Die Menschen hinter den Bildern

Gero von Böhm schreibt in „Mythos Kennedy“ über eine politischen Dynastie

Von Frauke SchlieckauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Schlieckau

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass der Journalist, Autor und Produzent zahlreicher Dokumentarfilme, Gero von Böhm, nicht nur als Interviewpartner gute Fragen stellt (wie in seiner Sendung „Gero von Böhm begegnet…“ die auf 3Sat ausgestrahlt wird), sondern auch als recherchierender Journalist auf den Spuren einer Legende gute Antworten findet, beweist sein 2003 erschienener und 2008 erneut aufgelegter Band „Mythos Kennedy“. Von Böhm zeichnet hier das Porträt einer der wohl berühmtesten Familien der Welt mit scharfem Blick und großem Einfühlungsvermögen, ohne dabei Gefahr zu laufen, in einen gefühlsseligen Befindlichkeitsjournalismus zu verfallen. Seit 2007 ist das Buch auch broschiert erhältlich, weniger ästhetisch als die gebundene Erstausgabe, aber handlicher, lädt es dazu ein, in die Welt eines Mythos’ einzutauchen. Das besondere an dem Buch ist vor allem die Perspektive, die es einnimmt und aus der heraus es auch den Blick des Lesers auf die Kennedys dirigiert: „Joseph und Rose, John F. und Jackie Kennedy, Robert Kennedy und JFK’s Sohn John Junior haben den Mythos Kennedy geprägt, sind Teil der berühmtesten politischen Dynastie geworden.“ Gero von Böhm begibt sich auf die Suche nach den Menschen hinter den inzwischen beinah erstarrten Bildern, die wir alle kennen. In fünf Charakterstudien, fünf spannenden Psychogrammen stellt er jene Menschen neu vor, deren Leben und Sterben ein Lehrstück zur amerikanischen Geschichte geworden ist. Deutlich arbeitet von Böhm den Anteil heraus, der jedem Einzelnen der Familienmitglieder am Mythos John F. Kennedy zukommt und entschlüsselt dabei nicht nur wie eben dieser entstand, sondern auch, was es braucht um einen solchen zu kreieren: Einen ehrgeizigen, skrupellosen und vermögenden Strippenzieher im Hintergrund (Joseph Kennedy); einen charismatischen Narziss mit hohem schauspielerischen Talent für das Rampenlicht (John F. Kennedy); einen interessanten, tiefgründigen, gebildeten und ästhetischen Schöngeist, der die nötige Substanz mitbringt um den „Frontmann“ mit Stil, intellektuellem Futter und Individualität zu versehen (Jackie Kennedy); einen bescheidenen Arbeiter mit hohem Wertebewusstsein und einem großen Ausmaß an Moralität, der Gerechtigkeit verkörpern kann (Edward Kennedy); eine leidensfähige und disziplinierte Bewahrerin des Mythos (Rose Kennedy); und einen schönen, hoffnungsvollen Sprössling, der den Mythos in die nächste Generation trägt (J.F.K. junior).

Von Böhms Buch unternimmt darüber hinaus „den Versuch, in Porträts der wichtigsten und interessantesten Mitglieder der Familie einigen weiterführenden Fragen nachzugehen“: Was hat die Kennedys „über all die Jahrzehnte angetrieben und warum waren ausgerechnet sie von derart vielen Tragödien betroffen? Haben sie das Schicksal aus Machtgier und Hybris selbst herausgefordert oder liegt ein Fluch über der Familie, wie manche glauben? Was erzählt die Geschichte ihres Aufstiegs uns über das Wesen der Vereinigten Staaten von Amerika, als dessen Königshaus die Kennedys gelten?“. Während der Journalist diesen Fragen nachgeht, schafft er es nicht nur, den Leser durch die gut geschriebenen, prägnanten Texte bei der Stange zu halten, sondern auch das richtige Maß zwischen Nähe und Distanz zu finden, das ihn auch in seinen Interviews als besonderen Gesprächspartner auszeichnet.

Ergänzt wird der Bildband nicht nur durch ein lesenswertes Vorwort, in dem der Autor Norman Mailer von seiner Begegnung mit John F. Kennedy berichtet, sondern auch durch zahlreiche – sehenswerte und teilweise bisher unveröffentlichte – Fotografien der wohl bekanntesten Familie Amerikas.

Titelbild

Gero von Böhm: Mythos Kennedy.
Collection Rolf Heyne, München 2008.
263 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783899103885

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