Das Imperium frisst seine Kinder

Olen Steinhauer schreibt den Thriller mit „Der Tourist“ ins 21. Jahrhundert ein

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit der Neuvermessung der politischen Landkarte nach 1989 und nach 2001 hat sich auch der Thriller neuen Themen zugewandt – und es ist kein allzu großes Wunder, dass er sich mit großem Engagement dem einzigen Hauptakteur zugewandt hat, der noch im großen Spiel mitspielt. Und dass er dabei vor allem eins thematisiert: die Selbstzerstörungstendenzen, die ein System entwickelt, dem seine Feinde verloren gegangen sind. Denn trotz aller Kriegsterminologie – der internationale islamistische Terror hat als Feind eine andere Qualität als das Sowjetimperium, das bei allen ideologischen Negativseiten dennoch vor allem ein anderes politisches System war, ein Staat, der so funktionierte, wie Staaten eben funktionieren. Und der darauf aus war zu überleben, wenn er denn schon nicht gewinnen konnte.

Mit dem neuen Terrorismus ist das alles anders geworden. Kein Staat, keine Regierung, nicht mal eine Partei, lediglich Gruppen, angebliche Führer und dergleichen mehr.

Daneben ist aber zugleich ein neues Konfliktfeld entstanden, das nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass die wirtschaftliche und politische Entwicklung auch neue staatliche Akteure ins Kraut hat schießen lassen. Schwellenländer werden unter der Hand zu Hauptakteuren, Entwicklungsländer werden umworben und notfalls auch umkämpft, wenn sie sich zu selbstbewusst oder widerwillig zeigen.

Destabilisierung ist das Hauptgeschäft im Thriller — und um Destabilisierung, diesmal des Sudan, geht es auch auf der politischen Ebene von Olen Steinauers „Der Tourist“.

Auf der Handlungsebene aber erzählt Steinhauer vor allem davon, dass seine Hauptfigur, der CIA-Agent Milo Weaver, einer Verschwörung auf der Spur ist, deren Hauptakteure in „Washington“ (deshalb hätte das auf Dauer auch mit „Bonn“ nie gut gehen können) und in „Langley“ sitzen.

Das Ganze fällt auf, weil Weaver einem Auftragskiller auf der Spur ist, der sich ihm merkwürdigerweise nach langjähriger Jagd stellt – verbunden mit der Bitte herauszubekommen, wer ihn mit Aids infiziert habe. Damit beginnt die Hatz, bei der Weaver nicht nur seinen Chef und dessen Vorgesetzten, sondern auch seine beste Amtsfreundin und am Ende sogar seine Familie verliert.

Die Spur führt wieder einmal nach ganz oben, und „ganz oben“ ist wie immer bereit, über Leichen zu gehen, ohne dass das irgendwen großartig interessieren würde. Ein Politthriller ist „Der Tourist“ allerdings keineswegs. Dazu ist Steinhauer zu sehr an der Handlung um seinen Protagonisten interessiert, und daran, den armen Herrn Weaver aus den Nachstellungen der verschiedenen Dienste und Interessenengruppen zu befreien.

Um das am Ende plausibel zu machen, ist der Schreibtischtäter Weaver ein Mann mit Vergangenheit. Er war nämlich bis zum Jahr 2001 ein Tourist, einer jener international agierenden Feldagenten, besser gesagt Auftragskiller der CIA, die völlige Freiheit haben in dem, wie sie etwas tun, jedoch völlig abhängig sind in dem, was sie tun. Sie sind Handlanger der CIA-Oberen, Befehlsempfänger, die sich ihre Willfährigkeit mit einem guten Schuss Selbstherrlichkeit und einem größeren Schluck aus der Pulle bezahlen lassen.

Denn Spesen werden nicht nachgewiesen, die Bezahlung ist in Ordnung und der Bewegungsspielraum ein Abenteuer für Erwachsene, die dafür eben alles tun müssen, foltern zum Beispiel und vor allem töten.

Weaver hat in diesem Gewerbe alles gelernt, was es zu lernen gibt. Und damit kann er sich den Nachstellungen seiner eigenen Leute entziehen, rückt ihnen auf die Pelle, wenn es sein muss, und vor allem – er überlebt. Womit dann wieder einmal – und nicht das letzte Mal – bewiesen wird, dass nur das System seine besten Feinde erzeugt.

Dass Weaver überlebt, ist auch das einzige, was Steinhauer in seinem Thriller interessiert, und ist wohl auch das Anspruchsvollste, was der Thriller heutzutage zu bieten hat. Denn an Intrigen und verwickelte Strategien sind wir gewöhnt, daran, dass alte Rechnungen beglichen werden, und auch daran, dass Privatinteressen sich der staatlichen Instrumente bedienen.

Aber einen Helden, der die wilden Zeiten hinter sich lassen will, aus einem unlösbaren Dilemma zu befreien, das ist interessant und spannend genug. Die damit zusammenhängenden Probleme löst Steinhauer. Sein Krimi ist lesbar und hat seine Unterhaltungsqualitäten.

Freilich wäre dabei zu bedenken, wie viele Akteure und Instanzen der Thriller braucht, um interessant zu sein, und wie viele es maximal sein dürfen, um noch erzählbar und organisierbar zu sein. Ein Deus ex machina hier, einer dort – das ist schwierig, und wenn man nicht davon ausgeht, dass die Welt sowieso komplex ist und deshalb ein Thriller an Komplexität gar nicht zu viel haben kann, dann ist hier sehr genau hinzuschauen. Aber dieses Mal ist es ja noch einmal gut gegangen.

Titelbild

Olen Steinhauer: Der Tourist. Roman.
Aus dem Amerikanischen von Friedrich Mader.
Heyne Verlag, München 2010.
543 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783453266100

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