Patriotismus in der Frühaufklärung

Martin Krieger über Identitätsbildung im Hamburg des frühen 18. Jahrhunderts

Von Mathis LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mathis Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Hamburg bleibt ein Paradies / Wie der Eintracht Früchte grünen / Und zu schön’ster Nahrung dienen.“ Mit diesen Versen beschwor Christian Friedrich Weichmann in einem Singspiel zur Zeit der Frühaufklärung die innere Einheit der Hansestadt. Für den Landesstolz, der aus diesen Versen spricht, hat Helga Schulz bereits vor einigen Jahren den Begriff des ‚partikularen Patriotismus‘ in die Debatte eingeführt – eines Patriotismus also, der sich am eigenen Territorium oder Landstrich festmachte. Das Interesse, das die Wissenschaft dieser Form des Patriotismus entgegenbringt, ist eng verbunden mit der Suche nach dem ‚Nationalismus vor dem Nationalismus‘. Simon Shama, Linda Colley oder Benedict Anderson zählen zu jenen, die hierzu in den letzten zwei Jahrzehnten international beachtete Beiträge beigesteuert haben.

Man könnte meinen, dass sich eine Studie über ‚Hamburger Patriotismus‘ an diese Debatte anschließt. Genau dies tut aber Martin Kriegers Greifswalder Habilitation nicht. Kriegers Ziel besteht vielmehr darin, den „politischen, personalen und inhaltlichen Dimensionen des Hamburgischen Patriotismus in der Zeit zwischen 1710 und 1740“ nachzugehen. Dazu nähert er sich dem Phänomen aus vier verschiedenen Richtungen. Ausgehend von einer Kollektivbiografie der Patrioten untersucht er die Gesellschaften, in denen sie sich zusammenfanden, die Medien, in denen sie publizierten, und die Inhalte, für die sie standen. Schließlich wird noch die Wirkung des Patriotismus-Gedankens auf das politische Leben der Hansestadt nachgezeichnet. Diese Ausführungen möchte Krieger verstanden wissen als „Plädoyer für das Bemühen, den Patriotismus-Begriff aus einem nationalen Bezugsrahmen zu lösen, in dem jener in der Wissenschaft wie auch in der öffentlichen Wahrnehmung heute weitgehend gesehen wird“.

Der Hamburger Patriotismus war keine breitenwirksame Bewegung, sondern das Konstrukt einer kleinen Gruppe von in Hamburg tätigen Gelehrten. Sie bestand aus rund siebzehn Personen, die nach ähnlichen Bildungswegen ihr Auskommen in städtischen Diensten fand, und zwar entweder als Teil der politischen Elite der Stadt oder als Pädagogen an einem städtischen Gymnasium. Außerdem fanden sich die Patrioten zunächst in der „Teutsch-übenden Gesellschaft“ zusammen, die noch deutlich der Tradition der barocken Sprachgesellschaften verhaftet war, ab 1723 dann in der moralisch-gemeinnützig orientierten „Patriotischen Gesellschaft“. Das bevorzugte Publikationsorgan dieses Personenkreises war die Wochenschrift „Der Patriot“, die zwischen 1724 und 1726 erschien und in weiten Teilen des Alten Reichs rezipiert wurde.

Die Werte, die die Hamburger Patrioten in ihren Schriften propagierten, orientierten sich stark an englischen Vorbildern, namentlich an der Common-Sense-Philosophie. Die Identitäten, die die angesprochene Personengruppe im „Patrioten“ und anderen Publikationen entwarfen, verortet Krieger auf insgesamt vier verschiedenen Ebenen – der Sprachidentität, der städtischen Identität, der nationalen und der Reichsidentität – und zeichnet an ausgewählten Beispielen nach, mithilfe welcher Argumente diese Identitäten konstruiert wurden. Als Konstrukt sollten sie dazu beitragen, die Bindungskräfte innerhalb der Bürgerschaft zu stärken und die politischen Verhältnisse in der Stadt zu stabilisieren. Seiner Zielsetzung nach sei dieser Patriotismus jedoch nichts weniger als modern. Letztlich, so Krieger in seiner Schlussbetrachtung, habe dieser lediglich „eine Brückenfunktion zwischen barock-absolutistischem Staats- und Kulturverständnis sowie aufklärerischen Gesellschaftsvorstellungen“ eingenommen.

So aufschlussreich Kriegers Ausführungen auch sein mögen, so lässt die Begrifflichkeit, mit der er operiert, doch viel zu wünschen übrig. Da er Begriffe wie ‚Öffentlichkeit‘ ‚Identität‘ und ‚Integration‘ kaum näher bestimmt, bleibt auch ihr analytisches Potential begrenzt. Auch erweist sich die Arbeit als erstaunlich forschungsfern. Das erklärte Ziel, den Begriff ‚Patriotismus‘ aus dem nationalen Bezugsrahmen zu lösen, wird letztlich nur dadurch erreicht, dass die Forschungsergebnisse der Debatte um den ‚Nationalismus vor dem Nationalismus‘ nicht aufgegriffen werden. So wird etwa das Konzept des ‚partikularen Patriotismus‘ erst gar nicht erwähnt. Das Verhältnis jener kollektiven Identität, welche die Hamburger Patrioten entwarfen, zu anderen kollektiven Identitäten bleibt daher völlig unbestimmt.

Dennoch ist Krieger mit seiner fundierten Arbeit ein ansprechendes, streckenweise auch anregendes Porträt einer eng verflochtenen Personengruppe im frühen 18. Jahrhundert sowie ihrer gesellschaftlichen Ambitionen und Ideen gelungen. Indem Krieger den Patriotismus seiner Protagonisten als Ausfluss lebensweltlicher Ambitionen und Aspirationen darstellt, betont er die situative Bedingtheit seiner Genese. Für die Frage nach kollektiven Identitäten in der Frühen Neuzeit wird Martin Kriegers Buch daher künftig ein wichtiger Referenzpunkt sein.

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Martin Krieger: Patriotismus in Hamburg. Identitätsbildung im Zeitalter der Frühaufklärung.
Böhlau Verlag, Köln 2008.
223 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783412201210

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