Leiden, Trauma, Folter: Bildkulturen des Irakkriegs

Eine kommende Ausgabe der Marburger Zeitschrift für Medienwissenschaft „Augenblick“ wird sich der medialen Inszenierung des Irakkriegs widmen – ein Ausblick

Von Angela KrewaniRSS-Newsfeed neuer Artikel von Angela Krewani

Im Zuge des ersten Irakkriegs erschien eine Ausgabe der Marburger Zeitschrift für Medienwissenschaft, „Augenblick“, die sich im Oktober 1991 mit der Berichterstattung über diesen Konflikt auseinandersetzte. Hauptsächliches Charakteristikum der „Operation Desert Storm“ war die Herkunft der Bilder. Gerne als „Medienkrieg“ bezeichnet, stammten diese Bilder dieses Krieges aus den Röntgen- und Infrarotobjektiven der militärischen Überwachungskameras und Bomber. Da eine ernsthafte journalistische Berichterstattung fast vollständig ausgeschlossen war, überboten sich die westlichen Fernsehsender mit Schaltungen und Berichtformen, die oftmals aufgrund des Fehlens der Bilder ins Leere liefen. Die Titelseite des damaligen „Augenblick“-Heftes schmückt eine Karikatur aus der „Le Monde Diplomatique“: Ein ausgesuchtes Publikum sitzt vor einer in der Wüste aufgebauten Theaterbühne, die massiven Vorhänge sind geöffnet, und dahinter erscheint das Nichts der Wüste. Das Mediendispositiv ist deutlich zu erkennen – wir sind das Publikum, die Massenmedien sind bereit zu berichten, allein es fehlt an Bildern.

 

Aufgrund der beschleunigten technischen Entwicklungen der Kommunikations- und Unterhaltungsmedien ist die Situation des zweiten Kriegs im Irak eine völlig andere. Die Karikatur der „Le Monde Diplomatique“ weiterspinnend befänden sich nun auf der Bühne immer noch keine JournalistInnen, sondern diesmal ist es das militärische Personal, das die „Berichterstattung“ mit Hilfe von äußerst kleinen, mobilen Medien übernommen hat: Mini-DV- und Handykameras scheinen die vorgeblichen Bildapparaturen des neuen Krieges geworden zu sein. Zwar ist die journalistische Berichterstattung auch in diesem zweiten Golfkrieg seitens des amerikanischen Militärs erheblich eingeschränkt; sie wird jedoch massiv unterwandert durch die Bilderfreude der am Krieg Beteiligten, die mit mobilen Telefonen und digitalen Kameras die Ereignisse im Irak dokumentieren. Kommuniziert werden diese Aufzeichnungen nicht in den Sendungen der offiziellen Massenmedien, sondern im Internet.

Das sicherlich umfassendste, weil in die Berichterstattung der Massenmedien eingegangene Aufsehen erregten die ebenfalls erstmals über das Netz verbreiteten Folterinszenierungen aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib. In der ersten öffentlichen Aufregung wurden diese als Dokumente amerikanischer Folterungen diskutiert und es entstand – zu Recht – eine Welle der Entrüstung über die degradierende und inhumane Behandlung der Gefangenen.

Aus einem gewissen zeitlichen Abstand wendet sich das nun geplante 48. Heft des „Augenblicks“ nochmals diesen Bildern zu und will, ihren Inszenierungscharakter aufgreifend, den Unterschied zwischen authentischer Dokumentation und inszenierter Entwürdigung herausarbeiten. Denn die publizierten Bilder aus dem Gefängnis berichten nicht von Folterungen, sondern von exakt geplanten und inszenierten Entwürdigungen der Gefangenen. Jedoch werden im Rahmen des Heftes diese Bilder nicht isoliert betrachtet, sondern in den Kontext einer weiteren Berichterstattung über den Irakkrieg und das entsprechende Filmschaffen gestellt. Denn der große Skandal angesichts der Folterbilder von Abu Ghraib, die definitiv nicht für eine massenmediale Öffentlichkeit gedacht waren, verdeckte ihren inszenierten Charakter und den Sachverhalt, dass wir, abgesehen von den privaten und im Internet zugänglichen Bildern, keine „offiziellen“ journalistischen und visuellen Zugänge zu den Ereignissen in Irak besitzen. Selbst die Dokumentar- und Spielfilme über den Krieg imitieren mittlerweile die fragmentierten und mobilen Ästhetiken der Handyfilme.

Der Titel des geplanten Bands, „Bildkulturen des Irakkriegs“, bezieht sich demnach auf die medientechnische, ästhetische und kommunikative Situation des Konflikts, die uns zwar eine Vielzahl von Bildern liefert, aber eigentlich – und dann gilt auch hier die Pointe der Karikatur – eine Situation ohne Bilder beschwört. Wir konstatieren die paradoxe Bilderlosigkeit des Kriegs angesichts einer nicht enden wollenden, jedoch stark reglementierten Bilderflut.

Die internationalen und deutschen Beiträge beziehen sich auf die unterschiedlichen Kontexte der Bildsituationen im Irak. Der spanische, in den USA lehrende, Medienwissenschaftler Jose del Ama zeichnet die Ereignisse um die Veröffentlichung der Abu-Ghraib-Bilder nach, die gezielt eine Demontage der amerikanischen Regierung betreiben sollten. Am Ende, so konstatiert del Ama, stehen die Beteiligten in ähnlicher Weise vor der anklagenden Öffentlichkeit „am Pranger“, wie die vorgeführten irakischen Gefangenen.

Die öffentliche Schande ist, wie del Ama anmerkt, ein wichtiger Aspekt der Inszenierungen. Dieses aufgreifend spürt der amerikanische Kunsthistoriker Stephen Eisenman den ikonografischen Traditionen der Bilder nach: Denn obwohl die Bilder von relativ ungebildeten Personen angefertigt wurden, folgen sie verblüffend genau dem historischen Repertoire jener entwürdigenden Techniken, die sie zeigen. Neben den Assoziationen sadomasochistischer Praktiken, die bereits direkt nach der Veröffentlichung festgestellt wurden, besteht bizarrerweise ebenfalls ein überdeutlicher Rückgriff auf die Bildpraktiken der westlichen Kunstgeschichte. Eisenman geht diesen Ikonografien nach und dokumentiert deren Verhaftetsein in der künstlerischen Bildtradition. Seine Argumente bezieht er aus Darstellungen von Francisco Goya und Pablo Picasso, welche die öffentlichen Entwürdigungen vehement anklagen. Allerdings verleugnet er auch nicht die erotische Komponente der Bilder, die er vor allem in den Fotografien Robert Mapplethorpes wiederfindet.

Die amerikanische Filmwissenschaftlerin Linda Williams, die durch ihre Arbeiten zum pornografischen Film internationale Reputation erlangte, konzentriert sich auf Errol Morris Dokumentarfilm „Standard Operation Procedure“ (2008) und betrachtet den im Film vorgenommenen Prozess des „framings“ der Bilder. Williams folgt dem von Judith Butler behaupteten Prozeß des „framings“, also der kontextuellen Einordung von Bildern und versucht in Morris’ Film nachzuvollziehen, wie die Beteiligten jeweils individuell die Anfertigung der Bilder im Rahmen ihrer Wertesysteme rechtfertigen.

Akzeptieren wir die These, dass die Bilder von Abu Ghraib lediglich Inszenierungen von Folter waren, muss sich die Frage nach der authentischen Berichterstattung, der kritischen Position gegenüber den Geschehnissen im Irak anschließen. Wo sind die Bilder und Filme, die kritisch entweder dokumentarisch oder fiktional mit dem Krieg ins Gericht gehen, wie etwa die großen Spielfilme, die nach Ende des Vietnamkriegs den amerikanischen Einsatz und das Verhalten der Soldaten einem entsetzten Publikum vor Augen führen?

Auch in diesen Bereichen stoßen wir auf eine eigenartige „Bilderlosigkeit“ in der Spielfilmproduktion. Anscheinend spielt sich die filmische Kritik am Krieg nicht – wie es noch im Vietnamkrieg der Fall war – auf Ebene der Erzählung statt, sondern ist in die Form gewandert. Fast alle Spielfilme über den Irakkrieg konstruieren ihre Erzählungen über diese Form der medialen Berichterstattung. Der Verweis auf die Vielfältigkeit und die Privatheit der Medien verdrängt die Bilder der (Anti-)Helden des Vietnamkriegs.

Helden, Soldaten und Kämpfer sind in der Regel Männer. So vor allem in den Filmen über den Krieg. Dass Frauen auch an Kriegshandlungen teilnehmen, ist einer breiten Öffentlichkeit kaum bewusst. Die Mitherausgeberin Karen Ritzenhoff, die in den USA Filmwissenschaft und Dokumentarfilm-Produktion unterrichtet, berichtet über weibliche Soldatinnen im Irakkrieg und durchbricht hier ein Tabu der Berichterstattung: Denn im Gegensatz zu den deutlichen Anweisungen der amerikanischen Regierung werden die Frauen in einen Kampf geschickt, für den sie in keiner Weise ausgebildet sind. Hinzu kommt, dass sie im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen einer doppelten Gefahr ausgesetzt sind: derjenigen, die vom Feind ausgeht und derjenigen, die die „Kameraden“ verkörpern. Im Dokumentarfilm „Lioness“ (2008) berichten schwer traumatisierte Frauen von ihren Kriegserlebnissen. Sie waren unvorbereitet mit Kämpfen und Tötungshandlungen konfrontiert, was bei ihnen erhebliche Traumata verursacht hat. Ein Thema, das gerne der Öffentlichkeit und deren Bedürfnis nach soldatischen Heldenfiguren vorenthalten wird.

Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert grundsätzlich nicht die Bücher von regelmäßigen Mitarbeiter / innen der Zeitschrift sowie Angehörigen der Universität Marburg. Deren Publikationen können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.