Straßenköter-Image

„Ich hatte mal ein Problem in Marrakesch“: Das kosmopolitische Leben des Gonzo-Journalisten Helge Timmerberg ist spannender als jede Pauschalreise

Von Oliver DietrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Dietrich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Helge Timmerberg ist omnipräsent: nicht nur im Text seines Buches „Der Jesus vom Sexshop“, der vom Subjektivismus des Protagonisten erfüllt ist sondern bereits auf dem Umschlag. Da fläzt sich ein dandyhafter, elegant gekleideter Timmerberg auf einem roten Sofa vor der Kamera. „Der Jesus vom Sexshop“ steht zwischen seinem Namen und seinem Foto. Diesem Bild gelingt es tatsächlich, die gesamte Lektüre zu beeinflussen: Timmerberg erklärt die Welt, erzählt von sich, präsentiert sich als Überlebenskünstler und scheint zudem oft ziemlich stoned zu sein.

Seine betont lässige, saloppe Art mag so manchem durchaus auf die Nerven gehen, jedoch gelingt die Gewöhnung an diese recht schnell – sofern man sich darauf einlässt. Der Autor selbst scheint sich einige Semester Hunter S. Thompson genehmigt zu haben: als ein Journalist, welcher seine Stories vornehmlich zur Finanzierung seines heimatlosen, rasanten, rauschgetränkten Lebens benötigt und jene meist hektisch und verkatert in einem schlecht belüfteten Hinterzimmer in die Tastatur hämmert, traf dieser bereits vor knapp 40 Jahren den Nerv der Zeit. Kein Zufall natürlich: Thompson wird nicht nur in den persönlichen Kreis der Vertrauten aufgenommen, sondern hinsichtlich seiner Funktion als Vorbildfigur untersucht und letztlich demontiert.

In einer von der Globalisierung geprägten Welt, in welcher Entfernungen stetig zusammenschrumpfen, vormals exotische Ziele auch von weniger betuchten Touristen schnell und regelmäßig erreicht werden können und dadurch längst nicht mehr nur dem Jet-Set vorbehalten sind, dürften diese „Stories von unterwegs“ jedoch reißenden Absatz finden. Timmerberg beschreibt sein Leben selbst als ziel- und heimatlos, und während er es wagt, auch Wege abseits des Pauschal- und Club-Tourismus zu betreten, appelliert er dadurch an das Fernweh seiner Leserschaft.

Mitreißend geschrieben und mit lakonischer Selbstironie gespickt erscheinen einige Höhepunkte des Buches, wie die den Auftakt bildende Geschichte „Ein Hippie in Persien“, die Beschreibung eines Trips quer durch Kurdistan und Afghanistan in Richtung Indien, unternommen von einem grünschnabeligen Teenager im Hermann Hesse-Fieber der 1970er-Jahre – welcher schließlich mit Elephantiasis und gebrochenem Herzen in einem pakistanischen Krankenhaus strandet.

Spannend und wirklich höchst interessant auch die Beschreibung Nordkoreas („Sieben Tage im Reich der Angst“), eine politisch isolierte Parallelwelt in verstörender Betonoptik. An diesem Beispiel kann man Timmerberg durchaus dankbar sein, keinen nüchtern-beobachtenden Journalismus zu pflegen, sondern klare, zynische Bewertungen vorzuziehen: „Kein Telefon, keine Reisemöglichkeiten, keine Reisefreiheit, nichts. Stattdessen totale Kontrolle, totale Gängelung, totale Lügen“.

Dennoch finden sich auch einige Wermutstropfen in diesem Buch: Timmerbergs Blick auf die Welt wird zu oft verschleiert durch die Hormone, welche ihm an die Schädeldecke klopfen und zum Überfliegen ganzer Passagen verlocken – irgendwie scheint der Autor zu beabsichtigen, dem Leser die Spießigkeit und Langeweile seines eigenen Lebens vorzuhalten. Selbst beim Rezensenten – bestimmt kein Kind von Traurigkeit – bewirkte dieser Strudel aus Sex, Geld und Abenteuer weniger ein Gefühl von Fernweh als ein unfreiwillig komisches Amüsement über einen in die Jahre gekommenen Herren, der sich verzweifelt bemüht, seinem Image als Straßenköter gerecht zu werden. Dass Timmerberg in die Peinlichkeit abdriftet, wird zum Glück durch seinen betont selbstironischen Stil gerade noch verhindert.

Titelbild

Helge Timmerberg: Der Jesus vom Sexshop. Stories von unterwegs.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2010.
300 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783871346361

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