Von echten Verbrechen

Pieke Biermanns Berichte über das Wesen wirklicher Kriminalität

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Ruhm Pieke Biermanns geht auf eine Reihe früher Kriminalromane zurück, die ihrerzeit im Berliner Rotbuch-Verlag erschienen sind. Krimis aus dem Berliner Milieu, die zugleich einen klaren emanzipativen Ansatz hatten und mit den männlich-chauvinistischen Gegenparts der starken Frauen, die offensichtlich die Zuneigung ihrer Autorin besaßen, nicht zimperlich umgingen. Da wurde mit den Gegenmaßnahmen zur männlichen Gewalt nicht lange gefackelt, sondern kräftig zurückgeschlagen, was den Figuren Biermanns gut zu Gesicht stand und den Krimis einige Aufmerksamkeit sicherte.

Biermann hat sich in den vergangenen Jahren eher zurückhaltend auf dem Krimimarkt bemerkbar gemacht. Mit einigen Reportagen für den Berliner „Tagesspiegel“ und den RBB, die zwischen 2003 und 2008 entstanden und die nun gesammelt erschienen sind, hat sie sich zwischenzeitlich jedoch intensiv der Realseite des Verbrechens zugewandt.

Denn auch wenn das fiktionale Verbrechen immer und vor allem eine symbolische Aktion ist und insbesondere den Blick einer Gesellschaft auf sich selbst reflektiert, ist so etwas wie ein Verbrechen jedoch ein Faktum.

Damit aber verliert es sein merkwürdig schillerndes, ja auch faszinierendes Gesicht, das die intellektuelle Bohème ebenso in den Bann gezogen hat wie die biederen und nicht so biederen Unterhaltungskrimischreiber. Es wird banal, es wird zum beiläufigen und es wird zum grausamen Akt, der die Betroffenen – Täter, Opfer, Familien, Umfeld – über die Tat selbst hinaus bestimmt.

„Kriminalität“, schreibt Biermann, „werde von Menschen gemacht und sie mache etwas mit Menschen.“ Sie sei ein umfassendes gesellschaftliches Faktum, das nicht nur psychologische Aspekte hat, sondern eben und ganz besonders auch wirtschaftliche und politische. Sie ist aber, wenn man Biermann beim Wort nimmt, keinesfalls jenes gesellschaftliche Abseits, jener Skandalon, als der ihn die fiktionale Literatur darstellen muss. Ganz im Gegenteil, die meisten Verbrechen endeten, medial gesehen, wenn überhaupt im Dreizeiler einer Meldung.

Dass sich dahinter mehr verbirgt, darauf richtet sich das Interesse Biermanns, wie bereits mit den Auftaktreportagen erkennbar wird. So zum Beispiel ökonomisches Interesse.

Das ist nämlich nicht nur Antrieb kriminellen Handelns – der große Coup, das schnelle Geld-, es provoziert es auch. So etwa in den nicht nur Berliner Billigmärkten, die weder Sicherungs- noch Überwachungsmaßnahmen kennen und in denen Billiglohnarbeiterinnen oft allein einen ganzen Laden betreuen. Einfache Opfer und leichte Beute für Kleingangster, die sich mittlerweile an neuen Gelegenheiten probieren müssen, nachdem sie bei Großmärkten, Kaufhäusern oder gar Banken keine Chance mehr haben.

Da sind die Geschäfte, in denen zwar vielleicht nicht so viel Geld zu holen ist, das Risiko aber verschwindend gering ist, eine attraktive Alternative. Allerdings tragen die Eigentümer und deren Geschäftsführer daran mit Schuld, denn der extreme Kosten- und Verhaltensdruck, den sie ausüben, führt dazu, dass diese Läden ungesichert bleiben und die Mitarbeiterinnen einem enormen Risiko ausgesetzt sind, als einzige eigentlich.

Denn sie sind es, die den Überfall aushalten müssen, sie sind es, die bedroht werden, sie sind es, die mit den psychischen Folgen leben müssen, sie sind es, die von Eigentümern und Geschäftsführern zusätzlich unter Druck gesetzt werden und die zudem ihre Existenzgrundlage, ihren Job riskieren.

Sie werden von Kriminellen und Geschäftemachern gleichermaßen attackiert, ohne echte Aussicht, dieser Situation je zu entkommen. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Angestellten sieht anders aus. Mit anderen Worten, die andere Seite der Kriminalität ist eine Gesellschaft, die sich um nichts schert als um den jeweils eigenen Vorteil.

Nicht minder banal und beiläufig, aber nicht minder grausam sind die Tode, von denen Biermann berichtet: die junge Frau, die verschwindet und von der anzunehmen ist, dass sie in Einzelteilen auf einer Müllhalde gelandet ist; der alte Mann, der in einen Schacht gestürzt ist und niemand weiß, wie das geschehen ist; die junge Frau, die von ihrem gewalttätigen Exgatten erstochen wird.

Es sind alltäglich Gewalttaten, von denen Biermann berichtet, beiläufig, parteiisch und ohne dass die Hintergründe mehr als nur skizziert würden. Und vielleicht ist das eben die positive wie die negative Seite der Kriminalreportagen Biermanns, dass für eine umfassende Analyse, wie sie der berühmte Gerhard Mauz für den „Spiegel“ schrieb, kein Platz bleibt.

Biermanns Reportagen bleiben Skizzen, was den gewöhnlichen Verbrechen eben auch entspricht. Die Gründe können nur angerissen, die Hintergründe nur grob erfasst werden. In ihrer Besonderheit kann sie, um den Altmeister Bertolt Brecht zu zitieren, die Opfer, an denen sie mehr interessiert ist als an den Tätern, nicht erfassen, weil auch ihr jeweiliges Schicksal, das gesellschaftlich bedingt ist, an diesen Besonderheiten nicht interessiert ist.

Das Allgemeine, Übergreifende ist es denn auch, was die Reportagen zu einem Gesamtbild zusammenfügt und was das Besondere der gesellschaftlichen Kriminalität kennzeichnet. Als Gegenprogramm zum raunenden oder zynischen oder auch selbstgerechten Gehabe vieler Krimis sind sie allemal zu gebrauchen. Viel mehr kann man nicht loben.

Titelbild

Pieke Biermann: Der Asphalt unter Berlin. Krimireportagen aus Berlin.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2008.
255 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783865321046

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