„Blut soll fließen“ oder das Porträt einer Epoche

James Ellroys neuer Thriller beendet eine epochale Trilogie über die Kennedy-Ära

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

James Ellroy lässt seinen Roman „Ein amerikanischer Thriller“ am 22. November 1958 beginnen. Pete Bondurant ist Leibwächter und persönlicher Assistent des Milliardärs Howard Hughes. Er beobachtet zu Beginn des Romans seinen Arbeitgeber: „Er setzte sich seinen Schuß stets vor laufendem Fernsehapparat.“ Fünf Jahre später und knapp achthundert Seiten weiter endet die „Fabel“ am 22. November 1963 in Dallas. Auf den letzten Seiten ist das Attentat auf John F. Kennedy die Folie der Handlung. Ellroy webt auf den dazwischen liegenden achthundert Seiten dem Leser ein dichtes Netz von Personen und ihren Beziehungen, die auf die unterschiedlichsten Arten Verbindungen zu den mächtigsten Organisationen der USA aufweisen – CIA, FBI, Mafia, verschiedene Untersuchungskommissionen der Regierung und Regierungsangehörige. John F. Kennedy tritt auf, sein Bruder Bobby, und – sehr spektakulär in seiner Missgunst und Bösartigkeit – J. Edgar Hoover, der damalige Chef des FBI.

Die Protagonisten des Romans sind an den politisch maßgeblichen Aktivitäten der USA um 1960 beteiligt und auf verschiedene Weise in die Geschehnisse verstrickt. Dazu gehören Bobby Kennedys Kampf gegen das organisierte Verbrechen, Korruptionsbekämpfung und die ,Bedrohung‘ Amerikas durch die kubanische Revolution. Hinzu kommt der Invasionsversuch in der Schweinebucht, der den Sturz Castros zum Ziel hatte – und scheitert. Der Vertraute von Howard Hughes, Pete Bondurant, engagiert sich in der „Kubakrise“, bildet Exilkubaner an der Küste Miamis aus und zeichnet sich durch Brutalität und Skrupellosigkeit bei der Liquidierung unliebsamer Zeitgenossen aus. Die für das FBI und den CIA arbeitenden Agenten Ward J. Littell und Kemper Boyd sind ebenso in die Invasion verwickelt, verfolgen aber auch Interessen. So entsteht ein engmaschiges Netz von Interessen und Intrigen. Sie machen letztendlich deutlich, wie losgelöst von politischen und gesellschaftlichen Interessen, ohne jede Moral, die Protagonisten in Politik und Unterwelt handeln und wie korrumpierbar sie sind. Selbst die Agenten Littell und Boyd, denen Ellroy doch ein gewisses Maß an Moral zugesteht, werden durch die Beziehungen zum Kennedy-Clan und zum FBI Chef Hoover letztendlich zu negativen Figuren. Selbst wenn sie sich korrekt – um nicht das Adjektiv ,gut‘ zu benutzen – verhalten, „pflastern Leichen ihren Weg.“ Sie alle sind für Ellroy Repräsentanten einer moralisch völlig verkommenen amerikanischen Gesellschaft der 1960er-Jahre. Dass der erste Teil der Trilogie mit dem Attentat auf Kennedy endet, erscheint dem Leser aus den vorangehenden ,Gesellschaftsstudien‘ nahezu folgerichtig.

Die Eckdaten und die Rahmenhandlung hat Ellroy in dem ersten Teil seiner Trilogie abgesteckt. In „Ein amerikanischer Albtraum“ wird das „Gesellschaftspanorama eines bösen Amerikas“ fortgesetzt. Genau wie im dritten Teil sind die Hauptthemen und zentralen Drehpunkte der Handlung ein paranoider Howard Hughes, ein durchtrieben böser J. Edgar Hoover und die Folgen des Attentats auf J. F. Kennedy. Die Handlung setzt am 22. November 1963 ein und endet mehr als fünf Jahre später am 9. Juni 1968. Auch hier ein blutiger Schluss: „Wayne stellte sich auf die Zehenspitzen. Wayne fand ein Panoramafenster. Wayne hatte alles im Blick. Der Schlägerkopf beschrieb einen Bogen. Sein Vater schrie. Auf die Scheiben spritzte Blut.“

„Blut will fließen“ heißt der finale dritte Teil des Epos. Er beginnt mit einem Rückgriff in der Chronologie und setzt am 24. Februar 1964 ein. Man wird Zeuge eines Mordes. Dann geht Ellroy in der Chronologie weiter, schließt mit dem 15. Juni an den zweiten Teil der Trilogie an. Kurze, treffende, schnell aufeinander folgende Sätze stürzen auf den Leser ein, beschleunigen das Erzählen, transzendieren die gewalttätigen und exzessiven Handlungen in ein merkwürdiges, schnelles „Ballett der Gewalt“. Wieder sind die zentralen Themen Hoovers Machenschaften und das FBI, das Umfeld des Kennedy-Clans und der drogensüchtige Hughes. Begleitet werden die Erzählstränge von dem gewohnt schrägen Personal, dem Leibwächter und Laufburschen von Hughes, einem Privatdetektiv, Polizisten des LAPD, einer beeindruckenden Revolutionärin und so weiter. Ellroy führt einige Erzählstränge der ersten beiden Bände zu Ende, versucht an manchen Stellen – überflüssigerweise – neue Erzählstrukturen zu etablieren, um die Trilogie mit sinnhaltigen, dem Genre des Erzählens geschuldeten Wirklichkeitsmustern zu geschlossenen Erzählpanoramen zu bringen. Letztendlich verweisen diese ,Versuche‘ aber nur auf Ellroys komplexe Textmuster, die mit der Wirklichkeitswahrnehmung des Autors korrespondieren, der die zu transzendierende Realität als heterog, unverständlich, bösartig, komplex und eigentlich nicht rekonstruierbar wahrnimmt. Aber ebendiese meisterhaft gelungene Überführung einer heterogenen Wirklichkeit in Literatur sichert Ellroy einen Platz in die erste Reihe der großen Autoren des Genres.

Der dritte Teil des Epos endet im Mai 1972 mit einem Epilog, der rekapituliert: Was bleibt nach zweieinhalbtausend Seiten? „Meine Optionen schwanken immer wieder zischen dem Damals und dem heute. In Letzterem lebe ich nur widerwillig. In Ersterem mit der Aufrichtigkeit des jugendlichen Konvertiten.“ Und er schließt mit einer Hinwendung zum Leser: „Ich schenke Ihnen dies Buch und ernenne Sie zu meinem Genossen. Ein Geschenk statt eines Wiedersehens – mit meiner verlorenen Mutter, meinem verlorenen Kind und mit der Roten Göttin Joan.“

Titelbild

James Ellroy: Blut will fließen. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Stephen Tree.
Ullstein Verlag, Berlin 2010.
782 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783550086779

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

James Ellroy: Ein amerikanischer Albtraum. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Stephen Tree.
Ullstein Taschenbuchverlag, Berlin 2010.
846 Seiten, 10,95 EUR.
ISBN-13: 9783548281650

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

James Ellroy: Ein amerikanischer Thriller. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Stephen Tree.
Ullstein Taschenbuchverlag, Berlin 2010.
765 Seiten, 10,95 EUR.
ISBN-13: 9783548281667

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch