In einem fremden, eigenen Land

Rosa Ribas befragt die Väter nach ihren Sünden

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Main führt Hochwasser, eine Leiche treibt im Fluss, ein Polizist findet sie – so beginnt kein guter Tag, könnte man meinen. Und zumindest für den toten Mann im Fluss stimmt das ja auch. Wie jeder guter Krimi beginnt Rosa Ribas’ „Kalter Main“ mit einem Toten. Dass es sich dabei um ein Mordopfer handelt, ist offensichtlich. Um wen es sich bei dem älteren, beleibten Mann handelt, wird gleichfalls schnell bekannt, es ist ein spanischer Einwanderer, Gastarbeiter der 1960er Jahre, der zwei gut gehende Restaurants in Frankfurt unterhält. Ein wohlhabender Mann, ein angesehenes Mitglied der spanischen Gemeinde, der es von kleinen Anfängen her zu etwas gebracht hat. So weit, so gut.

Ein kleines Team um Hauptkommissarin Weber-Tejero beginnt mit den Ermittlungen, und genau hier liegt der Clou des in Spanien preisgekrönten Debuts Rosa Ribas’: Frau Hauptkommissarin ist Tochter eines Deutschen und einer spanischen Einwanderin, und hat damit selber enge Verbindungen zur spanischen Gemeinde, zumindest über ihre Eltern. Ihre Kindheit, ihre Erinnerungen, ihr Spanisch, ihr Wissen um die besonderen Eigenheiten der spanischen Mentalität, alles das verdankt sie ihrer Herkunft, auch wenn das alles lang her ist und sie sich als Deutsche fühlt, als Deutsche lebt und eben nicht als Spanierin. Aber wie das so ist, ist ihre Herkunft eben auch ein Gepäck, das sie mit sich herumschleppt, mal leichter, mal schwerer.

In diesem Fall soll es ihr allerdings nutzen, denn sie erhofft sich durch ihre Nähe zur Gemeinde einen besseren Aufschluss darüber, was das Motiv des Mordes an Marcelino Solo, so der Name des Opfers, sein könnte.

Natürlich gibt es in der Gemeinde Konflikte genug, die auch als Motiv herhalten können. Der Vater Solos, heißt es, soll seine Kameraden aus dem antifranquistischen Widerstand verraten und sich dabei bereichert haben. Ist sein Tod ein Unfall oder ein Revancheakt? Solo hat zudem als Gründer eines linken spanischen Kulturvereins große Verdienste um die spanische Gemeinde. Aber er ist im Streit aus dem Verein geschieden, nachdem ihn die Vereinsmitglieder nicht mehr in seinem Amt bestätigt haben. Rätselhaft ist auch seine späte Rückwendung zum Katholizismus, die schon beinahe fanatische Züge hatte. Hinzu kommen Notizen in einer Kladde, die auf eine massive religiöse Verwirrung schließen lassen und auf zahlreiche, aber merkwürdige Zahlungen an Vereine der spanischen Gemeinde.

Die Recherchen der Ermittler sind angesichts eines solchen Falles breit angelegt. Sie reichen weit in die Vergangenheit des franquistischen Spanien, in die Vergangenheit des Einwanderlandes Deutschland, das mit seinen neuen Mitbürgern ein wenig zwiespältig umgegangen ist, und eben auch in die Gegenwart eines multikulturellen Deutschlands, in dem jeder seinen Platz behaupten will, gegen die alten und neuen Konkurrenten an den materiellen, ideellen und kulturellen Futterplätzen.

Vielleicht liegt hier auch die Stärke dieses Krimis, den eine Spanierin auf Spanisch geschrieben hat, die seit sechzehn Jahren in Frankfurt lebt: Der Blick einer Autorin, die als interne Externe die deutsche Gesellschaft ebenso aus der Distanz sehen kann wie die spanische Einwanderergemeinschaft, die sich über die Jahrzehnte in der Fremde eingerichtet hat. Die Eingewöhnungs- und Einordnungsprozesse einerseits und die bleibende Fremdheit andererseits. Was es heißt, aus einer wie desaströs auch immer aussehenden Kultur in eine völlig andere zu gehen, dort ganz unten anzufangen, um dann nie wieder zurückzukehren, steht als Folie hinter der ganzen Erzählung.

Darunter leidet freilich die Kriminalhandlung ein wenig, denn im Grunde sind die Ermittlung und ihr Ergebnis einigermaßen konventionell, zudem so breit angelegt, um auch ja nun alle Zwischentöne der interkulturellen Gemengelage auffangen zu können, dass das Crimen doch deutlich in den Hintergrund tritt. Daran ändern auch bedeutungsschwangere Hinweise wie die, dass die Sünden der Väter nicht auf ihre Nachkommen übergehen sollen (oder doch), wenig. Und auch das Nachwirken der alten Konflikte, die eine andere Form von existenzieller Krise erzeugen, befördert den Fortgang der Handlung nicht wirklich.

Aber in dieser Situation befinden sich wohl die meisten Kriminalromane, die sich an eine einigermaßen angemessene Aufarbeitung gesellschaftlicher Problemlagen kümmern wollen. Sie gehen in die Breite der Darstellung, um beiden Anforderungen genügen zu können, der ein Krimi sein zu sollen, und der, eine angemessene Darstellung zu liefern.

Titelbild

Rosa Ribas: Kalter Main. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Portugiesischen von Kirsten Brandt.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
369 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783518460887

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