Auf der Suche nach der Postmoderne

Über Uwe Wittstocks Essaysammlung: „Nach der Moderne“

Von Norbert KugeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Norbert Kuge

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Kontroverse um den Roman „Axolotl Roadkill“ von Helene Hegmann und die Diskussion über die Rolle des Autors sowie über den Plagiatsbegriff haben gezeigt, dass sich auch heute noch trefflich über die Rolle und Inhalte der Literaturkritik streiten lässt. Da trifft es sich gut, dass Uwe Wittstock einen Interpretationsband mit Aufsätzen zur deutschen Gegenwartsliteratur vorgelegt hat. In diesen Aufsätzen analysiert er fachkundig elf Autoren und deren Werke im Kontext der Moderne und Postmoderne. Seine Eingangsthese, dass sich „in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren […] viel verändert hat“ für Schriftsteller deutscher Sprache, belegt er in seinem Einleitungsessay und in den Einzelanalysen anhand vieler Beispiele.

In Deutschland wollte man sich lange nicht den neuen Einsichten und den Zweifeln an vielen Aspekten der ästhetischen Moderne öffnen, und so sah sich die Literatur noch in den 1970er-und 1980er-Jahren „eng umstellt von Verbots- und Gebotsschildern“ der Literaturtheorie. Endgültig setzte sich die kritische Sicht der Moderne in der Literatur ab den 1990er-Jahren durch. Spätestens nach Jean-Francois Lyotards „Das postmoderne Wissen“ setzte sich auch in Deutschland der Begriff der Postmoderne durch. Die Postmoderne präsentierte eine neue Vielfalt der Themen und Formen in der Literatur gegenüber den „großen Erzählungen“ der Moderne.

Dies zeigt Wittstock an Texten der „Klassiker“ Heiner Müller und Hans Magnus Enzensberger, in Essays über Robert Gernhard, Christoph Ransmayer und Martin Mosebach bis hin zu Daniel Kehlmann und Dirk von Petersdorff. Die Auswahl der Autoren ist sicher der Vorliebe Wittstocks für bestimmte Autoren und deren Texte geschuldet, andererseits bietet er schon einen Querschnitt durch die deutsche Literatur und es überrascht, wenn er auch Autoren wie Max Goldt, Dea Loher und Dirk von Petersdorff aufnimmt. Im ersten Kapitel, das den theoretischen Background liefert, präzisiert Wittstock seine Überlegungen zur Theorie der Postmoderne in Abgrenzung zu der Nachmoderne und den vergangenen Epochen. Mit der These, dass die Autonomie der Kunst obsolet geworden sei, plädiert er für eine Pragmatik der Literaturkritik. Man kann Wittstock auch weiter nur darin zustimmen, zwischen der politischen Moderne und der ästhetischen Moderne zu unterscheiden. Es ist evident, dass mit dem Traum der allumfassenden Weltrevolution auch der Traum von umfassenden einheitlichen Denksystemen ausgeträumt ist. Diesen Absolutheitsanspruch hat die Postmoderne aufgegeben, sie „will Grundüberlegungen der Moderne lediglich zuspitzen“.

Nach diesen grundsätzlichen Ausführungen über die Voraussetzungen seiner Literaturkritik wendet der Autor sich den elf Schriftstellern zu. Er verortet sie sowohl biografisch als auch literaturtheoretisch. So belegt er bei Heiner Müller und Wolfgang Hilbig deren spezifische literarische Sozialisation in der DDR, zeigt aber auch die Unterschiede in den Vorbildern und Schreibanlässen auf. Ein anderer Autor, Christoph Ransmayer, gehört für Wittstock „zu den beneidenswertesten Sprachkünstlern der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“. Bei ihm sind es der Verfall und der Untergang, der seine Fantasie befeuert, wie er auch stets von der Spannung zwischen Zentrum und Peripherie erzähle. In der Peripherie gibt es einen Moment von Freiheit, von Einsicht in die Vergeblichkeit des Seins, obwohl es auch immer eine Flucht dorthin ist. In seiner Analyse der Romane Ransmayers wird deutlich, dass Wittstock sich gerne mit Büchern beschäftigt, die von der Literaturkritik und im Feuilleton eher negativ oder nur beiläufig rezensiert worden sind. Er zeigt in seiner Analyse, was an den Romanen übersehen und falsch analysiert wurde. Dies macht er nicht mit großer Geste, sondern zeigt es an Motiven, an der Sprache und Erzählstruktur und stets so, dass der Leser es auch nachvollziehen kann.

Ob man ihm dann immer zustimmt, ist eine andere Sache. Dieses Verfahren gelingt Wittstock vor allem bei Daniel Kehlmanns „Vermessung der Welt“, wo es ein Genuss für den Leser ist, nachzulesen, wie er den Roman gegen seine Verächter verteidigt und detailliert nachweist, wie Kehlmann die als unverzichtbar geltenden Modernitätsgebote ignorierte. „Er ist nicht experimentell, nicht in aufdringlicher Weise sprachskeptisch und versucht nicht um jeden Preis mit lang gepflegten Erzähltraditionen zu brechen.“ Trotzdem gelinge Kehlmann ein brillant geschriebener Roman, der „dramaturgisch meisterhaft gebaut, schon deshalb höchst unterhaltsam und nachweislich enorm publikumswirksam“ ist.

Wie im Fall Kehlmann geht es Wittstock bei den Texten der anderen Autoren vor allem darum, deren Vorzüge und Besonderheiten zu zeigen, ohne dass er in jedem Fall mit den Intentionen des Autors übereinstimmt. So auch bei Martin Mosebach, dem er zwar eine teilweise reaktionäre Haltung und seinen Texten eine antimoderne Einstellung und Grundhaltung bescheinigt, ihm aber konzediert, keine ideologische Traktate zu verfassen, sich vielmehr durchaus typischer Stilmittel der ästhetischen Postmoderne zu bedienen und „damit letztlich der Sehnsucht der politischen Moderne nach Freiheit und Gleichheit literarischen Ausdruck verschafft.“

Es dürfte nach dem bisher Gesagten deutlich geworden sein, dass Wittstock dafür plädiert, „den Begriff ‚postmodern‘ sparsam zu verwenden und bei Verwendung genau anzugeben, was darunter zu verstehen ist.“ Die Aufsätze machen Lust auf eigene Lektüre und zeigen, dass man sich nicht durch literaturtheoretische Vorgaben festlegen lassen, sondern sich immer wieder auf den jeweiligen Text und den Autor neu einlassen sollte.

Titelbild

Uwe Wittstock: Nach der Moderne. Essay zur deutschen Gegenwartsliteratur in zwölf Kapiteln über elf Autoren.
Wallstein Verlag, Göttingen 2009.
192 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783835305618

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