Der US – Ulysses

Mit „Die Abenteuer des Augie March“ entwirft Saul Bellow ein vielfältiges Panorama der amerikanischen Gesellschaft

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der amerikanische Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Saul Bellow (1915-2005) war der Sohn russischer Einwanderer. Geboren in Kanada, lebte er seit 1924 in Chicago. Er studierte Anthropologie, Soziologie und Literaturwissenschaft und war zunächst als Lehrer und Journalist sowie später als Universitätsprofessor für Literatur tätig.

1944 erschien sein literarisches Debüt „Mann in der Schwebe“, in dem ein junger Mann seine Erfahrungen in Tagebuchform wiedergibt. Dieser beachtliche Erstling erregte sofort viel Aufmerksamkeit. Wenig später folgte der Roman „Das Opfer“ (1947), in dem Bellow Judenhass und Verfolgung beschrieb. In diesen beiden frühen Romanen wie auch in „Die Abenteuer des Augie March“ (1953) setzte sich der Autor insbesondere mit dem Drang nach Erkenntnis des eigenen Ichs und der gestörten Beziehung des Individuums zu seiner Umwelt auseinander.

Nach der „Opfer“-Veröffentlichung arbeitete Bellow an einem ernsthaften – oder wie der Autor selbst bekannte – an einem „finsteren“ Thema, mit dem er nur mühsam vorankam. Deprimiert und verzweifelt verbrannte er schließlich etwa 300 Manuskriptseiten und stürzte sich auf ein Projekt, das er bisher nur nebenher, gewissermaßen als „Fantasieurlaub“ betrieben hatte: es war sein neuer Roman „Die Abenteuer des Augie March“.

Der junge Augie March aus dem jüdischen Viertel Chicagos versucht, seinen eigenen Weg zu gehen. Seinen Vater hat er nie gekannt und seine Mutter ist eine hilflose, fast blinde Frau. Er ist ein Außenseiter, der eine Niederlage nach der anderen einstecken muss. Mit gelegentlichen Jobs wie als Zeitungsbote, Chauffeur, Verkäufer oder Hundeführer verdient er sich seinen Lebensunterhalt. Ein unersättlicher Lebenshunger und Wissensdurst treiben ihn ständig voran. Immer ist Augie auf der Suche nach der beruflichen Selbstständigkeit, doch bei seinen vielfältigen Jobs ist er nur Zuarbeiter, stets muss er sich unterordnen.

Da lernt Augie die reiche Familie Renling kennen, in deren vornehmem Sportartikelgeschäft er als Verkäufer arbeitet, doch als man ihn adoptieren will, flieht er. Auch die Verlobung mit der Kusine eines reichen Kohleunternehmers platzt. Schließlich verliebt sich Augie – inzwischen in New York gestrandet – in Thea, eine hinreißende und reiche Frau. Gemeinsam brechen die Liebenden nach Mexiko auf, wo sie Eidechsen mit einem zahmen und dressierten Adler fangen wollen. Der Plan und somit das große Geld lösen sich jedoch nach einem Unfall in Luft auf.

Augie kehrt allein nach New York zurück, wo er eine neue Liebe findet. Zum wiederholten Mal beginnt er ein neues Leben, und das Schicksal treibt ihn nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich bis nach Paris. „Ich bin überallhin unterwegs! Ja, ich bin eine Art Kolumbus des Naheliegenden“, resümiert der Umtriebige am Schluss des Romans.

„‚Die Abenteuer des Augie March‘ ist das bedeutendste literarische Werk, das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Amerika geschrieben wurde. Es ist unser ‚Ulysses‘“, lobte Philip Roth einst den Roman. Tatsächlich stellt das Werk neben „Herzog“ (1964) und „Humboldts Vermächtnis“ (1975) einen Höhepunkt in der schriftstellerischen Karriere von Saul Bellow dar.

„Die Abenteuer des Augie March“ ist ein großer Entwicklungsroman, in dem der Held versucht, sein bisheriges Lebensschicksal zu wenden. Trotz aller Irrungen und Enttäuschungen glaubt der Lebenskünstler Augie March an eine Zukunft. Bellows Erzählmethode ist realistisch, prall gefüllt mit brillanten Schilderungen der unterschiedlichen Milieus, verbunden mit einem derben Humor und satirischen Elementen. Fast unmerklich wird der Leser ebenfalls zu den Fragen der gesellschaftlichen Moral hingeführt. Außerdem trägt der Roman, der nach über fünfzig Jahren immer noch zu begeistern weiß, mit Sicherheit einige autobiografische Züge des Autors.

Titelbild

Saul Bellow: Die Abenteuer des Augie March. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen Englisch von Hennings Ahrens.
Kiepenheuer & Witsch, Kölm 2008.
860 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783462039634

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