426260

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