Auf der Seufzerbrücke

Klaus Seehafers schickt einen melancholischen Casanova durch Venedig

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

Klaus Seehafer hat auf der Grundlage von Casanovas zwölfbändiger „Geschichte meines Lebens“ einen Kurzroman verfasst, der einen Tag im Leben des großen Liebhabers schildert. Es ist der 2. April 1775, an dem der gealterte Casanova durch die Straßen und Gassen seiner Heimatstadt Venedig streift und zugleich sein Leben Revue passieren lässt. Während dessen kreisen seine Gedanken um seine beiden derzeitigen Geliebten, seine Kindheit bei der Großmutter, aber vor allem die Frage nach seiner möglichen Herkunft als unehelicher Sohn des Patriziers Grimani und danach, wer ihn vor zwanzig Jahren durch Verrat in die Bleikammern brachte.

Die Offenlegung dieser beiden letzten ihn unaufhörlich umtreibenden Ungewissheiten ist jedoch nur der scheinbare Höhepunkt der Erzählung. In Wirklichkeit geht es um einen Rückblick auf Casanovas Leben an diesem Tag, seinem 50. Geburtstag, der für ihn ein Wende- und Ausgangspunkt für eine Neudefinition seiner selbst werden wird.

Erinnerungssequenzen in seinem Bewusstsein werden hauptsächlich durch die Begegnung mit Orten früherer Lebensstationen ausgelöst, wie beispielsweise der Seufzerbrücke am Dogenpalast. Die Wege, die Casanova dorthin führen, kann der Leser mit Hilfe eines dem Buch beigegebenen Stadtplans der Lagunenstadt und einer Übersicht über Casanovas wichtigste Lebensstationen nachvollziehen.

Der äußere Verfall der Lagunenstadt spiegelt sich im melancholischen Bewusstsein Casanovas wieder, seine besten Tage bereits hinter sich zu haben. Eine ähnlich unauflösbare Verbindung zwischen der morbiden Anziehungskraft der Lagunenstadt und der Befindlichkeit des Helden schilderte bereits Thomas Mann im „Tod in Venedig“. Fellinis Film „Casanova“ zeigt ihn dagegen am Ende seines Lebens, über das er Bilanz zieht und teilte auf diese Weise etwas von der Sicht des Regisseurs auf sich selbst mit. Ähnliches mag auch der Autor dieses Romans im Sinn gehabt haben.

Die Person Casanovas wird dem Leser durch einen auktorialen Erzähler und mittels weniger eingeschobener monologischer oder dialogischer Szenen nahe gebracht, in denen das Altern des Helden eher angedeutet als ausführlich beschrieben wird. Die Erkundung von Casanovas Innenwelt bildet den Kern der Erzählung und macht zugleich ihren Reiz aus. In dieser sensiblen literarischen Anverwandlung seines Helden ist der Autor auch Sigrid Damm verwandt, deren sorgfältig recherchierte historische Romane dem Leser ebenfalls die Psyche ihrer Protagonisten nahe bringen. Der Erzählton des Romans ist dementsprechend nachdenklich und von der leisen Trauer seines Helden über die zunehmend schwindenden Kräfte des Lebens geprägt, die auch die literarische Vorlage zum Ausdruck bringt. Der wehmütige Zauber seiner Sprache zieht den Leser unauflöslich in den Bann des Romans. Klaus Seehafer ist eine sehr lesenswerte poetische Betrachtung über das Auf und Ab des Lebens und die Liebe gelungen.

Titelbild

Klaus Seehafer: Casanovas späte Liebe. Roman.
Bookspot Verlag, München 2009.
201 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783937357362

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