Der verborgene Prophet

Ernst Jüngers politische Theologie zwischen Autorität und Repräsentation

Von Gabriele GuerraRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gabriele Guerra

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Habent sua fata libelli“, „Bücher haben ihre Schicksale“ – eine Wahrheit des vielzitierten lateinischen Mottos ist, dass die Beziehung von Rezeption und Intention eines Buches, beziehungsweise der von Leser und Autor komplex sein kann. Ein Grund dafür liegt in dem von Gérard Genette beschriebenen Paratext, in dem Beiwerk eines Buches. Im vorliegenden Fall zeigt der Titel der Publikation eine aufschlussreiche Entwicklung: Die Studie von Peter Trawny, Gastprofessor an verschiedenen Universitäten und Mitherausgeber der Martin Heidegger-Gesamtausgabe, sollte ursprünglich „Ernst Jüngers politische Theologie“ untertitelt sein (so der Verlagshinweis), sie trägt jetzt den neutraleren Untertitel „Ernst Jüngers politisches Werk“. Über die Gründe der Änderungen kann nur spekuliert werden; in jedem Fall aber bleibt festzuhalten, dass der theoretische Kern des Buches in der Frage nach der (Möglichkeit einer) politischen Theologie bei Ernst Jünger liegt, welche innerhalb eines Autor-Autorität-Komplexes am Beispiel dessen „Arbeiters“ exemplarisch aufgezeigt wird.

Die Schreibwerkstatt dieses 1932 verfassten wichtigsten politisch-philosophischen Buches von Jünger steht im Zentrum ihrer hier sorgfältig recherchierten Entstehungsgeschichte, die bis in die 1960er-Jahre reicht, als Jünger den Text anlässlich der Publikation seiner gesammelten Werke wieder zu revidieren plante. „Der als Autorität auftretende Autor kann sich von seinem Werk nicht distanzieren, ohne seine Autorität aufs Spiel zu setzen“, schreibt Trawny. Jünger blieb sich lebenslang dessen bewusst, dass er vor allem als politischer Autor wirkte, und zwar in dem Sinn, dass der Autor per se Autorität ausübt, nach dem klassischen, auch von Carl Schmitt thematisierten Spruch „auctoritas, non veritas facit legem“. Die Überlegenheit einer autorbedingten Autorität über die Wahrheit ist nun Bestandteil der ebenso schriftstellerischen wie politischen Stellung Ernst Jüngers. So kommentiert Trawny in einer Schlusspassage seines Buches: „Jünger ist nicht nur in den Jahren 1925 bis 1934, sondern überhaupt als ein politischer Autor zu betrachten. […] Was an Jüngers Schreiben politisch war und bleiben wird, lässt sich an seinem Verständnis von Autor und Autorität demonstrieren. So ist Jünger nicht bloß ein Autor im Sinne eines Produzenten von Texten, sondern ein Autor, der Autorität beansprucht. Mit diesem Begriff und seiner überaus reichen Herkunft gelangen wir unvermeidlich in den Bereich der Politischen Theologie“. In der Tat gilt das Werk Jüngers vor allem als eine theologisch-politische Positionierung im Schriftlichen. Die Rede ist von einer politischen Sakralität der Schrift, die bis in alltägliche, persönliche Gesten hinein nachvollziehbar ist. So unterstreicht Trawny in einer Fußnote, wie Jünger „geradezu inflationär dazu tendierte, jeden Kommentar mit seiner Unterschrift zu quittieren“ und damit seine Autorschaft zu stilisieren.

Die Schreibwerkstatt des „Arbeiters“ wird somit zum Sinnbild von Jüngers Denken, wie es sich in dem Freundeskreis unter der quasi sakralen Führung des ehemaligen Stoßtruppführers konkret artikulierte: als ein „Kreis der Edlen“, wie Jünger sich in einem Brief an dem Freund Friedrich Hielscher äußerte.

Trawny sieht Jüngers Werk an der politisch-theologischen Schnittstelle zwischen Autorität und Repräsentation, an demselben symbolischen Ort vieler Denker und Schriftsteller der Zwischenkriegszeit, die eine kultisch-elitäre Bestimmung des Gemeinwesens in Form einer geschlossenen Gemeinschaft, eines Kreises, eines Bundes zu verwirklichen glaubten. „Die zwanziger Jahre sind das Jahrzehnt der Bünde und Kreise“, unterstreicht Trawny. In diesem Zusammenhang nennt er den Namen Stefan Georges, desjenigen nämlich, der ein um sich versammeltes „geheimes Deutschland“ erdacht hatte. Ernst Jünger hatte zeitweise diese George’sche Pathosformel zur Verstärkung seiner politisch-metaphysischen Auffassungen benutzt und war von deren Verborgenheit und Abstrusität fasziniert. Und entsprechend betonte Jünger in einem 1929 datierten Brief an Hielscher den bündisch-verborgenen, aber auch zugleich nihilistischen Charakter seines eigenen Kreises: „Wir sind die Träger einer unsichtbaren Kirche und die Zerstörung ist die Form unserer Vorbereitung“. Dass Jünger mit diesen gemeinschaftsstiftenden Themen und Motiven jedoch eher kokettiert, zeigt sich darin, dass die allgemeine Stimmung der Zeit genau in diese Richtung ging – dass der „philosophische Extremismus“ zwischen den beiden Weltkriegen, um es mit einer bekannten Formulierung Norbert Bolz’ auszudrücken, einen Auszug aus der bürgerlichen und verwalteten Welt zu vollenden versuchte.

Aus dieser Haltung entstand der Geist der Revolte, den letztlich Jünger und George, Lukács und Bloch, Kurt Hiller und Ernst Niekisch teilten. Der politisch-philosophische Wortschatz dieser Denker umkreist Begriffe wie Bund, Kreis, Gemeinschaft, Reich und Hierarchie; allen ist dabei gemeinsam, dass sie als „Repräsentanten eines poetischen Lebensentwurfes [gelten], in dem die Dichtung und auch die Philosophie mit ideologischen Lebenskonzepten von Rechts und Links konkurrieren sollte“, wie es Trawny über George, Jünger und Heidegger sagt. Dieses Buch ist damit an die Seite zwei weiterer neuer wichtiger Bücher zu stellen, die dasselbe geistesgeschichtliche Szenario darstellen, in dem linke und rechte Haltungen schließlich in eine kulturkonservativ gefärbte Auffassung münden. Der Verfasser rückt seine Publikation damit in die Nähe des fulminanten Buches von Ulrich Raulffs über Stefan George und dessen „Nachwelt“ einerseits und die umfassende Schmitt-Biografie von Reinhard Mehring andererseits.

Das erklärt Manches über unseren heutigen Zeitgeist, aber auch über die politischen Stellungnahmen von Jünger und zeitgenössischen Denkern, die nie als partei-, sondern eher als bundes- und kreispolitisch zu verstehen sind. Das Politische von Jünger begreift Trawny daher im Grunde genommen als mystisches Phänomen, weil es letztlich eine dichterische Leistung darstellt, die auf Hierarchie und Schweigen aufbaut. Daher rührt die Selbststilisierung als Dichter-Denker (denkender Dichter und poetischer Denker zugleich), die Jünger mit George und Heidegger teilt und in diesem Buch den roten Faden bildet: „Der Autor bezeugt seinen Text mit seiner Existenz“; und weiter: „Eigentlich ist alles, was er tut und denkt, exemplarisch“. So entwickelt sich der Dichter-Denker, eine bis zur Goethe-Zeit zurückreichende literarische und politisch-theologische Figur Deutschlands, bis zur sakralen Figur des Propheten: Was er verkündet, muss aber verborgen bleiben – darin liegt seine Kraft.

Titelbild

Peter Trawny: Die Autorität des Zeugen. Ernst Jüngers politische Theologie.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2009.
205 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-13: 9783882216431

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