Die malende Putzfrau

Hans Körners und Manja Wilkens Porträt der Künstlerin Séraphine Louis (1864-1942)

Von Esther SchröterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Esther Schröter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Diese stadtbekannte Senliser Erscheinung leidet an Schwachsinn“, schrieb ein Journalist, als Séraphine Louis am 7. Februar 1932 Teile ihres Besitzes, darunter Kleidung und Einrichtungsgegenstände, auf offener Straße verteilte. Noch am selben Tag wird Louis von der Polizei in das örtliche Krankenhaus gebracht. Sie ist von der Angst besessen, vergiftet zu werden. Kurz darauf weist man sie in die psychiatrische Anstalt in Clermont de l’Oise (Picardie) ein, wo sie zehn Jahre später, im Dezember 1942, an Krebs stirbt.

Hans Körner und Manja Wilkens greifen eingangs die Krise der Malerin auf, die viel zur Vorstellung einer „wenig geliebten, verschrobenen älteren Frau“ beitrug. Und zum Klischee vom Künstler als „Außenseiter der Gesellschaft“ passt.

Louis litt unter Größen- und Verfolgungswahn. Sie bestellte 1932 ein Brautkleid für die anstehende Heirat mit einem Hauptmann in Spanien und ordnete ihre eigene Leichenschau an. Auf Geheiß ihres Schutzengels malte sie die Statue der Lourdes-Madonna in der Kathedrale von Senlis rosa an. Und das Ende der Welt prophezeite sie auch.

Aber der Mythos von der in Trance malenden Putzfrau aus Senlis – wie auch der Kinofilm „Séraphine“ von Martin Provost (2008) zeigt – kann auf Grundlage umfassender Recherchen zu Leben und Werk der Künstlerin nicht standhalten.

Séraphine Louis, die heute als eine wichtige Vertreterin naiver Malerei gilt, wächst in dem kleinen französischen Ort Senlis, in der Nähe von Paris auf. Mit 13 Jahren tritt sie ihre erste Anstellung als Dienstmädchen in Paris an. Die Beschäftigung bei einer Pariser Comtesse als Zimmermädchen und Küchenhilfe folgt. Ab 1881 und für die weiteren zwanzig Jahre kommt Louis in einem Kloster in Clermont unter. Der Status, den sie dort eingenommen hat, ist unbekannt geblieben. Genauso wenig weiß man, ob sie das Gelübde abgelegt hat. Nach Verlassen des Klosters beginnt sie als Putzfrau zu arbeiten und bezieht 1906 die Wohnung in der Rue du Puits Tiphaine, wo sie malt und bis zum Zeitpunkt ihrer Krise lebt.

Die Biografie zeichnet in 17 Kapiteln wichtige Stationen im Leben der Künstlerin nach, genauso wie den Werkprozess. Die kritische Auseinandersetzung mit den vorhandenen Quellen zu Leben und Werk zeigen, an welchen Punkten das Bild von der Malerin zu korrigieren ist.

Wilhelm von Uhde wird beispielsweise oftmals als der eigentliche Entdecker Louis’ benannt. Allerdings kannte man Séraphine in Senlis lange vor der Bekanntschaft mit dem Kunsthändler als die exzentrische Putzfrau, kaufte ihre Bilder und erteilte ihr Auftragsarbeiten. Zwischen der ersten Begegnung von Uhdes mit Louis (1912) und der zweiten (1927) liegen 25 Jahre. „Ist es Zufall, daß Wilhelm von Uhde in diesem Jahr 1927 Séraphine Louis wiederfand und recht besehen in diesem Jahr erst entdeckte?“, fragen die Autoren. Denn eine „malende Putzfrau stand einem malenden Gärtner [gemeint ist André Bauchant, 1873-1958, naive Malerei, vormals Gärtner] an ‚Primitivität‘ nicht nach, und der Auftrag der Muttergottes oder des Schutzengels an Séraphine Louis zu malen, konnte durchaus mit dem Befehl des Jenseitigen konkurrieren, der Lesage [Augustin Lesage, 1876-1954, naive Malerei] im Bergwerkstollen verkündigte: „Eines Tages wirst du Maler sein!“

Von Uhde machte Louis in Paris als eine „Moderne Primitive“ bekannt und pries sie als eine große naive Malerin an. Distanzierte sich aber ab dem Zeitpunkt von ihr (1930), wo erste Anzeichen für ihren späteren Zusammenbruch zu erkennen waren: Durch Louis' Gewissheit, eine bedeutende Künstlerin zu sein, verloren ihre Ausgaben jedes Maß. Sie glaubte daran, ein prunkvolles Begräbnis sowie ein Denkmal mit Statue in Senlis zu verdienen. Wilhelm von Uhde stand vermutlich auch nach dem Bruch mit der Künstlerin in Kontakt mit ihr und verbreitete andererseits 1934 das Gerücht vom Tod der Künstlerin, die erst einige Jahre später in der psychiatrischen Anstalt starb. Entscheidend für sie war, dass der Rückzug von Uhdes ihre künstlerische Existenz beendete. „Sollte sie wie in früheren Jahren in ihren raren Ruhestunden auf ausgelesene Bretter, Camembertdosen oder Schuhschachteln malen? In dieser verzweifelten Situation kam es zum Zusammenbruch.“ Es wird vermutet, dass Louis nach ihrer Einweisung auch nicht mehr malte. Sie habe sich dafür zu alt gefühlt.

Séraphine Louis war Autodidaktin, entwickelte ihren eigenen Stil, fernab der Avantgarde. Von der Muttergottes beauftragt zu malen, begann sie Stillleben und Verzierungen auf Porzellan und anderen Gegenstände anzubringen. Ein Verehrer ihrer Kunst aus Senlis schenkte ihr Farben und Pinsel, so dass sich der maltechnische Aufbau der Bilder verkomplizieren konnte. Ihre Motive sind insbesondere Blumen und Bäume, die sich in ihrer Aussagekraft und Intensität zu apokalyptischen Visionen verdichtet haben. Ihr Werk hat sich bis zur Monumentalität hin gesteigert, was nicht allein ihr bevorzugtes Leinwandformat mit einer Höhe von bis zu zwei Metern meint, sondern die kompositorische Geschlossenheit und die Intensität ihrer Farben.

Die Biografie „Séraphine Louis“ stellt auf Grundlage aller vorhandenen Quellen zu Leben und Werk die „Malerin des heiligen Herzens“ vor, der die Autoren eine tiefe Religiosität bezeugen. Der Mythos der naturwüchsigen und einzelgängerischen Künstlerin wird auf Grundlage gründlicher Recherchen korrigiert. Die Begeisterung der Autoren für eine außergewöhnliche Persönlichkeit ist deutlich zu spüren, ohne dass eine voreingenommene Haltung bei der Werkinterpretation erkennbar wäre. Die Bildanalysen stehen stellvertretend für eine bestimmte Schaffensphase. Und eine detaillierte Interpretation weiterer Bilder hätte vermutlich den Rahmen einer Biografie gesprengt, wäre jedoch vielversprechend gewesen.

Titelbild

Hans Körner: Séraphine Louis. 1964-1942.
Benteli Verlag, Wabern 2009.
262 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783716515624

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