Hochhuth in Weimar

Ein Tagungsband widmet sich dem Dramatiker Rolf Hochhuth

Von Gerhard MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gerhard Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Am Anfang stand Hitler. Das Schreiben Hochhuths – und insofern bildet er keinen Ausnahmefall in der literarischen Nachkriegsgeneration – lässt sich von der nationalsozialistischen Diktatur und ihrer Negation des Individuums und seiner Würde herleiten.“ Dieser Eingangsthese des Mitherausgebers Sven Neufert stimmen andere Autoren des vorliegenden umfangreichen Sammelbandes explizit zu, so etwa Christina Schlitzberger, die sich mit „Sommer 14“ befasst: „Hochhuth kann […] nichts Historisches denken, ohne dabei den Holocaust und die deutsche Schuld mitzudenken“. Von den Werken Hochhuths, die in diesem Kontext näher analysiert werden, sind „Der Stellvertreter“ (mehrfach) und „Die Berliner Antigone“ zu nennen.

Im September 2008 fand eine Fachtagung zu „Person und Werk Rolf Hochhuths“ in Weimar statt, unterstützt von der Anna Amalia und Goethe Akademie zu Weimar. Den entsprechenden voluminösen Tagungsband – 14 substantielle Beiträge sowie zwei Podiumsdiskussionen (an denen der Geehrte selbst teilgenommen hat) samt großem und gegliedertem Anhang auf rund 460 Seiten – zu rezensieren, dies verlangt beträchtlichen Mut zur Lücke.

Um ein subjektives Statement zu wagen: Wer Hochhuths Literatur schätzt, wird diesen Sammelband mit Empathie studieren (zumal sich Hochhuth-Kritisches beziehungsweise -Ablehnendes da nicht findet). Wer Hochhuths Schriften, insbesondere seinem Theaterwerk, skeptisch oder kritisch gegenübersteht, wird diese Publikation eher distanziert, wenn auch respektvoll zur Kenntnis nehmen, denn solide literaturwissenschaftliche Beiträge geben Anlass zur Diskussion. Wer, aus welchen aktuellen Motiven auch immer, eine Hinführung zum gesellschaftlich immer umstrittenen Werk Hochhuths sucht, der wird dankbar für diese Veröffentlichung sein. Wer eine ausführliche Hochhuth-Bibliografie in Druckfassung und eine Zeittafel sucht, kommt um dieses Buch nicht herum (hier finden sich Zusammenstellungen dieser Art auf mehr als 140 Seiten).

Zu den Beiträgen, die mir besonders substantiell und ergiebig erscheinen, gehört der von Gert Ueding. Er geht in seinem Aufsatz „Die Kunst, Hochhuth zu sprechen“ auf die Rolle des Regietheaters ein und diskutiert drei Gründe für die „Verdrängung des Sprechtheaters“ beziehungsweise „für die Mißachtung des Hochhuth-Theaters durch die geläufige Kritik“. In der oft attackierten Sprache Hochhuths sieht Ueding vielmehr „die Funktion einer Angriffswaffe“, die dem Bühnengeschehen, dem „Ort militanter Aufklärung“, entspreche.

Sven Neufert wirft andere Fragen auf und untersucht das Moment des Absurden in Hochhuths Dramatik – die „Absurdität des Absurden“ – unter Berücksichtigung von Konrad Lorenz’ „Aggressionsmodell“ anhand von Beispielen der frühen Tragödien („Der Stellvertreter“, „Soldaten“); erst mit „Guerillas“ beginne die Wendung hin zum Politischen. Der frühere „Geschichtsfatalismus“ werde später „eingedämmt zugunsten der Inszenierung eines Engagements im Kleinen, durch die sich dem Theater Hochhuths der Raum des Politischen eröffnet“. „Politisches Theater“ also – dient hier bei Neufert wie auch bei anderen als zentraler Terminus. So auch Axel Schalk in seinem Beitrag: „Der Klassenkampf ist nicht vorbei. Überlegungen zu Rolf Hochhuths jüngster politischer Dramatik“. Er sieht in Hochhuths Stücken das „Credo des direkten politischen Eingriffs in die gesellschaftlichen Verhältnisse“, eine „Dramatik der Res Publica“. Bewusst stellt Schalk den Geehrten in die Tradition Lessings. (Lessing und Schiller, diese Namen fallen immer wieder. An weiteren Werken Hochhuths werden insbesondere die Dramen„Wessis in Weimar“ und „McKinsey kommt“ behandelt.

Neufert als Mitverantwortlicher für die Hochhuth-Tagung und als Mitherausgeber dieses Bandes reiht in seinem interessanten und einlässlichen „Forschungsüberblick und Tagungsbericht“ die „Widersprüche“ auf, die Hochhuths theatralisches Werk aufwerfe: „Literaturhistorische Etikettierung: Dokumentartheater vs. klassische Dramaturgie“. Auf der Tagung war man sich einig, dass der Begriff „Dokumentartheater“ Hochhuth nicht gerecht werde. Bei den anderen thematisierten Punkten war die Sicht kontrovers: „Intratheatrale Kommunikation: Episches vs. illusionistisches Theater“, „Gesellschaftspolitisches Analysepotential: Ökonomie vs. Metaphysik“, „Geschichtsphilosophie: (konkrete) Utopie/Reformismus vs. ethologische Geschichtsphilosophie“ und schließlich „Ideologische Positionierung des Autors: Linker vs. Konservativer“.

Neufert merkt abschließend an: „Ob sich die hier aufgezeigten Widersprüche ,aufheben‘ oder ,versöhnen‘ lassen, soll offen bleiben.“ So sei es denn auch gestattet, mit diesem Satz die Rezension zu beenden. Kurz: Eine reichhaltige und überaus anregende Publikation.

Titelbild

Gert Ueding / Sven Neufert / Ilse Nagelschmidt (Hg.): Rolf Hochhuth: Theater als politische Anstalt. Tagungsband mit einer Personalbiografie.
Dr. A. J. Denkena Verlag, Weimar 2009.
465 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783936177787

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch