Töte sie!

Silke Wagener geht den Geschlechterverhältnissen in Paaren der Avantgarde um 1900 am Beispiel der DadaistInnen Raoul Hausmann und Hannah Höch nach

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Verbindet sich eine Liebesbeziehung mit gemeinsamem künstlerischem Schaffen des Paares, so geht das meist nicht ohne größere Konflikte ab, die in der Regel zu Lasten des weiblichen Parts und dessen Werk gehen. Man denke etwa nur an Camille Claudel und Auguste Rodin. Nicht gar so übel waren die Erfahrungen, die Hannah Höch mit Raoul Hausmann machen musste, wenngleich auch er es liebte, männliches Überlegenheitsgebaren an den Tag zu legen, und es nicht an ideologisch verbrämten Versuchen mangeln ließ, sich Hannah Höch sexuell verfügbar zu machen beziehungsweise zu halten – natürlich ganz unter dem Vorzeichen weiblicher Emanzipation, so wie es vor und nach dem Ersten Weltkrieg in den Kreisen Boheme eben üblich war.

Silke Wagener legt dies in ihrer Studie „Geschlechterverhältnisse und Avantgarde“ nun am Beispiel des ,dadaistischen Paares‘ dar, ohne den Sachverhalt allerdings in dieser Schärfe zu benennen. Typischerweise ließ sich Hausmann von Höch künstlerisch inspirieren und unterstützen, wobei er zudem ihre finanziellen Zuwendungen zu schätzen wusste. Umgekehrt gestand er ihr hingegen „nur in sehr geringem Maße ein eigenes künstlerisches Wirken zu“. Damit fand sich Hausmann ganz im Einklang mit den in der dadaistischen Bewegung und der Avantgarde insgesamt nicht ganz unüblichen Geschlechterbeziehungen.

Nicht von ungefähr spielt die „Bedeutung der Psychoanalyse für den Berliner Dadaismus“ eine grundlegende Rolle in Wageners Untersuchung. Denn gerade Hausmann berief sich in seinen Publikationen ebenso wie in seinen Briefen an Höch immer wieder auf die Thesen des anarchistischen Psychoanalytikers Otto Gross und dessen „revolutionären und utopischen Lebensentwurf“ einer ‚befreiten‘ Sexualität, worunter er eine „natürlich polygame Sexualität“ und die „Eliminierung der moralischen Schranken“ verstand – und darunter wiederum (weniger deutlich ausgesprochen) die ständige sexuelle Verfügbarkeit möglichst vieler Frauen für einen jeden, vor allem aber für sich selbst. Wie die Autorin anhand zahlreicher Zitate aus Hausmanns Briefen an Höch zeigt, versuchte der Dadaist nicht nur Gross’ (von Wagener zu „theoretische[n] Erkenntnisse[n]“ aufgewertete) Ideologie zu realisieren, sondern befleißigte sich ähnlich manipulativer Strategien wie Gross es seinen Geliebten gegenüber zu tun pflegte.

Ähnlich wie bei der Lektüre von Gross’ Briefen, hat man auch bei Hausmann den Eindruck, dass es ihm bei der (sexuellen) Befreiung der Frau vor allem, wenn nicht einzig darum geht, sich die Frau(en) sexuell verfügbar zu machen. Wenngleich Hausmann wohl nicht ganz so skrupellos war wie der egomane Psychoanalytiker, der seinen Geliebten im Falle der Schwangerschaft schon mal den Suizid nahe legte und ihnen auch gleich das Gift dazu reichte.

Der ganz nebenbei gutbürgerlich verheiratete sexualrevolutionäre Bohèmien Hausmann verlangte von Höch hingegen eindringlich, ihm einen Sohn zu gebären. In seinen Briefen, die zunehmend den Charakter eines verzweifelten Gehirnwäscheprogramms annehmen, warf er ihr die „Unterdrückung des Mutterschaftstriebes“ vor und versucht ihr einzureden, ihre Ablehnung seines Sohneswunsches, beweise ihre „Internalisierung patriarchaler Unterdrückungsmuster“. Später schreckt er nicht einmal davor zurück, sie mit seinen Mordphantasien heimzusuchen: „Einmal, vor nicht langem, da warst Du so schön, in Schmerzaufgelöstheit: fuhr es durch mein Denken: töte sie! Und da wärst Du tot schön gewesen. Immer für mich dann schön geblieben […]. So schön, vor Schmerz. Kein Widerstand mehr. Nur schön.“

Wie Wagener mit Bedauern feststellt, ist der Briefwechsel des Paares „von einer starken Asymmetrie gekennzeichnet“. Denn Höchs Briefe an Hausmann sind weitgehend verloren. Aufgrund dieses Verlustes rekurriert die Autorin zur Erhellung von Höchs Vorstellungen des Geschlechterverhältnisses vor allem auf deren Werk. Darunter der kurze literarische Text „Der Maler“ und etliche ihrer Collagen und Montagen wie etwa „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzten Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“, deren Geschlechterdarstellungen sie einer oft genauen Analyse unterzieht.

Höch und Hausmann stellen Wagener zufolge in Leben und Werk „traditionelle Hierarchien in Frage“ und lassen in je unterschiedlicher Weise den Versuch erkennen, „die stillschweigende Festschreibung von Weiblichkeit und Männlichkeit aufzubrechen“. Dass es Höch dabei vor allem um weibliche Emanzipation und Hausmann um die sexuelle Verfügbarkeit der Frau ging, machen Wageners Interpretationen der Werke Höchs und die Briefe Hausmanns deutlich, doch exkulpiert die Autorin den Künstler dahingehend, dass er sie sich der „diskriminierenden Tendenzen“ gegenüber Höch „oft nicht oder kaum bewusst“ gewesen sei.

Wagener hat eine insgesamt erhellende Studie vorgelegt, an der es allerdings zu bemäkeln gibt, dass sie Hausmann Gebaren gegenüber Höch bei aller berechtigten Kritik doch noch mit zu viel Verständnis, fast Wohlwollen begegnet.

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Silke Wagener: Geschlechterverhältnisse und Avantgarde. Raoul Hausmann und Hannah Höch.
Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach 2008.
233 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783897412750

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