Kauziger Komplize

Apologie eines Mitläufers: Martin Gülichs neuer Roman „Septemberleuchten“

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein abgelegener See, dazu ein paar Flaschen Bier, Chips und natürlich Marshmallows zum Grillen: Da scheint ein gemütlicher Abend unter Freunden garantiert. Lagerfeuerromantik kommt auch in Martin Gülichs Roman „Septemberleuchten“ auf, doch scheint sie mehr der selektiven Wahrnehmung des Protagonisten geschuldet, der darauf beharrt, „dass der Abend auch völlig anders hätte verlaufen können, ein Abend am See, kein Wort hätte darüber verloren werden müssen, kein Wort“.

Da es jedoch anders kommt, muss Kron, Gülichs Erzähler, die haarsträubenden Ereignisse dieses Abends zu Protokoll geben. Wem er dabei Bericht erstattet, bleibt offen, doch darf man annehmen, dass es sich um Vertreter der Justiz handelt, geht es doch um die Aufklärung eines Mordes. Fadenscheinig ist freilich die von Kron behauptete Kontingenz des Geschehens. Schließlich ist von Beginn an offensichtlich, dass Vanek und Gerland, seine beiden zwielichtigen Bekannten, die Kron aus einer scheinbar spontanen Laune heraus zu dem gemeinsamen Abend am See einladen, Übles im Schilde führen.

Ihr Opfer ist der vierte im Bunde, ein Kron angeblich unbekannter, namenlos bleibender Mann in einem Wintermantel. Aus Gründen, die im Dunkeln bleiben – einmal fällt das Wort „Scheckkartenmanipulation“ –, ist dieser Mann dem Gaunerduo Vanek und Gerland ausgeliefert. Schon beim Essen im Restaurant wird Gerland, wie der erstaunte Kron bebachtet, erstmals „übergriffig“ und stopft dem sich devot gebenden Fremden gegen seinen Willen ein Stück Fleisch in den Mund. Kurz darauf scheitert ein erster Fluchtversuch des Mannes kläglich.

Gülichs Roman folgt einer Logik der Eskalation: Immer neue Schikanen und Demütigungen muss der Mann an diesem Abend über sich ergehen lassen, soll einmal sogar nackt und mit einem Seil um den Hals mit Tanzeinlagen für Unterhaltung sorgen. Seine spärlichen Versuche, sich zu wehren, werden von dem soziopathisch veranlagten Gerland brutal im Keim erstickt. Am Ende ist der Mann tot – oder doch so gut wie – und wird von den drei anderen am Seeufer verscharrt. „Folgendes jedoch wolle er an dieser Stelle mit allem Nachdruck festhalten: Möge er auch zuvor an der einen oder anderen Unfreundlichkeit gegen den Mann am Rande mitbeteiligt gewesen sein, für alles Weitere treffe ihn keine Schuld, ja, es sei geradezu absurd, ihm daraus einen Strick drehen zu wollen. Er habe mitgeschaufelt, ja, er habe dies, angetrieben von Gerland und Vanek, sogar mit einem gewissen Elan getan, aber er lehne trotzdem jede Verantwortung hierfür ab.“

Ein bis dahin unbescholtener Protagonist, der erst Zeuge, dann, in einem schleichenden Übergang Komplize eines sich steigernden Aktes von Sadismus und Gewalt wird, aber frei von Mitschuld sein will: Das erinnert an den im vergangenen Jahr erschienenen Roman „Der afrikanische Freund“ des Österreichers Johannes Gelich. Die pseudoexistenzialistischen Rechtfertigungen, in die sich Gelichs Erzähler verstrickt, sind Kron in „Septemberleuchten“ freilich fremd. Als gealterter Junggeselle, der noch bei seiner Mutter wohnt, ist Kron ein typischer Protagonist des Freiburger Autors Martin Gülich: eine kümmerliche, einzelgängerische Existenz, die vom Leben nichts mehr erwartet und für ein bisschen Zuwendung schon mal flunkert. Den Unbilden der sozialen Realität sind Gülichs kauzigen Verlierergestalten hilflos ausgeliefert: Schon der Icherzähler in dem 2006 erschienenen tragikomischen Roman „Später Schnee“ muss hilflos mitansehen, wie sich ein Bekannter kurzerhand in seiner Wohnung einnistet.

In seinem neuen Roman, seinem bislang fünften, leuchtet Martin Gülich die Abgründe aus, die sich in diesem Protagonistentyp verbergen, sein latentes Aggressionspotenzial und seine Verführbarkeit zum Bösen. Scheinbar um ein Höchstmaß an Genauigkeit bemüht, will diese sich treuherzig gebende Aussage eines Mitläufers eine Apologie sein. Was Gülich aber in mimikryhafter Rollenprosa mit amüsant-grotesken Umständlichkeiten und Abschweifungen erzählt, ist letztlich eine einzige Selbstentlarvung. „Dreierlei wolle er, Kron, hierzu festhalten. Erstens: Die Tritte seien recht vehemend gewesen, zweitens: der Mann habe sie ohne eine sichtbare Regung seines Körpers entgegengenommen, und drittens: Er, Kron, sei froh gewesen, die Tritte nicht selbst abbekommen zu haben.“

Das alles ist ohne Frage routiniert und nicht ohne grotesken Witz geschrieben; auch ist Gülichs schmaler Roman ein Paradebeispiel für erzählerische Ökonomie. Dennoch lässt einen die Lektüre mit einem Gefühl des Ungenügens zurück. Will man nicht alle Widersprüche dem unzuverlässigen Erzähler anlasten, so zerrinnen wie bei einem schlechten Krimi Handlung und Motivationen der Beteiligten, sobald man anfängt, über sie nachzudenken. Mal erscheint das Verbrechen als von langer Hand geplant, dann wieder wie eine höchst dilettantische Improvisation. Warum und von wem wird Krons Auto am Seeufer gestohlen? Warum nimmt das Gaunerduo Kron überhaupt mit, der für ihr Vorhaben doch nur ein zusätzliches Risiko darstellt? Wenig überzeugend scheinen auch die halbherzigen Versuche des Mannes, seinem Schicksal zu entkommen: Verhält sich so jemand, der um sein Leben fürchtet? Dass Plot und Figuren an vielen Stellen mehr an ein absurdes Theaterstück erinnern als an ein abgründiges Lehrstück über die Tugend der Courage mindert erheblich die Brisanz dieses Textes.

Titelbild

Martin Gülich: Septemberleuchten. Roman.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2009.
128 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783312004430

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch