Wie ein echter Italiener: con passione desperata

Über Michael Klonovskys Puccini-Biografie „Der Schmerz der Schönheit“

Von Jürgen WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Giacomo Puccini (1858-1924) von Zweifeln reinwaschen zu wollen, scheint dem Laien ein müßiges Unterfangen, gilt er doch gerade spätestens seit seinem Jubiläumsjahr (2008) als Operngenie. Doch Klonovskys polemische Druckschrift wendet sich auch gar nicht an den Anfänger, vielmehr haben wir es hier mit einer Operngeschichte für Fortgeschrittene zu tun. Denn der Autor will sein Objekt der Begierde gegen die wüsten Angriffe seiner Kritiker verteidigen. Puccini hatte sich nicht zuletzt mit „Mi chiamono Mimi“ aus „La Bohemè“ in die Herzen der Musikliebhaber aller Welt gespielt. Zuletzt sorgte seine Oper „Tosca“ bei den Bregenzer Festspielen 2009 für Furore. Allen Puccini-Verteidigungen zum Trotz steht dieses Jahr in Bregenz allerdings wieder ein Werk von Giuseppe Verdi auf dem Programm: Aida.

Wobei wir bei der Frage wären: Hoch- oder Massenkultur. Was macht Verdi gegen Kritik so immun und warum muss Puccini gegenüber Opernkritikern von Klonovsky in Schutz genommen werden? Eine mögliche Antwort darauf gab Bernhard Neuhoff im Bayrischen Rundfunk: „In Italien standen sich um 1900 Hochkultur und Massenkultur noch nicht so unversöhnlich gegenüber wie in Deutschland und Österreich. Nördlich der Alpen wurde damals entweder avanciert oder massentauglich komponiert: hie Mahler, Schönberg, Strauss; da Lehar und Konsorten. In Italien stellte sich diese Alternative noch nicht. Was auch erklärt, warum es keine italienischen Operetten gibt: In Italien war und ist die Oper ein Volksvergnügen – und wo es Puccini gibt, braucht man keine Operetten.“ Selbiges könnte also auch für Verdi gelten?

Puccini habe die Oper für mindestens „hundersiebzehn“ (sic!) Jahre gerettet, schreibt Klonovsky, „bis diese holdeste und zugleich durchgeknallteste aller Kunstgattungen endgültig zu Tode experimentiert und banalisiert und regietheatergeskapert“ worden sei. Schon in den ersten Zeilen des Autors wird also seine wütende Grundhaltung gegenüber den Puccinikritikern offensichtlich, er will – wenn nicht eine Ehrenrettung – so doch zumindest eine Apotheose für sein Idol herbeischreiben. Der Autor gesteht in seinem kämpferischen Ton auch ein, ein „entschieden hitz- und starrköpfiger Rangordnungsaufsteller“ zu sein. Soviel wollte man von einem Fachmann über sich selbst gar nicht erfahren – und auch Phrasen wie „der Verzapfer (sic!) solcher Aussagen gehöre zusammengehauen“ lesen sich in einem wissenschaftlich daherkommenden Text überraschend. Dennoch: „Sein Metier nannte er bescheiden“ – und jetzt kommt Klonovsky endlich zu Puccini – „die Darstellung von ,großem Schmerz in kleinen Herzen‘“. Wer an die Zeilen der Tosca „Gli occhi ti chiuderò con mille baci e mille ti dirò nomi d’amore“ in der gleichnamigen Oper denkt, die sie ihrem Liebsten flüstert, bevor er erschossen wird, wird zumindest diese Aussage Klonovskys gerne unterschreiben. „O Scarpia, avanti a Dio!“ schreit sie, bevor sie sich von der Engelsburg in den Tod stürzt. Klonovskys „Mikrokosmiker der Liebe“ hätte eigentlich gar keine Verteidiger nötig und wenn, dann solche, die weniger polemisch und mehr sachlich daherkämen, mehr über die zu behandelnde Person und weniger über sich selbst sprächen, wobei dem Rezensenten gerade die subjektive Färbung Klonovskys so gut gefällt.

Jeder, so Klonovsky, sei „des Zaubers bedürftig, den der Magier aus Lucca“ anbiete. Die Musik Puccinis sei wie ein Spiegel, der einem zeigt, wer man eigentlich sei. Sie verspreche sogar eine wunderbare Veränderung: „Der erschüttert weinende Mensch hat sich von den Dingen abgekehrt und Fühlung zum Dasein als Ganzem aufgenommen.“ Wem das bei Puccini noch nicht passiert ist, dem kann man getrost Weltfremdheit unterstellen.

Con passione desperata habe er im Gegensatz zu Massenet seine „Manon Lescaut“ behandelt, wie ein richtiger Italiener eben und nicht mit „Puder und Menuett“ wie es die Franzosen täten. Wie Klonovsky drastisch ausführt, würde sogar das Herz eines Roten Khmer von Puccinis Manon-Version erweicht werden. Dem Textbuch von „La Bohemè“ wirft Klonovsky zwar dramaturgische Schwächen vor, aber der Bruch der Logik habe dem großen Kunstwerk dennoch nicht schaden können. Puccini sei kein „Geistesmensch“ (sic!) wie Richard Wagner gewesen, sondern habe eben „emotional und mitunter ,unlogisch‘“ charakterisiert. In der „Fanciulla del West“ verortet Klonovsky die „Sachlichkeit“ – und das „quecksilbrige Flimmern“ der Bohemè sei passè, die Musik komme endlich zu ihrer Ruhe. Der „Lucceser Prometheus“ hätte sich in seine Figuren immer hineinfühlen müssen, er sei ein „librettoabhängiger Komponist“ gewesen und hätte nur erfinden können, was er auch empfand. Alles in allem sei für Puccini sowohl das 19. als auch das 20. Jahrhundert und erst recht die Moderne ein viel zu enger Rahmen. Klonovskys glühende Hommage neigt bisweilen aber zu extrem blumigen Formulierungen. Im Vergleich zwischen der Minnie aus Fanciulla del West und der Floria Tosca aus der Oper Tosca schreibt er: „Freilich wirkt diese Saloon-Maid, was ihre erotische Ausstrahlung anbetrifft, neben Tosca ungefähr wie Audrey Hepburn neben Emmanuelle Beart.“ Wenn man bedenkt, dass sich Maria Callas gerade an der Hepburn als Schönheitsideal maß, dann mag man verwundert sein. Puccini sei einer der größten Empathiker in der Geschichte der Kunst gewesen – und zwar im konventionellen Wortsinne. Selbst Scarpia, den Polizeichef in der „Tosca“, vermöge Puccini als schreckliches Vorbild noch später folgender Schrecken vorwegzunehmen. Klonovsky hat sein Objekt der Begierde sehr subjektiv beschrieben, wie ein echter Italiener eben, con passione desperata.

Titelbild

Michael Klonovsky: Der Schmerz der Schönheit. Über Giacomo Puccini.
Berlin Verlag, Berlin 2008.
302 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783827007711

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