Ein Buch von einer dramatischen Wucht

Yasmine Ghatas Kurzroman „Die Târ meines Vaters“ handelt von der Geschichte eines seltenen Instrumentes

Von Winfried StanzickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Winfried Stanzick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

Schon ihr erster Roman „Die Nacht der Kalligraphen“ entführte seine westeuropäischen Leser in Frankreich, wo Yasmina Ghata 1975 geboren wurde und lebt, und in den deutschsprachigen Ländern in eine fremde und alte Welt, in der die Uhren anders gehen und die auf den Okzident schon immer eine besondere Anziehungskraft ausübte. Ging es damals um die auch tief religiöse Bedeutung der aussterbenden Kunst der Kalligraphie, so handelt Yasmine Ghatas neuer Kurzroman vom Spiel eines Instrumentes, das es nur im Orient gibt, der sogenannten Târ. Es ist „ein Instrument indisch-persischen Ursprungs mit metallische Klang, das zur Familie der Lauten gehört. Sein doppelbartiger Resonanzkörper ist aus Maulbeerholz, die Decke hat die Form zweier mit der Spitze aneinanderstoßender Herzen. Der lange Hals ist mit 25 Bändern aus Darm umwickelt.“

Der Roman erzählt die Geschichte von Weissbart, einem Mann, der letztlich vergeblich versucht, mit seinem Spiel auf seiner Târ jenen göttlichen Dimensionen näher zu kommen, die andere Târ-Spieler vor ihm schon erreichten. Die Geschichte von Weissbart und seiner Familie ist erzählt aus den Perspektiven seines Sohnes Nur, seines ältesten Sohnes Hossein und seiner Frau Fourough.

Weissbart ist, wie gesagt, ein Târspieler, dem etwas Entscheidendes zur Vollkommenheit fehlt. Vielleicht ist es seine Opiumsucht, die dem entgegensteht, vielleicht ist er auch wegen seiner Grenzen dem Opium verfallen. Wir wissen es nicht. Fourough, seine Frau, jedenfalls erduldet ihn sittsam, bis Weissbart eines Tages Besuch bekommt. Er hat von einem blinden Târspieler namens Mohsen gehört, dessen Ruf seines gottnahen Spiels weit über die Grenzen seines Heimatdorfes gelangt ist und ihn eingeladen.

Als Weissbart diesen begnadeten Mann hört und sieht, der in seinem Dorf als Heiliger verehrt wird, stürzt er sich frustriert in seinen nächsten Opiumrausch. Derweil nähern sich Mohsen und Fourough einander, und sie zeugen Hossein, was Weissbart und Mohsen allerdings nie erfahren werden. Mohsen wird bald nach diesem Vorfall von Weissbart erschlagen, als dieser sich voller Wut und mit von Neid zerfressener Seele in dessen Dorf aufmacht um seinen Konkurrenten zu töten. Weissbart entkommt ungestraft.

Viele Jahre später, Hossein und sein einige Jahre später geborener Bruder Nur sind schon junge Männer, stirbt Weissbart. Als Hossein versucht, der Tradition folgend, als ältester Sohn auf seines Vaters Târ zu spielen, entzieht sich ihm das Instrument. Voller Zorn verbrennt er die Saiten und macht sich später zusammen mit seinem Bruder in jenes Dorf auf, aus dem Mohsen stammt und das für seine Târ-Werkstätten bekannt ist. Sie wollen Weissbarts Târ reparieren lassen. Parvis, Mohsens Sohn hat schon jahrelang auf die beiden gewartet und nimmt die beiden Brüder gefangen. Hossein wird so lange im Dunkeln eingesperrt, bis er erblindet und die Rache Parvis’ sich erfüllt. Nur muss derweil Fronarbeit verrichten.

Doch dann geschehen seltsame und wunderhafte Dinge. Der Ausdruck von Hosseins blinden Augen erinnert die Menschen des Ortes an Mohsen, und sie drängen Parvis, ihn auf dessen jahrelang unberührt gebliebener Târ spielen zu lassen, die sich auch für Parvis ähnlich verschlossen hatte, wie Weissbarts für Hossein. Und er spielt so wunderbar, dass die Menschen in heilige Taumel geraten und das lange geschützte Geheimnis ist offenbar.

Der Roman erzählt eine faszinierende Geschichte über eine Musik, die sich anhört wie ein Märchen und von einer dramatischen Wucht ist wie jene alten Geschichten aus dem Alten Testament.

Titelbild

Yasmine Ghata: Die Târ meines Vaters. Roman.
Ammann Verlag, Zürich 2009.
128 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783250601333

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