Der Autor und sein Werk

Hamsun, Céline, Benn und andere Beispiele

Von Eckart LöhrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eckart Löhr

Es ist wahr, dass die poststrukturalistische Literaturtheorie circa vierzig Jahre alt ist. Dabei ist sie aber noch  hundertfünfzig Jahre aktueller als die romantische Theorie, was naturgemäß erst einmal nichts über ihren Wahrheitsgehalt aussagt. Dennoch glaube ich, dass ihre Implikationen bei der Betrachtung und Beurteilung moderner Literatur im Speziellen und auch der Literatur im Allgemeinen wichtig und unverzichtbar sind.

Dass die Textstellen von Roland Barthes in Anführungszeichen gesetzt sind, stimmt nur zum Teil, denn an einer Stelle heißt es „sobald etwas erzählt wird um des Erzählens willen, also fiktional ist, löst sich der Autor vom Text. Der Text verliert seinen Ursprung, beginnt ein Eigenleben und fängt an sich selbst fortzuschreiben, wobei die Sprache zwar ein Subjekt kennt, aber keine Person.“

Im Original klingt das so: “Sobald ein Ereignis ohne weitere Absichten erzählt wird – also lediglich zur Ausübung des Symbols, anstatt um direkt auf die Wirklichkeit einzuwirken – vollzieht sich diese Ablösung, verliert die Stimme ihren Ursprung, stirbt der Autor, beginnt die Schrift.“ Und an anderer Stelle: „Die Sprache kennt ein ,Subjekt‘, aber keine ,Person‘.“ Ich habe also zwei Textstellen verwendet und – mehr schlecht als recht – paraphrasiert wiedergegeben. Habe ich abgeschrieben?

Soweit sich das überblicken lässt hat auch die Autorin Hegemann Textstellen übernommen, verändert und in neue Zusammenhänge gestellt.

Wenn Thomas Anz schreibt, dass die „Rückkehr des Autors“ sich mittlerweile nicht mehr ignorieren lässt, hat er damit sicher Recht. Die Frage ist nur, ob das ein Fort- oder Rückschritt innerhalb der Literaturkritik darstellt? (Wohlgemerkt innerhalb der Literaturkritik, nicht innerhalb der Literaturwissenschaft!)

Sehen wir uns einmal einen Autor an, dessen Biographie moralisch fragwürdig ist, den norwegischen Literaturnobelpreisträger Knut Hamsun (es könnte auch Louis-Ferdinand Céline, Gottfried Benn oder Ezra Pound sein). Knut Hamsun hat mit den Nationalsozialisten sympathisiert und sich durch einige unverzeihliche Äußerungen zu Recht politisch unmöglich gemacht. Wenn ich nun um die politische Gesinnung dieses Autors weiß und sie in Verbindung mit seinem Werk bringe, um dieses zu beurteilen, tue ich dem Werk Unrecht, da ich es in seiner Bedeutung festlege. Mit diesem Wissen ließe sich Hamsuns Roman „Segen der Erde“ mühelos als Blut-und-Boden-Literatur lesen. Nein, er ließe sich nicht nur als Blut-und-Boden-Literatur lesen, sondern möglicherweise müsste man ihn so lesen. Natürlich ist „Der Segen der Erde“ kein Blut-und-Boden-Roman, sondern ein Werk, das man – wie auch andere Werke Hamsuns – ohne Zweifel in einem Atemzug mit den Romanen Dostojewskis oder Thomas Manns nennen kann – ohne die Autoren sonst in irgendeiner Weise vergleichen zu wollen. Ich wage zu behaupten, dass gerade die Übertragung der Biographie Hamsuns auf seine Romane ihm sozusagen literarhistorisch das „Genick gebrochen“ hat.

Ähnlich steht es wohl auch mit Céline, obwohl er mit seinem Roman „Reise ans Ende der Nacht“ wohl eines der größten literarischen Werke des 20. Jahrhunderts geschaffen hat. (Charles Bukowski nannte es das beste Buch, das in den letzten zweitausend Jahren geschrieben wurde.)

Gottfried Benn hat seinen Irrtum – wenn auch viel zu spät – bemerkt, dies in dem berühmten Briefwechsel mit Klaus Mann auch dargelegt und so sein großartiges Werk vor dem Vergessen gerettet.

Die späten Schriften Friedrich Nietzsches wären das Werk eines Wahnsinnigen und somit keiner weiteren Beachtung Wert und Thomas Manns Romane ließen sich nur vor dem Hintergrund seiner unterdrückten Homosexualität lesen.

Diese wenigen Beispiele zeigen bereits die Unmöglichkeit einer Gleichsetzung von Autor und Werk. Das Werk steht in der Regel höher als derjenige, der es verfasst hat (so schrieb Jean-Paul Sartre über Martin Heidegger) und aus diesem Grund sollte dem Autor auch in der „Post-Post-Moderne“ nicht zu viel Beachtung geschenkt werden. Vielleicht liegt es gerade an unserer völligen Unkenntnis der Biographien von Shakespeare oder Homer – um nur zwei bekannte Beispiele zu nennen – dass wir noch immer, über die Jahrhunderte hinweg, ihre Texte vorurteilsfrei lesen und genießen können.

Das alles hat uns jetzt ein wenig von der eigentlichen „Plagiatsdebatte“ entfernt, ist aber auch Teil der Diskussion.

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde zuerst in unserem Kulturjournal veröffentlicht. Dort finden Sie weitere Beiträge und Hinweise zu der Debatte.