Todsünden

Miriam Strube untersucht die Darstellung von Frauen als Subjekte des sexuellen Begehrens in ausgewählten literarischen, musikalischen und visuellen Werken

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Literatur, Musik und visuelle Kultur, ein derart weites Feld wissenschaftlich zu bearbeiten und fruchtbar zu machen, ist ein Unternehmen, das ein einzelnes Buch wohl kaum zu bewältigen vermag. Die Amerikanistin Miriam Strube hat sich allerdings genau das vorgenommen. So scheint es zumindest auf den ersten Blick. Doch es ist zunächst einmal nur ein bestimmter Aspekt, den in sie in den drei genannten kreativen Bereichen untersuchen möchte: Die Darstellung der „sexuelle[n] Selbstbestimmung der Frau“. Und auch dieser geht sie nur in einigen wenigen mit Bedacht ausgewählten Werken des zwanzigsten Jahrhunderts nach (eines der Werke, Kate Chopins „The Awakening“ ist allerdings bereits 1899 erschienen). Die Auswahl der Untersuchungskorpus erfolgte anhand von vier Kriterien. Die ersten beiden besagen, dass die herangezogenen „Artefakte“ von Frauen geschaffen wurden und in ihrem Zentrum die Erkundung des sexuellen Begehrens von Angehörigen des eigenen Geschlechts steht. Das dritte Kriterium ist ein doppeltes. Denn es sollten „historisch relevante Fälle“ herangezogen werden, die von Künstlerinnen geschaffen wurden, die bislang „zu Unrecht auf wenig akademisches Interesse gestoßen sind“. Das vierte Kriterium ist eher ein persönliches als ein wissenschaftliches, denn Strube wählte bewusst Werke aus, die ihren „persönliche[n] […] ästhetische[n] Vorlieben“ entsprachen. Dass derlei von AutorInnen eingeräumt wird, kommt schon mal vor. Dass persönliche Präferenzen allerdings als gleichrangiges Auswahlkriterium neben die wissenschaftlichen gestellt werden, ist dennoch ziemlich unüblich.

Zu Ergebnissen, die für die künstlerischen Medien repräsentativ sind und „ein möglichst umfassendes Bild von der sexuellen Selbstbestimmung der Frau aufzeigen“, wird Strube trotz ihres „Panoramablicks“ allerdings aufgrund der geringen Zahl der ausgewählten „Artefakte“, die zudem so „exemplarisch“, wie die Autorin vermutet, durchaus nicht sind, kaum kommen können. Den angestrebten Beitrag zur „Ausweitung der klassischen Literaturwissenschaft hin zu einer textwissenschaftlich fundierten Kulturwissenschaft“ beizutragen, leistet das Buch allerdings sehr wohl.

Bei ihrem Unternehmen fühlt sich die Autorin der Forderung von Maggie Humm verpflichtet, „to understand and redifine women’s sexual desire and its public expression“. Methodisch und theoretisch orientiert sich Strube sowohl an „Michail Bachtins Konzepte zur Dialogizität, Polyphonie und Karnevalisierung“ wie auch an der „noch junge[n] feministische[n] Philosophie zur relationalen Autonomie“, zu deren theoretischen Grundbegriffen der des „kulturellen Imaginäre[n]“ zählt. Wie Strube erläutert, bezeichnet der Terminus „das gros der kulturellen Bilder und Repräsentationen, der Symbole und Metaphern“.

Aus feministischer Sicht, so führt Strube weiter aus, lasse sich entgegen einer seit den 1990er-Jahren verbreiteten Sichtweise nicht nur sehr wohl an den Autonomiebegriff anknüpfen, er sei sogar „fundamental wichtig“, um „Unterdrückung, Unterwerfung und Handlungsmacht“ überhaupt verstehen zu können. Darum, das kulturelle Imaginäre abzuschaffen, könne es allerdings nicht gehen, denn dies sei schlechterdings unmöglich. Vielmehr gelte es einer „dominanten, zentripetalen Sicht“, die auf die Anerkennung nur einer einzigen ‚Wahrheit‘ zustrebt, mittels Imagination zentrifugal entgegenzuwirken und sie „durch Grenzüberschreitung, Antidogmatismus, Liberalität und Ambivalenz zu ergänzen.“

Das feministische Konzept der relationalen Autonomie sei zwar von den Gender Studies „beeinflusst“ und habe ihnen „wertvolle Impulse“ zu verdanken. Doch teile es nicht deren einseitigen „radikalen Konstruktivismus“, der „gender grundsätzlich dem sex vorordnet“ und „sex immer als Effekt begreift“. Demgegenüber scheuten sich die VertreterInnen der relationalen Autonomie nicht, „(aus der Perspektive der Gender Studies) eine ‚Todsünde‘ zu begehen und das souveräne Subjekt, selbstbestimmte Handlungsmacht und sogar Spuren von Essentialismus zu integrieren.“ Ihre Begriffswahl lässt erkennen, wie gerne sich die Autorin vom Odium der Häresie umschmeicheln lässt.

Deutlich wird zudem, dass sie vor allem, wenn nicht ausschließlich an die theoretischen Überlegungen der von ihr pejorativ als „Pop-Ikone“ apostrophierten Gender-Theoretikerin Judith Butler denkt, wenn sie Gender Studies sagt. Ihr, so führt die Autorin aus, sei anzulasten, dass sich die Gender Studies „von den eher emanzipations-politisch orientierten Veranstaltungen der Neuen Frauenbewegung“ „entfernt“ haben. Strubes in eine Fußnote verlegter Rekurs auf Herta Nagl-Docekal und Käthe Trittin ist als Butler-Kritik argumentativ allzu substanzlos und leicht aus den Angeln zu heben. So etwa, wenn sie Nagl-Docekal zustimmend mit der Aussage zitiert, es gebe für Butler „keine Möglichkeit mehr, eine Diskriminierung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts festzustellen.“ Das mag sein. Doch hat Butler das auch gar nicht nötig. Denn ihr Konzept eröffnet die sehr viel weiterreichendere und grundlegendere Möglichkeit, die Diskriminierung von Personen nicht aufgrund ihres vermeintlich biologischen Geschlechts, sondern aufgrund ihrer Geschlechterzuschreibung festzustellen. So bekommt sie eine Diskriminierung zu fassen, die dadurch begründet wird, dass es sich um Frauen handele, ohne dass sie etwas darüber aussagen muss, ob die diskriminierten Personen tatsächlich Frauen sind oder auch nur, ob es überhaupt Frauen (und sonstige Geschlechter vor oder jenseits der Geschlechterzuschreibung) gibt.

Auch Strubes Postfeminismuskritik ist nicht recht nachvollziehbar. Ihr Vorwurf etwa, Postfeministinnen tendierten zu „groben Verallgemeinerungen“, fällt auf die Autorin selbst zurück, und zwar auch und gerade im Zusammenhang mit diesen Postfeministinnen, wie ihre einzelnen Kritikpunke an dieser Variante des Feminismus deutlich machen: Erstens übe er eine „grob verallgemeinernde Kritik an der Neuen Frauenbewegung“. Zweitens propagiere er eine „stark vereinfachende Auffassung von Wahlmöglichkeiten“, drittens seien seine Ideale des Individualismus und der Selbstverantwortung „neoliberal“, womit Strube ihn gleichsam in unmittelbare Nähe des Satans rückt, und viertens argumentiere er „heterosexistisch“.

Strubes Rückblicke in die (Ideen-)Geschichte sind gelegentlich ebenso wenig überzeugend wie ihre Butler- und Postfeminismuskritiken. Doch ist sie auch hier mit vernichtenden Urteilen schnell bei der Hand. „In seinem Bemühen, gegen Prostitution vorzugehen“, habe der „social puritiy feminism“ des 19. Jahrhunderts beispielsweise „eine subtile Verbindung mit der vorherrschenden Ideologie von weiblicher Sexualität gezeigt“. Auch deren damalige innerfeministische Gegnerinnen des free love feminism kommen bei Strube nicht besser weg. Sie seien „heterosexistisch und moralistisch“ gewesen.

Der Hauptteil ihrer Arbeit gilt jedoch nicht der Erörterung von Theorien oder der feministischen (Ideen-)Geschichte, sondern „[e]xemplarische[n] Analysen zu Literatur, Musik und Fernsehen“, die sie in dieser Reihenfolge vornimmt. Unter der Rubrik „Literatur“ befasst sie sich mit dem bereits genannten Buch Kate Chopins und mit Toni Morrisons „Sula“. Während Chopins Werk „das historisch dominante Muster der true woman“ unterlaufe, hinterfrage Morrison in ihrem Buch das Bild der „oversexed black woman“.

Der nächste Unterabschnitt gilt Musik und Videoclips. Hier widmet sich Strube „Musikerinnen, die sich mit und durch Musik am Dialog zur sexuellen Selbstbestimmung beteiligt haben“. Die Spannbreite der behandelten Musikerinnen umfasst einerseits Bluessängerinnen der 1920er-Jahre und andererseits Popidole des ausgehenden 20. Jahrhunderts wie Madonna, Rapperinnen, Riot Grrrls und den „jüngst erschienenen Queercore.“ Ins Auge fällt zeitliche die Lücke, die Strube zwischen den 1920er-Jahren und den späten 1970er-Jahren aufklaffen lässt. Dennoch kann sie mit etlichen der Ausführungen in diesem Abschnitt überzeugen, etwa mit denjenigen zu der Lesben-Punk-Band „Tribe 8“ und ihrer CD „Fist City“, die schon im Namen ihrer sexuellen Präferenz huldigt, und deren Sängerin Lynn Breedlove unlängst auch ihre literarischen Qualitäten unter Beweis gestellt hat. Dass allerdings die klassische Musik anders als die populäre eher durch die Komponisten und nicht durch die „Darstellerinnen“ „geprägt“ werde, ist nicht so ganz einzusehen. Man denke nur an den derzeitigen Erfolg von Anna Netrebko, an die Carmen-Darstellerin Jessye Norman, die berühmte Wagner-Interpretinnen Gwyneth Jones und Birgit Nilsson oder gar an die Callas.

Sind es im Abschnitt zur Literatur zwei Romane, denen sich die Autorin widmet, so in demjenigen zum Fernsehen zwei Serien: „Sex and the City“ und „The L Word“. Beide Serien erhielten zahlreiche Preise und Auszeichnungen, „The L Word“ etwa von der „Gay and Lexbian Alliance Against Defamation“, worauf auch die Autorin aufmerksam macht. Ihr Urteil über „Sex and the City“ fällt ambivalent, letztlich aber doch eher positiv aus. Halte die „postfeministische Sitcom“ einerseits zwar „viele Türen geschlossen“, so öffne sie doch immerhin manch andere, „wenn auch manchmal nur einen Spalt breit“. Ähnlich auch ihre Bewertung von „The L Word“. Trotz einiger „bemerkenswerter Aspekte“ sei die Serie doch nur höchst selten „radikal“. Dennoch werde deutlich, dass sie „einige Grenzen sprengen“ wolle und könne.

Die abschließende Frage, ob von einem „kontinuierlichen und allumfassenden Fortschritt“ in Sachen sexuelle Selbstbestimmung von Frauen zu sprechen ist, beantwortet Strube resümierend differenzierter, als sie sie stellt. Zwar seien Künstlerinnen und Autorinnen nicht mehr wie noch zu Zeiten von Chopins „The Awakening“ darauf verwiesen, lesbische Identität und Sexualität nur „vorsichtig an[zu]deute[n]“, diese könnten heute vielmehr sogar wie in „The L Word“ „vor laufender Kamera ausgelebt“ werden; auch endeten die Figuren der Serie nicht wie Chopins Protagonistin „im Meer“, doch trügen „populäre Medien“ andererseits zur „Glorifizierung von Sexualität und zu einer stark sexualisierten Gesellschaft“ bei. Zudem seien die Riot Grrrls der 1990er-Jahre auch nicht „radikaler, autonomer oder subversiver“ als die „Bluesfrauen“ der 1920er-Jahre.

Titelbild

Miriam Strube: Subjekte des Begehrens. Zur sexuellen Selbstbestimmung der Frau in Literatur, Musik und visueller Kultur.
Transcript Verlag, Bielefeld 2009.
240 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783837611311

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