„Der Goldfisch meiner Schwester“

In ihrem aktuellen Roman erzählt die Autorin Lisa Gabriele die Geschichte zweier ungleicher Schwestern

Von Frauke SchlieckauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Schlieckau

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie ein anspruchsvoller, aber thematisch klassischer Frauenroman aussehen sollte, das könnte sich manche deutsche Autorin bei der Kanadierin Lisa Gabriele abschauen. Deren aktueller Roman „Der Goldfisch meiner Schwester“ zeigt, dass Bücher dieses Genres nicht nur gut geschrieben und konstruiert sein können, sondern darüber hinaus mitunter auch komplexe Charaktere in den Mittelpunkt der Geschichte stellen. Lisa Gabrieles Roman, der in New York und der kanadischen Provinz spielt, erzählt die Geschichte von zwei Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten: „Peachy ist mit zwanzig Mutter geworden, hat geheiratet und lebt mit ihrer Familie noch immer auf der Farm ihres Vaters. Ihre Schwester Beth hingegen hat sich zu einer exzentrischen Karrierefrau entwickelt, die ihre Mitmenschen ebenso terrorisiert wie fasziniert. In ihre ländliche Heimat kehrt sie nur zurück, um sich von ihrem Vater Lou einem begnadeten Friseur die Haare schneiden zu lassen. Bei einem dieser Besuche kommt es zum Eklat, der zwischen den beiden Schwestern alles verändert. Peachy, die ewige Zweite, verdonnert Beth daraufhin, ihren Haushalt zu schmeißen, während sie selbst nach New York fliegt, um herauszufinden, wie ihr Leben auch hätte verlaufen können.“

Peachys Aufenthalt in New York entpuppt sich als radikaler Einschnitt, der nicht nur an ihrem bisherigen Lebensmodell rüttelt, sondern sie auch dazu zwingt, die Beziehung zu ihrer unvernünftigen Schwester zu überdenken. Dass Lisa Gabriele die Geschichte aus der Sicht der besonnenen und durchschnittlichen Peachy erzählt – in einer ersten Version hatte sie versucht die Perspektive von Beth einzunehmen – kommt der Geschichte zu Gute, kann sich doch die durchschnittliche Leserin erstens mit der normalen Peachy identifizieren, zweitens wird dadurch, dass der Schwerpunkt auf der kanadischen Farm Peachys und nicht auf Beth’ überstyltem New Yorker Appartement liegt, vermieden, dass die Handlung eine kitschig-oberflächliche Note erhält.

Gabrieles Stärke liegt darüber hinaus eindeutig in der Konzeption ihrer Charaktere, vielschichtig, glaub- und liebenswürdig sind die zwei Schwestern als Gegenpole angelegt, deren Verhaltensweisen und Unterschiede sich durch Rückblicke in die gemeinsame Kindheit erklären. Dadurch setzt sich nach und nach nicht nur die Geschichte zweier Frauen, sondern einer ganzen Familie zusammen, denn um Peachy und Beth hat die Autorin deren suizidgefährdete Mutter Nell, ihren langhaarigen Hippie-Vater Lou, Peachys Ehemann, der – was natürlich Konfliktpotenzial birgt – auch Beths ehemalige High-School-Liebe Beau sowie Peachys epileptischen Sohn Sam und dessen kleinen Bruder Jack angesiedelt.

Die Liste der verschrobenen und liebenswerten Charaktere lässt sich auf der New Yorker Seite fortsetzen. So lernt Peachy während ihres Aufenthaltes im Big Apple Beth’ verrückte polnische Freundin Nadia kennen. Wie es sich für einen Frauenroman gehört, entzündet sich der Konflikt zwischen Beth und Peachy natürlich am männlichen Geschlecht. Eigentlich aber, und das ist das Besondere, nutzt Gabriele die Beziehung der beiden Frauen zu den verschiedenen Männern, um deren Charaktere und Entwicklungslinien zu unterstreichen und ist daher nicht in erster Linie als Liebesgeschichte, sondern als Geschichte zweier Schwestern zu lesen, die trotz aller räumlicher, charakterlicher und moralischer Differenzen eng verbunden bleiben. Zum Gelingen des Romans trägt auch das wohldurchdachte Ende bei, das zwar die Anforderungen, die an einen Frauenroman gestellt werden, erfüllt, dennoch aber auf ein allzu rosa-rotes Happy End verzichtet.

Titelbild

Lisa Gabriele: Der Goldfisch meiner Schwester. Roman.
Übersetzt aus dem kanadischen Englisch von Annette Hahn.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2010.
284 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783746625812

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