Das Fleisch ist schwach

In Thor Kunkels neuem Roman „Schaumschwester“ steht die Menschheit kurz vor dem Aussterben

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vielleicht war es – nach Nazi-Pornos und Pulp-Fiction-Action – nur eine Frage der Zeit, bis Thor Kunkel sich ins Genre des Science Fiction begeben würde: Die Schraube noch eine Spur weiter zu drehen, dabei aber sein eigentliches Thema – die Sexualität, die Frage nach dem des Sinn des Lebens, das Glück – nicht aus den Augen zu verlieren.

In seinem Roman „Schaumschwester“, der gerade im Berliner Verlag Matthes & Seitz erschienen ist, geht es um nichts Geringeres, als das (potentielle) Ende der Menschheit zu verhindern. Die Synthetische Wohlfahrt AG hat die Welt mit ihren hochentwickelten Sexpuppen, so genannten Gynoiden, überschwemmt. Die Männer ziehen diese künstlichen, mit täuschend echten Geschlechtsmerkmalen ausgestatteten Frauen menschlichen Frauen vor, weil sie ihnen dienlich, ja, unterwürfig sind, zeugen also keine Kinder mehr. Das soll beendet werden. Die beiden Kryptografen Kolther und Lora sind beauftragt, den Computer des Firmeninhabers der Synthetischen Wohlfahrt AG Scheinberg zu hacken und die Kundendatei runterzuladen, jeden Käufer einer Gynoide also namentlich zu kennen, um nach dem Sturz der Firma alle Puppen einsammeln zu können.

Wie für Kunkel typisch, ist seine Story nicht einfach nur Effekthascherei. Umso weniger verständlich ist es, dass ihm genau das immer wieder vorgeworfen wird, etwa im Zusammenhang mit seinem Nazi-Porno-Roman „Endstufe“. Aber genauso wenig wie „Endstufe“ schnöde Sexualität erzählt, geht es auch in „Schaumschwester“ nicht um schlappe Sexfantasien. Ganz im Gegenteil: Kunkel verhandelt Gender und Patriarchalismus, es geht um das alte Problem der Männer, Frauen auf ihre Sexualität zu reduzieren. Kunkel führt dem Leser eine utopische Folge dieses Sexismus vor Augen: Männer denken so sehr mit ihrem Schwanz, sind so unfähig zur Empathie und zu Emotionen, dass sie locker im Alleingang die Existenz der menschlichen Rasse gefährden können. Natürlich bietet auch „Schaumschwester“ die für Kunkel typische Action. Beides – Diskurs und Drama – werden hier geschickt zu einer packenden sowie erhellenden Geschichte vermengt. Und so liegt am Ende ein weiterer, grandios geschriebener Beweis dafür vor, dass Thor Kunkel einer von den Großen ist. Das Fleisch ist schwach in Kunkels Romanen. Seine Geschichten, sein Ton und sein Verve sind es nicht.

Titelbild

Thor Kunkel: Schaumschwester.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2010.
277 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783882216905

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