Mordtourismus

Carol O’Connell lässt in „Such mich!“die Route 66 wieder auferstehen – und sei es durch eine Kette von Gräbern

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

USA-Touristen ist sie wohlbekannt. Wer nicht auf den Spuren Karl Mays wandeln will, sondern auf denen des Summers of Love daherkommt, wird ihre Reste aufsuchen – denn die wohl berühmteste Straße der Vereinigten Staaten ist heute längst abgelöst von mehrspurigen Autobahnen, zerschlagen, aufgegeben, rückgebaut. Die Route 66 ist bestenfalls noch eine Erinnerung, aber immerhin eine mythenträchtige.

Darauf beruht auch die Idee zu Carol O’Connells „Such mich“ – und das auf doppelte Weise. Ein Mord führt Detective Kathleen Mallory auf die Spur eines Killers, der offensichtlich schon seit Jahren Kinder tötet und sie entlang der alten Route 66 vergräbt. Immer wieder finden sich die Leichen der Kinder, aber niemand kommt auf den Gedanken, dass die Opfer etwa gemeinsam haben – nämlich ihren Mörder. Dann werden die Indizien jedoch so überwältigend, dass gleich mehrere Polizeistellen sich um die Sache zu kümmern beginnen. Das führt zu den üblichen Konkurrenzen zwischen den lokalen Cops (gut) und den Bundesbehörden (FBI, unfähig), bei denen Mallory sich immer wieder als diejenige zeigt, die den Durchblick hat und Zusammenhändge herzustellen weiß, auf die sonst niemand kommt.

Dumm ist nur, dass sie sich zwar auf die Suche nach dem Killer macht, aber selbst daheim eine Leiche hinterlassen hat, die ihren Partner Riker dazu bringen, ihr so schnell wie möglich zu folgen. Denn wer weiß?

Das ist allerdings leichter gesagt als getan, denn Mallory fährt einen Käfer mit Porschemotor, der so ziemlich alles stehen lässt, was auch nur ansatzweise einen Motor zum Antrieb nutzt.

Die Sache wird noch komplizierter, weil Mallory nicht nur einem Mörder auf der Spur ist, sondern vor allem einer Route folgt, die ihr Vater (den sie nie kennengelernt hat) in zahlreichen, nie bei ihrer Mutter angekommenen Briefen beschrieben hat. Jede Station der Route 66 ist in diesen Briefen eine Geschichte, die gesamte Route ein Rahmen, und Mallory folgt der Spur, die diese Briefe legen, um am Ende ihren Vater zu finden. Mörder- und Vatersuche als ein und derselbe Vorgang?

Da wird es schon kompliziert, aber O’Connell setzt noch eins drauf. Denn nicht nur Mörder und Ermittler fahren die Route 66 entlang, auch ein Treck von Eltern, deren Kinder über die Jahre verschwunden sind, macht sich auf die lange Reise durch den nordamerikanischen Kontinent, um auf das Schicksal ihrer Kinder aufmerksam zu machen. Natürlich immer in der Hoffnung, dass sie nicht tot, sondern nur verschwunden sind.

Auf sie hat es der Mörder anscheinend besonders abgesehen, denn unter ihnen befindet sich auch ein Kind, das den Killer gesehen hat und ihn vielleicht wiedererkennen würde. Dieses Kind zu schützen ist Sache der Guten, es als Köder zu nutzen, Sache der Unfähigen unter den Polizisten.

Aber auch einige Erwachsene, die sich vom Treck entfernen, trifft es. Sie werden ermordet und als Richtungszeichen eingesetzt, wohin die Reise der kinderlosen Eltern gehen soll.

O’Connell montiert aus diesen Komponenten eine rasant geschriebene, gelegentlich ins Traumhafte diffundierende Geschichte, deren einziger Leitfaden die Route 66 ist. Alles dreht sich um sie, Vatersuche, Kindersuche, Mördersuche und Suche nach Lebenssinn, alles ist mit der Route 66 verbunden. Allerdings nicht mit dem, was heute noch von ihr übrig geblieben ist, sondern nur mit ihrer mythischen Gestalt, auch wenn sie einmal historisch gewesen sein sollte.

Das wirkt im Ganzen ein wenig gewollt, wie auch das Personal, das O’Connell einsetzt, ein bisschen konstruiert ist: Die Supercops Mallory und Riker, der Porsche-Käfer, die alten Freunde des Vaters, die selbstlos zu der Tochter stehen, die sie vorher noch nie gesehen haben, die dämlichen, gewissenlosen und deshalb wohl auch unfähigen FBI-Agenten, die schlampige Ermittlung, die mediengeilen Eltern, der Vater, der vergeblich Briefe an eine ferne Frau und deren Tochter schreibt, von der er annehmen muss, dass sie beide nicht mehr leben.

Das ist am Ende sogar ein bisschen psychedelisch zumindest in der Erinnerung, auch wenn die Tochter schließlich dem Vater in die Arme sinken darf – was vor allem kitschig ist. Aber was will man machen, wenn man eine amerikanische Krimischreiberin ist? Man muss doch seine Heldin belohnen! Immerhin gelingt es O’Connell, ihre arg kompliziert angelegte Handlung so zu organisieren, dass sie immer noch funktioniert und lesbar ist. Dafür verzeiht man auch die Schlussidylle, die im übrigen auch einfach ignoriert werden könnte.

Titelbild

Carol O'Connell: Such mich! Thriller.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Renate Orth-Guttmann.
Random House, München 2010.
479 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783442752553

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