Möglichkeiten und Grenzen von Freundschaft

Über den Briefwechsel zwischen Uwe Johnson und Hans Magnus Enzensberger

Von Norbert KugeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Norbert Kuge

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hans Magnus Enzensberger und Uwe Johnson, zwei der großen, vom Habitus und Wesen aber sehr unterschiedliche Schriftsteller der deutschen Nachkriegsliteratur, haben über einen Zeitraum von 25 Jahren eine sehr bewegte und beinahe freundschaftliche Korrespondenz geführt. Da beide glänzende Stilisten der deutschen Sprache waren und sind und auch in ihren Briefen den literarischen und politischen Alltagsthemen nicht auswichen, darf sich der Leser auf höchst spannende und unterhaltende Lektüre freuen.

Doch der Reihe nach. Uwe Johnson, der 1959 in die BRD übergesiedelt war, katapultierte sich bekanntlich im selben Jahr mit seinem Roman „Mutmaßungen über Jakob“ quasi über Nacht in die erste Reihe der deutschsprachigen Literatur. Johnson beginnt den Briefwechsel am 23. Dezember 1959, als er Enzensberger um die Überlassung des Essays über die Sprache im „Spiegel“ und um das „Spiegel“-Heft aus dem Jahre 1957 bat, in dem ein Teilabdruck der Analyse und ein Gespräch mit Enzensberger abgedruckt waren. Interessanterweise war darin am selben Tag eine Rezension von Johnsons Roman erschienen. Schon in den ersten Briefen, die mit Betrachtungen über die Sprache beginnen und mit zusätzlichen Informationen über die Familien und deren Alltag fortgeführt werden, zeigt sich das Bemühen um Verständnis und Freundschaft. Wenn aber über Politik sowie über literarische Pläne und Texte berichtet wird, werden die völlig unterschiedlichen Charaktere und auch unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich Stil, literarischem Ethos und Politikverständnis deutlich.

Diese unterschiedlichen Auffassungen vom Schreiben, von der Literatur und der Politik machen aber gerade den Reiz und die Spannung des Briefwechsels für den Leser aus. Auf der einen Seite der stets etwas umständliche und kryptische Johnson, mit seiner doch gewöhnungsbedürftigen Grammatik und Orthografie, der aber dann doch sehr rasch zum Grundsätzlichen und Prinzipellen kommt und auf seinen Argumenten beharrt und auf der anderen Seite der weltgewandte, stets leicht und oft ironisch argumentierende Enzensberger, der den Angriffen Johnsons oft ausweicht und häufig auf ein anderes Terrain wechselt.

Dieses grundsätzlich unterschiedliche Verhalten zeigt sich am Beispiel der Rede Enzensbergers in Frankfurt 1966 zu den Notstandgesetzen. In dieser Rede sagte er unter anderem: „Dem Notstand […] ist […] zu begegnen mit Widerstand, mit Streik und mit Sabotage.“ Dies bezeichnet Johnson als „[…]Hochstapelei. Du kennst die Arbeiter nicht, die du da zum Generalstreik aufrufst, sie kennen dich nicht und sie waren nicht einmal zugegen.“

Schärfer kann man die damalige politische Haltung und den Eskapismus Enzensbergers nicht charakterisieren und kritisieren. Dieser antwortet in seiner typischen Art: „dass es im deutschen ein optatives futurum gibt, das nicht den charakter der prognose hat, sondern dazu da ist, aufforderungen und wünsche auszudrücken. einige arbeiter, vielleicht acht oder neuntausend, waren übrigens zugegen, deine einwände haben sie nicht sämtlich geteilt.“

Damit belässt er seine Replik und weicht auf Johnsons Text für das Kursbuch aus. Johnson seinerseits belässt es jedoch nicht dabei, sondern legt nach: „ein Verhalten, das sich zu fein ist, in die Nähe wirklicher politischer Kräfte zu gehen, seien die bewusst oder nicht bewusst, das ohne 1 (einen) Arbeiter zu kennen den Arbeitern Vorschriften über den Generalstreik macht und seine Äußerungen im Nachgenuss und im Freundeskreis, als ,optatives Futurum‘ abwertet“, gegen solches Verhalten habe er eine Abneigung.

Da haben wir die beiden Charakter: Johnson, der auf realistischer Einsicht und verantwortungsvollem Handeln beharrt und Enzensberger, der dieser politischen Kritik ironisch und sprachlich ausweicht. Zunächst ging es aber im Briefwechsel um rein literarische Fragen und Pläne. So insbesondere über den letztlich gescheiterten Versuch, eine deutsch-französisch-italienische Literaturzeitschrift zu gründen, deren deutscher verantwortlicher Redakteur Uwe Johnson sein sollte. Aus diesem gescheiterten Projekt entwickelte sich dann 1965 das „Kursbuch“, dessen Herausgeber Enzensberger wurde.

Um dieses Kursbuch entspann sich ein reger Briefwechsel. Sei es, dass Enzensberger wieder einmal über Auseinandersetzungen mit Siegfried Unseld klagte, in dessen Suhrkamp Verlag das „Kursbuch“ bis 1970 erschien, sei es, dass er von Johnson Texte für das „Kursbuch“ erwartetet und mit ihm über diese diskutierte. Recht schnell kam es zu einem persönlichen Verhältnis, in das auch die beiden Ehefrauen und Kinder einbezogen wurden.

Man schrieb vornehmlich in Anspielungen auf Texte und auf Personen und liebte es, sprachspielerisch mit Wörtern umzugehen und gelegentlich in reale Begebenheiten Fiktionales, etwa fiktive Reisen einzubauen, die der Leser ohne den ausführlichen und sehr gut informierenden Kommentar kaum entschlüsseln könnte.

Dies alles macht den Briefwechsel zu keinem leichten Leseerlebnis. Durch die vielen Reisen und Ortswechsel der beiden, hauptsächlich aber von Enzensberger, behandeln die Briefe oft Fragen nach Rückkehr und Möglichkeiten der persönlichen Begegnung. Dass beide durchaus auch einen anderen Briefstil beherrschen, zeigt sich in den Briefen an Dritte. Beispielsweise von Enzensberger an Siegfried Unseld, die im Kommentar abgedruckt sind und in denen Enzensberger grundsätzlich, scharf und ohne Drumherumzureden argumentiert.

Allein die Lektüre dieses Briefes ist ein sprachlicher Genuss. Beiden war es auch sehr angenehm, wenn sie über den Großschriftsteller in Berlin, hier ist natürlich Günter Grass gemeint, oder über ihren Verleger, Siegfried Unseld, spotten und lästern konnten. Dagegen kam der Dritte im Bunde der Suhrkamp-Autoren, Martin Walser, immer gut weg. Zu ihm schienen beide ein ausgesprochen gutes Verhältnis zu haben.

Johnson nahm trotz der unterschiedlichen Temperamente und Ansichten die Freundschaft ernst, wie sich nicht zuletzt in seinem Bemühen zeigte, Enzensberger beim Versuch zu unterstützen, ein Haus in Berlin zu erwerben. Er lieh ihm zu diesem Zwecke eine nicht unbeträchtliche Summe Geld, nämlich 20.000 DM. Auch indem er Dagrun Enzensberger seine beiden Berliner Wohnungen zeitweise zur Verfügung stellte, als Johnson selbst mit Familie in New York weilte. Dieser letzte Freundschaftsdienst führte zu dem plötzlichen Bruch der beiden. Enzensberger hatte auf einer seiner Russlandreisen die Bekanntschaft seiner späteren Frau gemacht und sich von seiner Frau Dagrun getrennt, ohne dies der Familie Johnson mitzuteilen. Als Johnson die Scheidung aus der Zeitung erfuhr und gleichzeitig von Grass und anderen Mietern seines Hauses darüber informiert wurde, dass in seiner Wohnung nicht nur Dagrun und Ulrich Enzensberger, sondern auch eine Kommune Platz genommen habe, wurde er wütend und grundsätzlich.

Er verlangte den sofortigen Auszug Dagruns aus seiner Wohnung. Im Zusammenhang mit dem ganzen Komplex von Beseitigung der Wohnungsschäden und Haftungsfragen sowie der geforderten Rückzahlung des gewährten Darlehens an Enzensberger kam es zum Bruch. Insbesondere war Johnson erbost, im Zusammenhang mit dem „Puddingattentat“ 1967 auf den amerikanischen Vizepräsidenten Humphrey, an dem Dagrun und Ulrich Enzensberger beteiligt waren und weswegen sie verhaftet wurden, seinen Namen in Berliner Zeitungen zu lesen.

Eine seiner beiden Wohnungen war durchsucht und versiegelt worden. Johnson muss tief enttäuscht gewesen sein – und da er Enzensberger für das Handeln seiner geschiedenen Frau und seines Bruders haftbar machen wollte, was Enzensberger natürlich ablehnte, war der Bruch endgültig. Es wird den Leser traurig stimmen, dass über diese Auseinandersetzung ein hochinteressanter und anrührender Briefwechsel enden musste, der dem Leser viel über den zeitgeschichtlichen und literarischen Hintergrund vermittelt, wozu auf jeden Fall der erwähnte hervorragende Kommentar großartig beiträgt. Lediglich gegen die Darstellung im Kommentar, er sei aus der DDR geflüchtet, hätte Johnson vehement protestiert, zog er doch das neutrale Wort „umgesiedelt“ vor. Doch das ist eine Kleinigkeit, die den Genuss dieser Korrespondenz überhaupt nicht tangiert.

Titelbild

Hans Magnus Enzensberger / Uwe Johnson: "fuer Zwecke der brutalen Verstaendigung". Der Briefwechsel.
Herausgegeben von Henning Marmulla und Claus Kröger.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
342 Seiten, 26,80 EUR.
ISBN-13: 9783518421000

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