Stille Tage in Feldgrün an der Côte d’Azur

Die ersten beiden Bände der umfangreichen Graphic Novel „Unter dem Hakenkreuz“ sind erschienen

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist ein hartes Leben: 1939 habe man ihn „in eine Uniform gesteckt“ und ihm seine „Jugendträume“ genommen. Der das sagt, der lebt im Sommer 1942 vielleicht nicht als Herrenmensch, aber doch immerhin als Angehöriger eines Volks, das sich als Herrenvolk empfindet und aufführt, komfortabel als militärischer Besatzer im Süden Frankreichs. Dort trifft er seine Jugendliebe Katharina (respektive inzwischen Cathérine) zu erotischen tête à têtes in der am Meer gelegenen Villa ihres Mannes und seines Freundes Xavier Gance. Xavier ist, so erfahren wir später in einer Rückblende, homosexuell, und die Ehe mit Cathérine also wahrscheinlich eher Fassade. Der Gattin dürfte dies konvenieren, denn sie ist eine aus Deutschland stammende und geflohene Jüdin, die einen rechtlich gesicherten Aufenthaltsstaus braucht.

Dies ist die Gegenwart in den ersten beiden Bänden der Graphic Novel „Unter dem Hakenkreuz“, die auf zehn (!) Bände angelegt ist. Von 1942 aus wird in den ersten beiden Bänden die Geschichte bis zu dieser Gegenwart erzählt. Der Stil ist der typisch franco-italienische, irgendwo zwischen ligne claire und Abenteuercomic. Dadurch wirkt häufig alles so still und beschaulich, so sauber und aufgeräumt. Dieser Stil eignet sich außerdem gut für eine leicht melancholische, groß angelegte Erzählung eines Menschen, der ein wenig verlegen durchs Leben geht, eher abseits steht und ein Beobachter ist. Auf der anderen Seite ermöglicht es gerade diese Ruhe, dass die Graphic Novel sich die Zeit nimmt, um die Charaktere und deren Beziehungen untereinander, ihre Gefühlslagen sowie ihre Sympathien und Antipathien zu zeichnen.

Der, der da in Frankreich weilt und mit seiner Wehrmachtsuniform nolens volens französische Kinder erschreckt, heißt Martin Mahner (wird nomen noch zum omen?), wurde 1914 geboren und kommt aus einer gutbürgerlichen deutschen Familie. Sein Vater lehrt Maschinenbau und will, dass sein Sohn zur Hitlerjugend geht, Jura studiert oder Bankdirektor wird. Doch auch weil sein Vater deutschnational, antikommunistisch und pro Hitler eingestellt ist, hat Martin seine Probleme mit ihm.

Martin ist unbeholfen mit Mädchen, interessiert sich für Literatur, mag Bertolt Brecht und will später beruflich ans Theater. Im ersten Band erlebt der Leser mit ihm die Zeit unmittelbar vor der nationalsozialistischen Machtergreifung. 1932 sieht man ihn als Oberschüler in bürgerlichen bis großbürgerlichen Kreisen verkehren. In Herrenhäusern wird nachts mit gelockertem Hemdkragen laut Jazz gespielt, während auf der Party Hitler-Befürworter und -Gegner miteinander streiten. Im Privaten manifestieren sich die politischen Spannungen nicht nur im – moderaten – Vater-Sohn-Konflikt. Der Bekanntenkreis bezieht Stellung und sortiert sich in gegnerische Lager.

Eines Tages zieht gegenüber von seinem Elternhaus eine neue Familie ein, in deren Tochter, Katharina, er sich verliebt. Später kommt heraus, dass die Nachbarn Juden sind. Martins bester Freund Gunther interessiert sich auch für sie und geht sogar eine Zeitlang mit Katharina, doch, so vermutet Martin, beendet er die Beziehung eben wegen ihrer jüdischen Herkunft. Als Martins Freunde und Bekannte Katharina nicht an ihrem Tisch haben wollen, verlässt er die Runde und setzt sich zu ihr. So zeichnet die Graphic Novel ein sehr differenziertes Bild der Stimmung unter den Deutschen und ihrer Reaktionsweisen. Martins Vater möchte im April 1933, dass Martin den Kontakt zu Katharina abbricht. Doch verlangt sogar er, der bekennende Antisemit, zwischen verschiedenen Juden zu differenzieren. Die deutschen Juden seien anständig, und an den Juden-Boykott mag er sich nicht halten.

Selten wird die Darstellung dabei so geschichtsdidaktisch, dass es der Erzählung schadet. So ist es aber beispielsweise in der Szene vom Dezember 1932, als zwei führende Sozialdemokraten sich widerstandslos von der Polizei abführen lassen. Einer der Festgenommenen fasst die Zeitgeschichte schnell in einer Erläuterung zusammen und liefert gleich eine Erklärung dafür mit, warum die Deutschen so handelten, wie sie es taten. Wenn aber für die angebliche Flucht aus der sozialen Not zu den Nazis viel Verständnis gezeigt wird, dann transportiert die Geschichtsdidaktik weniger als ungefähres Halbwissen. Auch schwebt selten, aber immer wieder, die Stimme Martins über der Erzählung, der von einem unbestimmten Punkt aus, der nach 1942 liegen muss, vom Januar 1933 zu sagen weiß, dass er, wie die meisten Deutschen, blind für die Entwicklung gewesen sei und sich noch kein klares Bild habe machen können. Wieso er blind war und inwieweit dies vielleicht seine eigene Schuld war, dazu sagt er nichts.

Die Graphic Novel gibt einen Vorblick auf das, was historisch noch kommen wird. An einer Stelle tut sie es in einer für Comics typischen Weise, indem sie die Nazis Tiere anstelle von Menschen ermorden lässt. Damit aber scheut sie zum einen auf ungebührliche Weise davor zurück, die Epoche so darzustellen, wie sie nun mal war. Zum anderen kann man den Nazis eines bestimmt nicht vorwerfen, nämlich dass sie Tierquäler gewesen wären. Ganz im Gegenteil gingen bei ihnen Tierliebe und Menschenschinderei nicht ohne Grund ineins.

Aber an einer anderen Stelle geben sie Martin eine Ahnung davon, dass in Deutschland etwas Neues passiert. Katharinas Vater streitet mit einem SA-Mann, der dafür sorgt, dass sich kein Patient in seine Sprechstunde traut. Er wehrt sich so erfolgreich gegen die Prügel des Nazi-Aktivisten, dass dieser schließlich erschlagen am Boden liegt. Katharinas Eltern begehen daraufhin Selbstmord, während ihre Tochter in Paris Urlaub macht. Die Leichname werden mit einer Sackkarre wie Tier-Kadaver fortgeschafft, stellt Martin fassungslos fest.

Der zweite Band trägt weniger schwer an historischer Erklärung, sondern stellt das soziale Leben Martins mehr in den Vordergrund. Ende 1938 weilt er in Paris, um dort seine Dissertation zu vollenden. Er wohnt bei dem erfolglosen Schauspieler Harry Emmerich und dessen Freundin Maria, einer Soziologin. Harry emigrierte 1938. Es geht um das Leben in Paris, mit viel Alltag und Liebschaften. Die Emmigranten haben kein Geld und müssen sich damit abfinden, dass sie – als Geisteswissenschaftler – froh sein können, wenn sie einen „odd job“ (wie Günther Anders das bei sich nannte) finden.

Aber ins Privatleben bricht die Politik immer wieder ein. Man kennt die Szenen, wie linke Emigranten untereinander erregt debattieren, aus den Erzählungen beispielsweise Hans Sahls und Klaus Manns, doch findet man sie bei Beuriot & Richelle ohne die nötige Sachkenntnis. Die Polizei stellt ihnen nach, will Spitzel gewinnen, sie eigentlich aber loswerden. Als die Deutschen den Zweiten Weltkrieg beginnen, wird Martin mit vielen anderen ausgewanderten Deutschen in einem Stadion interniert. Von hier aus wird er zurück nach Berlin geschickt und erfährt dort, dass er zur Wehrmacht einberufen wird. Seine geliebte Cathérine gerät zwischen die Fronten: Als sie den Internierten ein Päckchen mit Nahrung bringt, wird sie von Franzosen als Deutschen-Liebchen angepöbelt. Die allgemeine Entehrung, von einem Menschen zu einem Deutschen degradiert zu werden, ist in ihrem Falle umso schmerzhafter.

So endet der zweite Band. Warten wir auf die kommenden acht.

Titelbild

Philippe Richelle / Jean-Michel Beuriot: Unter dem Hakenkreuz 1. Der letzte Frühling.
Verlag Schreiber & Leser, München 2009.
86 Seiten, 22,80 EUR.
ISBN-13: 9783941239159

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Titelbild

Philippe Richelle / Jean-Michel Beuriot: Unter dem Hakenkreuz 2. Ein Sommer in Paris.
Verlag Schreiber & Leser, München 2009.
56 Seiten, 18,80 EUR.
ISBN-13: 9783941239234

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