Überlieferungen versus Legenden

Alexander Demandt wählt in seiner Biografie eine andere Herangehensweise an Alexander den Großen

Von Stefan CernohubyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Cernohuby

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gewisse Persönlichkeiten der Geschichte werden gerne mit einem etwas verklärten Blick betrachtet und behandelt. Dies könnte unter anderem daran liegen, dass sie nach all den Jahrhunderten und Jahrtausenden wie fleischgewordene mythologische Gestalten wirken. Alexander der Große ist allerdings herausragend unter den vergleichbaren Unvergessenen. Daher ist es kein Wunder, dass es hunderte Werke aus verschiedenen Literaturbereichen gibt, die sich mit ihm beschäftigen. Alexander Demandt vereint nun im Rahmen seines Werks „Alexander der Grosse – Leben und Legende“ zwei Aspekte der Betrachtung.

Über Persönlichkeiten die in der Antike gelebt haben, gibt es zum Teil nur verstreute Aufzeichnungen. Alexander der Große ist dafür ein Paradebeispiel. Daher wird gleich zu Beginn des Bandes erklärt, welche Schriftstücke in der einen oder anderen Form über all die Zeit erhalten geblieben sind. Dabei beschränkt sich der Autor nicht auf die klassischen europäischen Quellen, sondern behandelt auch Legenden in verschiedenen Kulturkreisen, in denen Alexander der Große eine Rolle spielt.

Danach geht der Autor weitestgehend chronologisch an die Angelegenheit. Einem kurzen Überblick über das Reich der Perser folgt das Wirken von Alexanders Vater Philipp II., der der Wegbereiter von Alexanders Hellenismus war. Auch hier werden geschichtliche Überlieferungen mit jenen verknüpft, die den Stoff behandeln, aus dem die Legenden entstanden.

Anschließend wird Alexanders Leben der Reihe nach beleuchtet. Die folgenden Kapitel erzählen von seinen ersten Erfolgen in Griechenland, von den ersten militärischen Auseinandersetzungen mit dem Persischen Reich und den damit verbundenen Legenden. Der gordische Knoten darf dabei ebenso wenig fehlen wie die Gründung von Alexandria. Der unbändige Drang Alexanders, Neues zu entdecken, findet ebenso Erwähnung wie die persönliche Hinrichtung eines seiner besten Freunde. Bis hin zu seinem Tod mit gerade einmal 33 Jahren und den Spekulationen darüber, was geschehen wäre, wenn ihn dieser nicht so schnell ereilt hätte. Denn Alexanders Ehrgeiz war mit der Eroberung Asiens noch lange nicht befriedigt. So werden jeweils geschichtliche Aufzeichnungen mit jenen aus Legenden verglichen – die überdies auch noch auf möglichen Wahrheitsgehalt untersucht und mit einer potentiellen Deutung versehen sind – und ergeben so ein Gesamtbild, das dem antiken Heerführer, Eroberer und Entdecker wohl am besten gerecht wird.

Schon im Vorwort erklärt Demandt, dass die Aufgabe, ein allgemein gültiges Nachschlagewerk zu Alexander dem Großen zu verfassen ein Ding der Unmöglichkeit darstellt. Der Grund dafür: Ihm haben sich nicht nur metaphorisch, sondern tatsächlich tausende Autoren gewidmet. Aus diesem Grund hat Demandt mit voller Absicht nicht versucht, den ausgetretenen Pfaden seiner Vorgänger zu folgen, sondern vielmehr eine neue Herangehensweise zu finden. Etwas, was ihm grundsätzlich sehr gut gelungen ist. Die Gegenüberstellung von Fakten und Legenden ist faszinierend aufbereitet. Einige kleinere Abweichungen bei den nicht immer eindeutigen Quellenverweisen sind zwar vorhanden, doch zu verschmerzen. So muss der interessierte Laie eine ganze Weile blättern, bis er in der 18. Sure des Koran auf ein Zitat stößt, das in anderen Übersetzungen völlig anders einsortiert ist. Und auch dass Stellen wie diese in anderen Kulturen immer noch viele Kontroversen aufwerfen, die den Text nicht auf Alexander bezogen sehen wollen, ist eben zu akzeptieren. Denn das macht den Reiz der Deutung von Legenden aus, die aufgrund anderer Legenden entstanden sind. Spannend ist dabei zu verfolgen, wie verschiedene Religionen und Völker das Leben und Wirken des antiken Heerführers auf ihre eigenen Motivationen und Werte hingedeutet haben. Ebenso interessant ist es zu sehen, wie Fakten und Legenden in Romanen oder Filmen Hand in Hand gehen und so manche Situation gar nicht so fantastisch ist, wie man ursprünglich gedacht hatte. Auch an der Menge und genauen Auflistung der ausgearbeiteten Quellen gibt es keinen Grund zur Beschwerde, nehmen deren Verweise doch beinahe 200 Seiten ein. Erwähnenswert sind auch die gut ausgewählten Kunstwerke, die im Buch abgedruckt wurden – teilweise in Farbe – und noch einmal zeigen, mit welchem Interesse sich Künstler verschiedener Epochen der Materie gewidmet haben.

Insofern kann man Alexander Demandts Werk „Alexander der Große – Leben und Legende“ all jenen empfehlen, die zwar einen differenzierten Blick auf historische Ereignisse schätzen, aber dennoch nicht das Gesamtbild aus den Augen verlieren wollen. Und zu jenem gehören auch die Legenden, die sich um antike Persönlichkeiten, wie in diesem Fall um Alexander den Großen, ranken.

Titelbild

Alexander Demandt: Alexander der Große. Leben und Legende.
Verlag C.H.Beck, München 2009.
655 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783406590856

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