Mit eigener Stimme vorgetragen

Die preisgekrönte Sammlung von „100 American Poets reading their Poems“ in einer Neuauflage

Von Marcus Andreas BornRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcus Andreas Born

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Theaterwissenschaftler und Bühnenregisseur Arthur Luce Klein sammelte zusammen mit seiner Frau Luce Klein seit 1956 Origininaltonaufnahmen von Dichtern, die ihre Werke selbst vorlasen oder bewegte diese dazu, ihre Texte aufnehmen zu lassen. Unter den zahlreichen Publikationen, die unter „Spoken Arts“ herausgegeben wurden, sticht die Sammlung „100 American Poets Reading their Poems“ schon durch ihren Umfang heraus. Die Veröffentlichung des „Spoken Arts Treasury“ in Deutschland wurde im Jahr 2000 von der Kritik begrüßt, 2001 wurde die über 890 Minuten lange Audio-Anthologie zum Hörbuch des Jahres gewählt und Ende 2008 neu aufgelegt.

Das Spektrum der Lesarten der Gedichte liegt so weit auseinander, wie die Autoren und Autorinnen. Die Spannweite erstreckt sich hierbei zeitlich von Edgar Lee Masters (1868-1950) bis zu Robert Kelly (geboren 1935), wobei die Unterschiede der Texte in ihrem Vortrag durch die Präsenz der Autoren mehr als deutlich werden. So folgt z.B. unmittelbar auf Gertrude Steins (1874-1946) sachlich-unpathetische Lesart Robert Frosts (1874-1963) rhythmisch-dramatischer Vortrag. Dadurch, dass es die Autoren und Autorinnen selbst sind, die ihre Gedichte interpretieren, tritt das Vorgetragene in Wechselwirkung mit den Eigenheiten der lesenden Stimmen, die den Text vereinnahmen.

In der Einführung zu „100 Modern American Poets Reading their Poems“ wendet sich Raoul Schrott der Geschichte der nordamerikanischen Lyrik und den Möglichkeiten von mündlicher und schriftlicher Weitergabe von Gedichten zu. Hierbei geht er auch darauf ein, dass die Auswahl der Texte der Anthologie, die vor über 30 Jahren zuerst in den USA erschien, „ein Zeitdokument aus der Sicht der 60er Jahre“ ist, in dem „wirklich kaum eine literarische Größe fehlt“. Der Text schließt mit einem Gedicht von Elizabeth Bishop, das folgendermaßen beginnt:

Visits to St. Elizabeth’s

This is the house of Bedlam.

This is the man
that lies in the house of Bedlam.

This is the time
of the tragic man
that lies in the house of Bedlam.

This is a wristwatch
telling the time
of the talkative man
that lies in the house of Bedlam.

[…]

Das Gedicht von 1950 ist unter dem Eindruck von Besuchen der Dichterin in der „Heilanstalt“ St. Elizabeth entstanden, in der Ezra Pound 12 Jahre seines Lebens verbachte. Er hatte sich während des Zweiten Weltkriegs in Italien wegen seiner Texte und Radiobeiträge im italienischen Radio des Landesverrats strafbar gemacht. Ihm wurde nicht nur seine Stellungnahme für den Faschismus, sondern auch seine antisemitisch gefärbte Kapitalismuskritik vorgeworfen. Nachdem er sich für wahnsinnig erklären ließ, um einem möglichen Todesurteil zu entgehen, blieb er bis 1958 in St. Elizabeth.

An diesem von Raoul Schrott kurz angerissenen Zusammenhang wird deutlich, inwiefern der Zeithorizont mit auftritt, wenn Dichter ihre eigenen Texte vortragen, was auch durch den hörbaren Stand der Aufnahmetechnik verdeutlicht wird. Beeindruckt die Sammlung durch die Autorenstimmen, mit denen die vorgelesenen Gedichte durch die Präsenz der Vorlesenden gestimmt werden, fehlen jedoch weitere Informationen zu der Entstehungszeit vieler Gedichte. Auch die Kurzbiografien der Autoren, die der Sammlung beigegeben sind, können hier nicht immer Aufschluss geben. Wenn diese Informationen und auch der Text der meisten Gedichtpassagen, die möglicherweise auch bei mehrfachem Hören unklar geblieben sind, über eine einfache Netzrecherche herausgefunden werden können, wird dies bei einer nicht unwesentlichen Information, der Frage nach dem Datum der Lesung, schwierig. Dieses hätte, ohne den Umfang des beigefügten Materials zu sprengen, noch hinzugefügt werden können, um die Lesung der Autoren in deren Leben zu verorten. Hierdurch wird jedoch der unmittelbare Eindruck gegenüber den versammelten 100 Dichterstimmen keinesfalls abgemildert.

Titelbild

The Spoken Arts Treasury. 100 Modern American Poets Reading Their Poems.
Der Hörverlag, München 2008.
893 min, 69,95 EUR.
ISBN-13: 9783867172905

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