Die Welt ist im Kopf, aber nicht in diesem Buch

Christoph Poschenrieders Roman „Die Welt ist im Kopf“

Von Norbert KugeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Norbert Kuge

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nun also ein Roman über den jungen Arthur Schopenhauer und seine Reise nach Venedig im Jahre 1818/19. Diese Reise und die gleichzeitige Anwesenheit Lord Byrons in Venedig bilden den historischen Kern der Geschichte, der Rest ist Fiktion.

Worum geht es? Der junge Schopenhauer hat sein Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ fertig gestellt und will es so schnell wie möglich von seinem Verleger Brockhaus veröffentlicht sehen. Die Veröffentlichung des Werkes verzögert sich, Schopenhauer überwirft sich mit Brockhaus und reist von Dresden über Weimar und Wien nach Venedig. Von Goethe hat er eine Empfehlung an Lord Byron erhalten, der damals in Venedig lebte. Auf seiner beschwerlichen Reise nach Italien lernt er den Studenten Fidelis kennen, wird von der Polizei Metternichs kontrolliert und fälschlich als möglicher Aufrührer angesehen. In Venedig lernt er das junge Mädchen Teresa kennen und lieben. Er sieht zwar Lord Byron am Lido Strand reiten, spricht ihn aber nicht an.

Der Erzählstrang mit den Erlebnissen Schopenhauers wird verknüpft mit einigen Nebenhandlungen wie den Erlebnissen des Studenten Fidelius von Morgenrot, dem Auftreten der Primadonna Catalani und anderen Figuren sowie mit dem historischen Background der Zeit um 1818. So wird von einem Treffen der damals Mächtigen in Europa berichtet sowie von der Arbeit der Geheimpolizei Metternichs, die auch Schopenhauer und Fidelis von Morgenrot überwacht. Dies alles böte genügend Stoff für einen guten Roman, leider ist nur ein blasser Beschreibungs- und Unterhaltungsroman daraus geworden. So wie das mehrmalige Zitieren des Denkers durch Fidelis dem Leser die Philosophie Schopenhauers nicht evident werden lässt, so genügen auch die Namen Metternich, Kaiser Franz, Richelieu und Preußen König Friedrich Wilhelm nicht, um die historische Situation wirklich zu evozieren.

Alles wird gesagt, oft detailgenau beschrieben, aber nichts wirklich erzählt. So entsteht aus diesen Beschreibungen und Schilderungen keine spannende Romanhandlung, sondern lediglich eine Vielzahl von Episoden und beschriebenen Objekten. Es gibt keine satirischen Überzeichnungen zum Beispiel der polizeistaatlichen Maßnahmen, keine Ironie, alles wird ganz nett geschildert, manchmal sogar lustig, aber es entsteht kein stimmiges Ganzes. Hinzu kommt, dass Schopenhauers Reise und sein Aufenthalt nichts wirklich Aufregendes bieten. Die Gondelverfolgungsjagd ist eher Slapstick als eine glaubhafte Polizeiaktion. Die Reiseepisode, als Schopenhauer aus Tierliebe ein Pferd rettet, soll wohl auf Nietzsche verweisen, aber ansonsten plätschert die Handlung dahin.

Von den „wilden Jahren der Philosophie“, wie Rüdiger Safranski diese Zeit in seiner Schopenhauer-Biografie charakterisierte, ist in dem Roman nichts zu spüren. Weder wird der junge Schopenhauer als Person und Denker kenntlich, noch das Besondere seiner Philosophie. Aber auch der historische und philosophische Hintergrund treten nicht plastisch hervor. Einmal Hegels Besuch in Weimar bei Goethe zu schildern, zeigt nur, dass der Autor sich informiert hat, eine Funktion in dem Roman hat diese Szene aber nicht. Dies ist schade, da der Autor ein Schopenhauer-Spezialist ist, im Roman allerdings ist nichts davon zu spüren. Der Autor hat alles in seine Erzählung gepackt: die Schwester Adele, die Mutter Johanna, Goethe, Lord Byron, die Geheimpolizei Metternichs – aber das alles ergibt keinen dramaturgisch geschickt aufgebauten unterhaltsamen Roman.

Es fehlt das Überraschende und Ungewöhnliche, das Schopenhauer oder das Geschehen von einer anderen Seite zeigte. Die fiktive Vaterschaft Schopenhauers in Dresden und das Gespräch der Schwester mit der vermeintlichen Geliebten darüber ist es jedenfalls nicht, auch diese Szene bleibt seltsam farblos und ohne Folgen im Romangeschehen. Die vielen Nebenschauplätze führen nicht dazu, das Bild Schopenhauers durch andere Perspektiven zu erweitern oder zu fokussieren, sondern erzeugen eher Ermüdung und Langeweile beim Leser.

Wenn Poschenrieder den anderen Schopenhauer zeigen wollte, den jungen liebenden, so benötigte er dazu aber als Folie den alten Schopenhauer. Da dieser im Roman nicht präsent ist, fehlt der Kontrast völlig und somit bleibt auch der junge Schopenhauer blass und belanglos. Natürlich gibt es gelungene Episoden im Roman, etwa wenn sich Schopenhauer in Venedig von einem Hund durch die Gassen führen lässt und auch die Auftritte Lord Byrons sowie seine Liebschaft mit einer anderen Teresa bleiben im Gedächtnis, weil sie eben nur angedeutet und nicht ausgedeutet sind.

Für den Leser bleibt noch etwas zu tun. Auch die Geschichte des Gondoliere Tita , der Schopenhauer hilft, sowie die Liebesgeschichte mit Teresa können halbwegs überzeugen. Aber es fehlt die Sinnlichkeit in den Situationen, alles wird nur behauptet und bloß benannt, es entsteht nicht aus dem Erzählten. Das ist schade, man hätte gerne etwas über diese aufregende Zeit, die philosophischen Ideen und Auseinandersetzungen erzählt bekommen, aber dazu bedarf es eben auch eines Erzählers und eines Erzählwiderstandes. Die Messlatte liegt seit Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ für derartige Romanbiografien doch recht hoch. Gemessen daran schlägt der Leser das Buch am Ende doch leider unzufrieden und enttäuscht zu.

Kein Bild

Christoph Poschenrieder: Die Welt ist im Kopf. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2010.
341 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-13: 9783257861921

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