Die Welt, neu entdeckt

In seinen „Fundsachen für Nichtleser“ hat Günter Grass die Synthese aus Aquarellen und Gedichten versucht

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor nunmehr dreizehn Jahren – zu seinem 70. Geburtstag – hatte der Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass sich selbst und seiner treuen Leserschaft ein Geschenk gemacht: mit „Fundsachen für Nichtleser“, in denen er Aquarelle und Gedichte versammelte, die sich jeweils ergänzen. Dass dieser einmalige Bild-Text-Band von seinen Lesern jahrelang mit Begeisterung aufgenommen wurde, beweist die nun vorliegende fünfte Auflage.

Nach dem Abschluss seines heftig umstrittenen Romans „Ein weites Feld“ (1995),der in der Öffentlichkeit heftig diskutiert und von der Kritik regelrecht zerfetzt worden war, zog sich der Autor erst einmal zurück, obwohl er ein Jahr später für das Buch den Hans-Fallada-Preis erhielt. Also entstaubte Grass seinen seit dem Studium ruhenden Aquarellkasten und begann in der Natur zu malen.

Der Schriftsteller, Bildhauer, Maler und Grafiker streifte durch seinen Garten, entdeckte die Blumen und Früchte, ebenso wie Arbeitsutensilien und -geräte. Da werden Gartenhandschuhe, ein Kochgeschirr, seine alte Olivetti-Schreibmaschine. oder ein umgeworfenes Tintenfass zum Kunstwerk. Auch auf der dänischen Insel Mon und in der portugiesischen Landschaft war er für seine Malübungen auf der Suche nach Motiven des alltäglichen Lebens.

„Und auf einmal begann ich Farben zu sehen, die vielen Grün im Grün zu entdecken, des Himmels blau zu differenzieren, Zitronen Gelb in Gelb, Kirschen Rot in Rot zu malen. Es war, als wollte ich nun, abseits vom Reichtum der Grauwerte, die Welt neu entdecken.“ Daneben hielt Grass auch fast alle Gestalten seiner großen Erzählungen und Romane mit leichtem Pinselstrich und kräftigen Farben fest.

Was zunächst wie ein Skizzenbuch wirkt, bekommt jedoch durch die Gedichte und Aphorismen eine völlig andere Dimension. Grass hat sie mit demselben Pinsel und denselben Farben in seine Bilder hineingemalt. Die 117 Aquarelle sind jedoch keine Illustrationen der Texte, wie auch die knappen Zeilen keine Bildunterschriften oder Erläuterungen sind. Wort und Bild bilden eine Einheit und sollten zusammen wahrgenommen werden. Der Maler und Autor erfand damit für sich eine kleine eigenständige literarische Form und nannte diese Synthese aus Text und Aquarell „Aquadichte“.

Günter Grass hatte in der Vergangenheit bereits für viele seiner Romane die Umschlagszeichnungen selbst angefertigt. Mit „Fundsachen für Nichtleser“ präsentierte er sich eindeutig als schreibender Maler und malender Schriftsteller. Gleichzeitig zog er mit dieser bescheidenen Kunstform eine Summe seines bisherigen künstlerischen Schaffens. Auf diesen 240 Seiten verschmelzen nicht nur Literatur und Kunst, sondern auch Künstler und Umwelt. Für die Leser die Entdeckung der bisher unbekannten Seite ihres geschätzten Autors.

Titelbild

Günter Grass: Fundsachen für Nichtleser.
Steidl Verlag, Göttingen 2010.
240 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783882434774

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