Köpf die Ärsche! Pfähl die Pisser!

Gedichte - neu, komisch und deutsch

Von Klaus Cäsar ZehrerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Cäsar Zehrer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alle 61 Gedichte der Anthologie "Oben lag der Apennin, unten legte ich mich hin", so informiert Carola Rönneburg im Vorwort, sind zuvor auf der "Wahrheit", der Satire- und Unterhaltungsseite der "tageszeitung", erschienen, und zwar "als angemessene Antwort auf das ewige Deutschlehrertum in den Feuilletons der Republik, wo Leser immer noch mit kanontauglicher Lyrik inklusive unumstößlicher Interpretation traktiert werden." Und: Alle Gedichte gefallen ihr. Bleibt also weiter nichts zu tun, als den Geschmack der Herausgeberin (die selbst mit sieben Gedichten vertreten ist) zu überprüfen.

Offensichtlich liegen ihr die Themenfelder Gastronomie, Alkoholgenuß, Urlaub und Müßiggang näher als die Politik: Von ersteren handelt ein Gutteil des Buches, während politisch im engeren Sinne, großzügig gezählt, nur viereinhalb Gedichte sind; und selbst die haben nichts mehr mit den selbstgewissen Hohngesängen gemein, mit denen die linken Satiriker der siebziger Jahre in den Kampf gezogen waren. Heute, und das ist kein Rückschritt, herrscht eine gelassene Selbstironie vor, weil sich auch bei den Linken die entkrampfende Erkenntnis durchgesetzt hat, daß die Revolution als Allerletztes durch Lyrik ausgelöst wird. So modifiziert Fritz Eckenga mit der Intention der Vergackeierung angejahrte Pfennigweisheiten der Umweltbewegung ("Erst stirbt der Wald, dann schon bald der Käs" bzw. "Wir haben diesen Käse nur geliehen/ von unseren Kindern"), während Thomas Gsella in einem Sonett zum Thema "150 Jahre Kommunistisches Manifest" zwar die Masse aufpeitscht: "Steh nicht länger dumm herum!/ Köpf die Ärsche! Pfähl die Pisser!/ Säbel ihre Knechte um!", aber letztlich aus lapidaren und rein eigennützigen Motiven: "Andernfalls muß all die Sachen/ wieder mal der Gsella machen."

Weil die Motive Entlarvung von Mißständen, Geißeln menschlicher Unzulänglichkeiten und Bewußtseinsveränderung des Lesers, die die alte, kämpferische Satire pathetisch aufgeladen hatten, weitgehend entfallen, bleibt viel Platz für Spiel, Sinnverweigerung und Nonsens. Als Vorbild dient den meisten Autoren unverkennbar das Frühwerk von Robert Gernhardt und F.W. Bernstein aus den sechziger und siebziger Jahren (Bernstein ist auch hier fünfmal dabei). Wer auf ältere Vorbilder zurückgreift, wie Georg Solms auf Ringelnatz, klingt unweigerlich angestaubt und anachronistisch: "Im Wald ein Rabe fand eine Fahrradnabe/ Da sprach der Rabe/ Ich grabe nach Kugellagerfett in der Nabe" - so bieder-humorige Geschichtchen wirken heutzutage eher matt als komisch.

Ein paar Seiten später ist es mit dem Idyll ohnehin vorbei, wenn Fritz Tietz zehn Möglichkeiten zur Ermordung eines Papstes aufzählt, von der Kugel, die ins päpstliche Zwölffingergedärm zu jagen ist, über ein Bömbchen unter der Klobrille bis zur langwierigen biologischen Lösung. Der Sprecher der deutschen Bischofskonferenz, Rudolf Hammerschmidt, hat in einer Podiumsdiskussion dieses Gedicht in die Nähe der antisemitischen Hetze während der Weimarer Republik gerückt, was natürlich barer Unfug ist. Tietz behandelt den Papst schlicht als die weltentrückte Comicfigur, die er längst ist, und sein Gedicht hat mehr mit einem Tom-und-Jerry-Zeichentrickfilm zu tun als mit Nazipropaganda. Ich bin bereit, diese Ansicht zu revidieren, sobald Karol Wojtila Opfer eines Attentats wird und der Mörder ausdrücklich angibt, von Fritz Tietz animiert worden zu sein. Bis dahin gilt die Behauptung, daß die neuere deutsche Komik sich alles erlauben darf und nichts ernst nehmen muß, weil sie in einer Phantasiewelt schwebt; einer Welt, in der auch die Realität enthalten ist und immer wieder auftaucht, aber wie durch einen Schleier der Uneigentlichkeit und letztlich bedeutungslos. Vielleicht daher die vielen alkoholisierten Gedichte - aber die grundsätzliche, allumfassende und daher auch die eigene Person einschließende Ironie tut im Grunde die gleiche Wirkung wie der Alkohol: Sie schafft Distanz zur Wirklichkeit. Und genau in dieser Distanz liegt der entscheidende Unterschied zu den Satirikern alten Schlags, die größtmögliche Nähe zu den Dingen und unmittelbare Betroffenheit von den Vorgängen suchten.

Wie der Untertitel "Feine Reime" sagt, wird ausschließlich Gereimtes und Gebundenes geboten. Das ist so erstaunlich nicht, wenn auch der Reim in der hochkulturellen Lyrik seit Jahrzehnten so gut wie ausgestorben ist: Gerade davon will man sich ja abgrenzen; außerdem legten seit jeher komische Dichter freiwillig das enge Korsett von Reim und Rhythmus an. Wer Leichtigkeit erzeugen will, darf es sich selbst formell nicht zu leicht machen, um Trivialität zu vermeiden.

Gerade deshalb ist es schade, daß sich die meisten Gedichte mit sehr simplen Strickmustern begnügen: Zwei- oder vierzeilige Strophen mit meist vierhebigen Versen, paar- oder kreuzweise gereimt, bilden das Standardmodell und erzeugen den guten, alten Humoristensound à la Heinz Erhardt. Freilich läßt sich auch damit Hübsches und Zeitgemäßes basteln, wie Matti Lieske mit seiner tempoarmen, weitgehend ereignislosen und angenehm bräsig erzählten "Hetzjagd auf ein Krokodil" beweist.

Störend wird es dann, wenn nicht einmal das einfache Grundschema pannenfrei erfüllt wird. Bares Unvermögen dürfte als Ursache ausscheiden - alle vertretenen Dichter beherrschen grundsätzlich ihr Metier. Man ist eher versucht, eine grundsätzliche Laxheit in Fragen stilistischer Feinarbeit zu attestieren. Da wird unbekümmert "Socken" auf "trocknen", "erlegen" auf "begeben", "wurmt" auf "angeturnt" gereimt; hin und wieder muß die Sprache erst schmerzvoll verbogen werden, damit das Reimwort am Versende steht, und weil man die Hebungen und Senkungen nicht immer sorgfältig nachzählt, holpert es manchmal arg durch die Zeilen. Wer nun einwendet, das sei ja gerade Absicht, sich keck über tradierte Regeln hinwegzusetzen und einengende poetologische Forderungen anarchisch zu sabotieren, der soll einen leeren Bilderrahmen aufhängen und sich für einen skandalträchtigen Avantgardekünstler halten: Bewußt schlechtes Reimwerk war vielleicht noch bei Heine und Wedekind mutig, Ringelnatz und später Insterburg & Co. gingen mit niedagewesener Dreistigkeit zu Werke und setzten dadurch Maßstäbe, Gernhardt benutzt dichterische Dilettanz als punktgenau eingesetztes Stilmittel. Aber spätestens seit Helge Schneider ist die systematische Sinn- und Formzerstörung so weit fortgeschritten, daß ein Komikproduzent nur noch die Wahl hat, die Schraube noch ein Stück weiter zu überdrehen - oder im Gegenteil durch sorgfältiges Handwerk und elegante Stilsicherheit zu bestechen.

Schön, daß die Autoren der Sammlung auf die erste Möglichkeit verzichten - es geht in dem Buch an keiner Stelle schrill, wild oder extrem zu; noch schöner, daß sich einige sehr gelungene Beispiele für die zweite finden.

David Fischer-Kerli und Stefan Kuzmany parodieren mit reizvollem Ergebnis Barocklyrik:

"Itzt ists Leben Freyd

und Wonne

Des Sommers eitler Blüthen Krantz;

Ist morgen schon

ein schlafer Schwantz

Wir enden alle

in der Thonne"

Max Pörperbein bedient sich für seine Ballade über einen Jungen, der beim Techno-Tanzen starb, formal beim 19. Jahrhundert, wobei besonders die "Waise", die reimlose siebte Strophenzeile, Freunde lyrischer Strukturanalyse entzückt:

"Dann fraß er nun noch obendrauf

Zehn XTC-Tabletten,

Daraufhin sein Kreiselauf

War gar nicht mehr zu retten;

Sein Körper zehrte langsam ab,

Und stürtzte ihn ins frühe Grab,

Den sonst so starken Jüngling."

Aber nicht nur durch Rückgriff auf tradierte Formen entsteht Interessantes. Wiglaf Droste arbeitet mit Enjambements mitten im Wort - ein Trick, den er zwar nicht erfunden hat, aber doch recht stringent durchführt:

"Ich wache auf mit derart böser Lau

ne, daß ich gleich irgendeinem in die Fresse hau

e und ihm die blöden Knochen breche

und ihm ein Schmerzensgeld dafür nicht bleche,

der widerlichen Sau!"

Doch bevor ich das gesamte Buch zitiere, komme ich lieber zur Zusammenfassung nebst einer Anmerkung.

Zusammenfassung: Daß der bunte Haufen der "taz"-Dichter in der Kategorie Humor & Kurzweil die bekränzten Poetenhäupter des Landes weit hinter sich läßt, war zu erwarten. Aber daß jene, nähmen sie solche Zeugnisse aus dem lyrischen Untergrund zur Kenntnis, sich auch einiges in puncto Stilvielfalt und formaler Experimentierfreude abschauen könnten, sollte sie beschämen. Also, Großdichter: 1. Schämt euch was! 2. Lest dieses Buch! 3. Lernt was draus! Auf daß die kanontaugliche Lyrik weniger langweilig werde.

Anmerkung: Drei der 22 versammelten Dichter sind weiblich, was einer im Bereich der komischen Literatur ungewöhnlich hohen Frauenquote von 13,6% entspricht. Fast ist man versucht, an der uralten Einsicht, daß Frauen keinen Sinn für Humor haben, zu zweifeln. Monie Schmalz beweist mit ihrem Gedicht, das mit der Zeile "Weiße Milch der Kühe wir trinken sie täglich" anhebt, nicht nur eine präzisere Farbwahrnehmung als ihr Kollege Celan, sondern auch mehr humoristisches Talent.

Titelbild

Carola Rönneburg: Oben lag der Apennin unten legte ich mich hin. Feine Reime.
Edition Nautilus, Hamburg 1998.
112 Seiten, 10,10 EUR.
ISBN-10: 3894012919

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch