Zukunftsbeschwörungen

Die Weimarer Republik mag ein Staat ohne Zukunft gewesen sein. Geredet wurde in ihr über Zukunft dennoch sehr viel, wie Rüdiger Graf in seiner materialreichen Studie zeigt

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn von der Weimarer Republik die Rede ist, wird beinahe im selben Atemzug ihr Gefälle zum Nationalsozialismus betont. Die erste deutsche Republik, heißt es stets in diesem Zusammenhang, habe von Beginn an keine Chance gehabt, der Krieg sei eine drückende Altlast gewesen, nicht minder das Diktat von Versailles und die daran anschließenden Reparationsforderungen der Entente. Die Revolution, mit der sie erst möglich geworden sei, sei doch nur halbherzig durchgeführt worden, sie sei zwischen den unterschiedlichen extremen Lagern zerrieben worden; die KP auf der Linken und NSDAP auf der Rechten hätten das Vertrauen in die Demokratie zerstört, nicht zuletzt unter Mitwirkung der moderateren Parteien, die sich nur halbherzig zur Republik bekannt hätten.

Politisch sei die Demokratie nie in der Gesellschaft jener Zeit angekommen. Die extremen wirtschaftlichen Belastungen durch Inflation und Wirtschaftskrise hätten das Übrige getan. Die kulturelle Blüte, durch die sich die Weimarer Republik auszeichnet – in Film, Literatur, Bildende Kunst, Musik –, sei nur so etwas wie der schöne Schein einer sich selbst zerstörenden Gesellschaft gewesen. Wenn es eine Gesellschaft ohne Zukunft gegeben habe in der deutschen Geschichte, dann die Weimarer Republik.

Dass dieses Bild der Jahre 1918 bis 1933 nicht (ausschließlich) stimmen kann und vom faktischen und vor allem fatalen Verlauf der Geschichte bestimmt wird, wird wie so oft beim zweiten Blick auf jenes fragile und flüchtige System erkennbar, das wir Weimarer Republik nennen.

Zu umkämpft war sie, zu sehr hing ihre Geschichte an Zufällen, zu sehr neutralisierten sich die verschiedenen Gruppen in diesem Staat, zu aufgeklärt und abgeklärt schien seine Öffentlichkeit, zu sehr schien er in der Moderne angekommen zu sein. Was wäre denn gewesen, wenn Friedrich Ebert, Gustav Stresemann oder Walther Rathenau nicht so frühzeitig verstorben oder ermordet worden wären? Was wäre, wenn Röhm sich gegen Hitler durchgesetzt hätte und die NSDAP wieder zerfallen wäre, was 1932 nicht unwahrscheinlich war? Die Geschichte ist anders verlaufen, das ist das Eine. Und dennoch ist Hagen Schulzes These, dass die erste deutsche Republik vor allem daran zugrunde gegangen sei, dass ihre Eliten sich nicht mit ihr identifiziert hätten, nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Mehrheit der Bevölkerung hätte sich wohl auch in den 1920er-Jahren mit der Republik arrangiert, wenn sie Bestand gehabt hätte.

Und es sind eben diese Eliten, die die Rede über die Republik und über ihre Zukunft betrieben und vorantrieben. Denn in der Rede über die Zukunft wurde nicht zuletzt die Positionierung in der Gegenwart betrieben.

Dabei, so Rüdiger Graf in seiner Studie, seien die Optionen der Republik im Großen und Ganzen als eher offen angesehen worden. Trotz der extremen Bedingungen, unter denen die Republik litt, sei die Zukunft Deutschlands eher positiv gesehen worden. Das mag überraschen – allerdings nur aus der fatalistischen Position a posteriori.

Um auf dieses Ergebnis zu kommen, hat Graf etwa 1.000 Artikel aus Tageszeitschriften und Zeitschriften sowie 350 selbständige Schriften zur Zukunft Deutschlands erschlossen. Die Texte stammen aus allen Ecken des politischen Spektrums, unter Einschluss etwa auch des esoterischen Schrifttums, sodass Graf in der Tat einen systematischen Zugang zum Zukunftsdiskurs der Weimarer Republik ermöglicht.

Dabei stellt er nicht zuletzt fest, dass der Begriff „Zukunft“ vor allem zu Beginn und am Ende der Republik Konjunktur hatte. Angesichts dessen, dass gerade diese Perioden besonders umkämpft waren, ist das nicht erstaunlich: Zu Beginn erwartete vor allem die extreme Linke die nahende Revolution und ließ sich 1920 sogar zu einem Umsturzversuch hinreißen, während zum Ende KP und NSDAP um die Vormacht im schwächelnden liberalen System kämpften. Nur die Vergnügungskultur und ihre soziale Basis scheinen sich vor allem mit ihren Anpassungsproblemen beschäftigt zu haben, aber das ist ein anderes Thema.

Graf nun wertet sein Material unter verschiedenen systematischen Aspekten aus. Er stellt die optimistischen neben die pessimistischen Redeweisen, lässt die Zeitgenossen darüber diskutieren, ob die Zukunft, und wie sich die Autoren sie vorstellen, eher evolutionär oder eher revolutionär erreicht werden könne, ob soziale Experimente wie die Sowjetunion oder doch eher die USA Vorbild sein könnten, inwiefern das gegenwärtige Deutschland bereits Züge der Zukunftsgesellschaft zeige, er umkreist Begriffe wie „Tat“ oder „Kampf“, und beschäftigt sich abschließend mit dem Utopischen als Rede über mögliche und wünschenswerte Entwicklungen.

Das führt zu dem Eindruck, dass die Rede über die Zukunft Deutschlands in der politischen Presse allgegenwärtig war. Graf hebt dabei hervor, dass die publizistische Aufbereitung von Zukunft für die politische Auseinandersetzung eine zentrale Rolle gehabt habe. Nicht zuletzt habe sie die Verständigung von Repräsentanten – für uns heute unverständlich – auch extremer politischer Lager möglich gemacht. Die wesentlichen semantischen Brücken seien der „optimistische Glaube an eine bessere Zukunft, die Konstruktion der Gegenwart als Zeitenwende und die Überzeugung, Verbesserungen durch die eigene zukunftsgestaltende Tat herbeiführen zu können“, gewesen.

Grafs Studie ist in der Tat material- und aufschlussreich, dabei beeindruckend in der systematischen Tiefe. Allerdings verschwinden die verschiedenen politischen Positionen eben auch gelegentlich in der Fülle des Materials und stehen ununterscheidbar nebeneinander, egal ob links, rechts oder in der Mitte, alle tönen gleichermaßen von der Zukunft und dass man hart arbeiten müsse, um sie auch positiv und im Sinne der jeweiligen Position zu gestalten. Dass das ja nicht zuletzt eine der Merkwürdigkeiten der Kultur der Weimarer Republik war, bleibt dabei unbenommen: nämlich dass hier nebeneinander stehen konnte, was sich uns heute unversöhnlich gegenseitig ausschließt. Insofern liegt der Verdacht nahe, dass dieses Manko nicht notwendig Graf anzulasten ist, sondern seinen Quellen, aus denen die Rede über die Zukunft derart intensiv heraustönt, dass sie alle Unterschiede verdeckt.

Titelbild

Rüdiger Graf: Die Zukunft der Weimarer Republik. Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutschland 1918-1933.
Oldenbourg Verlag, München 2008.
460 Seiten, 64,80 EUR.
ISBN-13: 9783486585834

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