Baedeker statt roten Karten

Isolde Ohlbaum dokumentiert die Auslandstagungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung

Von Christophe FrickerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christophe Fricker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

„Auswärts“, im Ausland, tagt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung alle zwei Jahre. Wie „spielerisch“ es dabei zugehen kann, zeigt sich in der gelösten Atmosphäre, die in vielen von Isolde Ohlbaums Dichter- und Denkerbildern herrscht. Dass hier eine (natürlich gemischtgeschlechtliche) Mannschaft unterwegs ist, macht Ohlbaum dadurch deutlich, dass sie fast nur Gruppenbilder in den Band „Auswärtsspiele“ aufnimmt, der die Reisen anlässlich der Sitzungen zwischen 1998 und 2008 dokumentiert. Sie fanden in Budapest, Krakau, Turin, Sankt Petersburg, Kopenhagen und Lemberg/Czernowitz statt. Auch die gastgebenden Mitspieler sind auf zahlreichen Fotos zu sehen. Am Lächeln sieht man es: Es handelt sich um Freundschaftsspiele. Zwar werden hier keine Stadien gefüllt, aber auf den Bildern von Lesungen ist durchaus auch Publikum zu sehen.

Ohlbaums Fotos verdanken sich dem Moment. Sie zeigen Katharina Wagenbachs aufgeschlossenes Lachen, Wulf Kirstens konzentrierten Blick, Uwe Pörksens burschikose Weltfreude. Dass das alles im Fluss ist, deuten die Sequenzen an, zu denen einige Bilder gereiht sind: Imre Kertész und George Tabori im Budapester Rathaus, erst Dritten zugewandt, dann innig nebeneinander, schließlich zum Kuss vereint, der in gleich zwei sich noch einmal steigernden Bildern eingefangen ist. Auf dem folgenden Foto sitzt Tabori dann ernüchtert neben István Eörsi.

Schön sind die Bilder, auf denen die Akademiker im Gespräch sind und einander zuhören. Zu diesen gehört das eindringliche Porträt von Efim Etkind und Ilma Rakusa (die ohnehin auf Schwarz-Weiß-Aufnahmen stets eine besonders gute Figur macht). Robert Menasse hört Joachim Sartorius zu, der aber gar nichts sagt, und Michael Krüger und Peter Hamm warten hingerissen auf ein Wort von George Tabori, der mit den Gedanken woanders zu sein scheint.

Wilhelm Genazino spielt in seinem konzisen Vorwort auf Robert Boehringers Wort vom „ewigen Augenblick“ an, schreibt aber das Adjektiv zurecht in Anführungszeichen. An die Ewigkeit denkt man beim Blättern in diesem sinnenfrohen Band nämlich nicht. Allerdings sind einige Kompositionen so kunstfertig, dass man zum Verweilen angeregt wird, vor allem die kontrastreichen Aufnahmen von Elisabeth Borchers und Friederike Mayröcker sowie von Tankred Dorst und Ursula Ehler, oder die durch beinah identische Gesten spiegelbildlich wirkende Konstellation von Reinhart Koselleck und Fritz Stern. Sprechen sie über die Krise? Wer weiß. Was wir nur sehen: wie sie zueinander stehen.

Die Akademiker werden durch die Städte geführt oder durchstreifen sie auf eigene Faust. Volker Braun hat einen Baedeker-Stadtplan mit in Kopenhagen. Nur selten werden Natur, Weichbild und Sehenswürdigkeiten (sowie auf zwei Aufnahmen ein Hund) in die Bilder einbezogen. Eindrücklich geschieht das auf dem Bild, das auch auf dem Umschlag abgebildet ist: die ganze Elf vor der Petersburger Pracht an einer Schiffsanlegestelle an der Newa. Robert Boehringers Lehrer Stefan George sagte 1933, er habe die deutsche Literatur auch ohne Akademie verwaltet. Doch Ohlbaum zeigt, dass die Verwaltungsarbeit der heutigen Akademie durchaus unbürokratisch vonstatten geht.

Titelbild

Isolde Ohlbaum: Auswärtsspiele. Autoren unterwegs. Mit einem Essay von Wilhelm Genazino.
Wallstein Verlag, Göttingen 2009.
160 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783835305656

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