Einzigartige sprachliche Kraft

Über Maria Angels Angladas Auschwitz-Roman

Von Winfried StanzickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Winfried Stanzick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vorliegende Roman der 1930 in Vic in Katalonien geborenen und 1999 in Barcelona gestorbenen Autorin Maria Angels Angladas ist tatsächlich die literarische Entdeckung, die der Verlag in seiner Ankündigung beschreibt. 1996 erschien das Buch erstmals auf Katalanisch in Barcelona, doch erst seine Übersetzung ins Spanische elf Jahre später verschaffte ihm seinen unglaublichen internationalen Durchbruch mit weiteren Übersetzungen in mittlerweile über einem Dutzend Ländern.

Jorge Semprun, selbst Überlebender eines KZ’s der Nazis hat viel zu dem Erfolg beigetragen, denn er nannte „Die Violine von Auschwitz“ von allen Texten über die Lager der Nazis, die nicht von Überlebenden stammen, als jene Erzählung, die die meiste Wahrheit transportiere. Er war von dem Buch so bewegt, dass er ein Drehbuch verfasste, das bislang aber auf eine Verfilmung wartet.

Maria Angels Anglada kleidet ihre Geschichte in eine Rahmenhandlung: Im Dezember 1991 lernt der Musiker Climent bei einem Gastspiel in Krakau die polnische Geigenspielerin Regina kennen. Er ist von dieser Geigerin, ihrem Spiel und vor allem von ihrem Instrument dermaßen beeindruckt, dass er unbedingt wissen möchte, was es mit Reginas Instrument auf sich hat. Und Regina erzählt ihm die Geschichte der „Violine von Auschwitz“ und übergibt ihm beim Abschied ihre mühsam ins Englische übertragenen Aufzeichnungen. „Du musst sie Angels geben, dachte ich nach den ersten paar Seiten…“.

Das hat er getan, und Angels hat einen Roman daraus gemacht, wie man ihn so tatsächlich in der Literatur über Auschwitz, in dieser Kraft und Stärke selten gelesen hat.

Erzählt wird von dem jüdischen Geigenbauer Daniel, der im Dreiflüsselager, einem Nebenlager von Auschwitz, inhaftiert ist. Demütigende Arbeit bis weit über den Rand der Erschöpfung hinaus, katastrophales Essen und unvorstellbare hygienische Bedingungen kennen wir aus den Berichten von Primo Levi und vielen anderen. Daniel findet immer wieder Freunde, die ihm das Überleben im Lager ermöglichen. Doch seine größte Bewährungsprobe hat er zu bestehen, als der Lagerkommandant ihm den Auftrag erteilt, eine Geige nach den Maßen einer Stradivari zu bauen.

Dieser eigentlich unerfüllbare Auftrag gibt Daniel Auftrieb. Während seiner akribischen Arbeit unter letztlich unmöglichen Bedingungen an der Geige kann er für kürzere Zeitabstände die Gräuel und die Todesherrschaft des Lagers vergessen und flieht phasenweise in seine eigene Welt, in der die Schönheit, die Eleganz und die Anmut der Musik und der sie hervorbringenden Instrumente dominieren.

Doch es dauert nicht lange, da erfährt Daniel, dass die ihm gestellte Aufgabe Teil einer unmenschlichen Wette ist. Für den Fall, dass die Geige nicht den Vorstellungen des Lagerkommandanten entsprechen sollte, muss Daniel als Versuchskaninchen für die berüchtigten Experimente des KZ-Arztes Rascher zur Verfügung stehen. Dessen Unterkühlungsexperimente sind im ganzen Lager berüchtigt und haben auch schon vielen Menschen das Leben gekostet. Daniel weiß nicht, bis wann er die Geige fertig stellen muss, er weiß nur, das ihm wenig Zeit bleibt.

Maria Angels Anglada hat aus dem ihr vorliegenden Material einen authentischen Roman gemacht, dem es auf 160 Seiten gelingt, eine Dichte und eine sprachliche Kraft zu entwickeln, die ihn zu den außergewöhnlichsten literarischen Zeugnissen über Auschwitz macht.

Titelbild

Maria Àngels Anglada: Die Violine von Auschwitz. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Theres Moser.
Luchterhand Literaturverlag, München 2009.
171 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783630873268

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