Guillotiniert

Aylin Korkmaz über einen versuchten Ehrenmord und ein mildes Gericht

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor nicht einmal drei Jahren wurde in jeder Zeitung und auf allen Kanälen über sie berichtet. Dass heute dennoch nur wenige den Namen Aylin Korkmaz kennen, dürfte daran liegen, dass er damals kaum oder allenfalls in der Boulevard-Presse genannt wurde. Die meist anonymisierten Berichte hatten ihren guten Grund, war Korkmaz doch um Haaresbreite einem der brutalsten Mordanschläge in der Geschichte der Bundesrepublik entgangen. Und diese Tat wird wohl kaum jemand vergessen haben, der von ihr hörte, diesen 26 Stichen und Schnittwunden, die der Täter, ihr Exmann, ihr mit zwei Messern zufügte, wobei er sie nicht nur an den Rande des Todes brachte, sondern auch fürchterlich entstellte.

Dass ihr Name nun bekannter wird, ist dem Umstand zu verdanken, dass Korkmaz selbst an die Öffentlichkeit trat, um andere Frauen vor ähnlichen Verbrechen zu schützen.

In dem nun erschienenen Buch schildert sie ihre bisherige Biografie, den auf sie verübten Mordanschlag und die Gerichtsverhandlung gegen den Täter. Das heißt, sie selbst hat es vermutlich gar nicht geschrieben. Denn als Autorinnen nennt der Verlag „Aylin Korkmaz mit Tanja Moser“. Und in solchen Fällen sind letztere meist als GhostwriterInnen am Werk. Ein solches Verfahren ist bei derart persönlichen Berichten immer problematisch. Andererseits ist es aber auch begründet. Denn die Kunst sich auszudrücken ist in einer im Erwachsenenalter erlernten Zweitsprache noch schwieriger als ohnehin schon.

Wie das Buch schildert, durchlebte Korkmaz eine Kindheit wie wohl viele türkische Mädchen, die in der aufgeklärteren Gesellschaftsschicht heranwachsen. Dass sie nicht gerade aus einem in Ostanatolien liegenden Dorf stammte, schützte sie allerdings nicht vor dem Schicksal, mit 18 zwangsverheiratet und als Exportbraut nach Deutschland verschickt zu werden. Auch hierzulande glich ihr Leben über lange Jahre hinweg demjenigen Abertausender junger Frauen, die aus der Türkei nach Deutschland an mehr oder weniger fremde Landsmänner verheiratet werden.

Dass ihr Mann sie zu ermorden versuchte, unterscheidet sie allerdings glücklicherweise von fast allen anderen. Aber leider eben doch nur fast. Mehr als 30 ‚Ehren‘morde wurden alleine in den letzten beiden Jahren auf bundesdeutschem Boden verübt. Und wenn auch nur die geringste Aussicht besteht, dass Bücher wie das vorliegende dazu beitragen können, eine einzige weitere dieser Taten zu verhindern, sind solche Veröffentlichungen nicht nur zu begrüßen – sie sind bitter notwendig.

Und es gibt noch einen weiteren Grund dafür, dieses Buch zu lesen und es auch denjenigen zu empfehlen, die das eine oder andere der inzwischen recht zahlreich erschienenen (auto-)biografischen Berichten über den Leidensweg von Migrantinnen in Deutschland gelesen haben, die unter den Zumutungen ihres muslimisch-türkisch geprägten kulturellen Erbes leiden.

Dieser zweite Grund ist die unglaubliche Urteilsbegründung, mit der das Gericht darlegt, warum dem Täter mildernde Umstände zugestanden wurden und er nicht ‚lebenslänglich‘ hinter Gitter muss. Ihm wurde nämlich genau dieser muslimisch-türkisch geprägte kulturelle Hintergrund zugute gehalten; seine „besonderen Anschauungen und Wertvorstellungen“, wie es vornehm in der von Korkmaz ausführlich zitierten Urteilsbegründung heißt. Zu ihnen zählt das Gericht ausdrücklich den „Besitzanspruch“, den der Angeklagte auf Aylin Korkmaz erhebt, die er „auch als Frau zerstören“ wollte, indem er sie in die Brustwarzen stach. Als zweiten Strafmilderungsgrund nannte das Gericht „die erstaunlich geringen Folgen der Tat bei der Geschädigten“. Dass sie „dauerhaft entstellt bleiben wird und mit den erheblichen psychischen Belastungen der Tat zu kämpfen haben wird“, wiege demgegenüber gering. Denn sie überlebte den Mordversuch, was „die Kammer letztlich dazu bewogen [hat], von der [Straf-]Minderungsmöglichkeit Gebrauch zu machen“.

Es kann wirklich nicht wundern, dass eine solche Argumentation von Korkmaz als auf sie niedersausendes „Fallbeil“ empfunden wird. Der Täter durfte nach der Urteilsverkündung hingegen die ehrerbietenden Handküsse seiner Angehörigen entgegennehmen.

Titelbild

Aylin Korkmaz: Ich schrie um mein Leben. Ehrenmord mitten in Deutschland.
Fackelträger Verlag, Köln 2010.
250 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783771644253

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