Ein Selbstversuch

Stefan Weidner hat ein „Manual für den Kampf der Kulturen“ verfasst

Von Henrike LerchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Henrike Lerch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stefan Weidner, bezeichnet sein „Manual für den Kampf der Kulturen“ selbst als einen Versuch, tatsächlich ist dieser Essay ein Selbstversuch: Weidner konfrontiert seine politisch-korrekte, weltoffene, multikulturelle Haltung mit dem aufkommenden Unbehagen gegenüber einer sich abschottenden, tief-religiösen, die weltoffene, westliche Moderne kritisierenden muslimischen Welt.

Das Buch teilt sich in drei Teile, der erste Teil „Hinführungen“ dient als Einleitung, der zweite und umfangreichste Teil „Grundzüge einer Grammatik des Kampfes der Kulturen“ erörtert die Problemlage vor allem vor dem Hintergrund geschichtlicher Entwicklungen, der abschließende Teil „Kleine Chrestomathie des Kampfes der Kulturen“ geht kritisch auf die gegenwärtige Diskussionslandschaft über den Islam ein.

Mit drei Bildern versucht Weidner in das Thema einzuführen – zunächst mit einem Gedankenexperiment, das die Konfliktträchtigkeit von Religionen zeigt, die alleinigen Anspruch auf das Gute versprechen. Das dritte Bild verdeutlicht eine allgemeine Erfahrung bei der Beobachtung von fremden und vermeidlich religiösen Fanatikern in der Londoner Tube. Aufklärung über Ziel des Buches gibt der zweite Abschnitt, hier macht Weidner deutlich, dass er im Kulturkampf weder etwas Neues noch etwas Außergewöhnliches sieht: „Kulturkämpfe hat es immer gegeben“ ist der wiederholte Satz, der nicht durch einen theoretischen Bezug auf Samuel Huntingthon erklärt werden soll, sondern von der Deutung von Konflikten her geleitet wird. Es sind also nicht die großen Kulturen, die unvereinbar aufeinander treffen und immer wieder im Kampf enden, sondern schon kleine Abweichungen innerhalb einer Kultur, die Weidner als Kulturkampf deutet, etwa innerhalb der arabischen Welt oder der „Deutsch-französischen-Erbfeindschaft“. Doch es wird auch deutlich, dass er dem Konfliktpotential zwischen „dem Islam“ und „dem Westen“ ein neues Potential beimisst.

Weidners Anliegen ist es, in dem ganzen Konglomerat von Meinungen und geschichtlichen Linien zu klären, warum wir den Islam als eine Provokation empfinden. Das Ziel des kleinen Bändchens bleibt nach dieser Einleitung aber etwas schleierhaft – oder letztlich auf die Selbsterfahrung und eigene Reflexion mit den Fragen im Umgang mit der muslimischen Welt beschränkt. Es geht einerseits um Diskurse im Westen genauso wie in der islamischen Welt, es geht darum, den eigenen Standpunkt zu hinterfragen und sich auch innerlich für die politisch-korrekte multikulturelle Perspektive zu öffnen – es geht aber auch um die Schwierigkeiten auf diesem Weg. Doch es bleibt offen, für welches Publikum diese Selbstreflexion über den sogenannten „Kampf der Kulturen“ geschrieben ist.

Zwar hat das Buch seine Höhepunkte, vor allem wenn Weidner im zweiten Teil begriffliche Differenzierungen, wie die zwischen Universalisten und Relativisten oder zwischen Determinierern und Indeterminierern, einführt, die helfen, die verschiedenen Positionen und ihre Möglichkeiten in den Diskursen zu beurteilen. Überhaupt bietet der zweite Teil ein sehr differenziertes Bild vom Islam, seiner eigenen Diskussionslandschaft, seinen historischen Entwicklungen und seinen derzeitigen Ausdifferenzierungen. Gleichzeitig wird auch unser westliches Bild vom Islam ausgewogen diskutiert. Hier wird deutlich, dass Weidner, als sehr guter Kenner des Orients, seiner Geschichte, Kultur und Religion ist, dass er die öffentlichen Darstellungen und Debatten im Osten wie im Westen gut kennt und kritisch reflektiert aufbereiten kann. Der interessierte Leser wird in diesem umfangreichen Hauptteil viele interessante Aspekte finden.

Doch auch hier muss die Buchkategorie des Essays als Versuch ernst genommen werden, denn trotz all der vielfältigen Linien und Begriffe, die hier gekonnt und intelligent zusammengeführt werden, bleibt das Anliegen unklar. Einzig könnte gesagt werden, dass alles viel schwieriger und komplexer ist, als es in den Medien und Pauschalierungen dargestellt wird. Doch jeder, der offen ist, sich der Problemlage zu stellen und selbst in anderen Kontexten differenzierte Blickwinkel einnimmt, wird sich dies schon gedacht haben. Ob Leser, die mit Vorurteilen auf den Islam schauen, schon die Offenheit mitbringen sich auf dieses Komplexitätsniveau einzulassen, darf hingegen bezweifelt werden. Es bleibt auch Offen, mit welchem Leser hier überhaupt gerechnet wird. Denn während auf der einen Seite die schon angesprochenen begrifflichen Differenzierungen zum Teil so stark heruntergebrochen und vereinfacht werden, dass man diesen Ausführungen ohne jegliche begriffliche Vorbildung voll und ganz folgen kann, wird auf der anderen Seite immer wieder auf die komplexe Entwicklung im Islam eingegangen und werden hierbei einige Standpunkte so verkürzt dargestellt, dass man den einzelnen Ausdifferenzierungen kaum folgen kann.

Trotz all dieser Kritik zeigt dieser Teil aber auch, wie es möglich ist, andere Perspektiven auf den Islam zu gewinnen. Vor allem wird gezeigt, dass nicht nur unser Bild vom Islam einseitig ist, es im Islam selbst auch die Möglichkeit zur Aufklärung gibt, und zwar eine andere Aufklärung als jene, die unsere westliche Moderne prägt. Weidner zeigt also, dass sowohl unsere Gesellschaft mit ihren verschiedenen Sichtweisen und Urteilen über den Islam genauso divergent und komplex ist wie die islamische Welt, und dass die Maßstäbe, an denen wir den Islam zu messen versuchen, nicht immer angemessen sind.

Im dritten und letzten Teil geht Weidner dann sehr viel stärker auf die Konflikte der westlichen Moderne mit dem Islam ein. Da er hier mit seinem eigenen biografischen Hintergrund beginnt, den Leser also aufklärt, wie es zu seinem Interesse an der Sprache, Geschichte und Religion des Orients kam, will er diese Analyse wohl auch als seine subjektive Ansicht verstanden wissen, auch wenn in den nachfolgenden Abschnitten wieder fundierte Analysen der Problemlage herangezogen werden.

So wird zum Beispiel aufgezeigt, dass viele Protagonisten der Antiislambewegung Exkommunisten, Alt-Linke und Neokommunisten sind, es aber auch andere Lobbygruppen gibt, die mit der Behauptung, der Islam und die Demokratie seien nicht vereinbar, Kulturkampf betreiben. Weidner bietet aber auch andere Wege an, den Konflikt zu verstehen. So zeigt er auf, dass sich im Islam und im Westen, dasjenige grundsätzlich zu widersprechen scheint, was als heilig angesehen wird. Der Konflikt tritt dann auf, wenn das Heilige, im Islam die Befolgung religiöser Regeln, im Westen das Individuum und seine Freiheit, sich grundsätzlich auszuschließen scheinen. Hier versucht der Autor, Auswege anzubieten, die sicherlich wichtig sind, um im Diskurs auch andere Optionen zu bekommen – doch inwiefern sie in den verfahrenen und durch Vorurteile belasteten Konflikten wirklich Gehör finden, bleibt fraglich. Um so gelungener ist dabei auch die Darstellung des Diskurses über den Islam, bei dem Weidner darlegt, dass hier bestimmte Bilder die Landschaft prägen und gewahrt bleiben.

Es muss in unserer durch Medien bestimmten und zu Pauschalierungen neigenden Welt sicher noch mehr solcher Versuche geben, das Bild vom Anderen sowie von sich selbst zu hinterfragen und um Konflikte aufzulösen. Es bedarf aber auch der Bereitschaft, sich offen auf Alternativen einzulassen. Wahrscheinlich ist genau dies das Anliegen dieses Buchs.

Titelbild

Stefan Weidner: Manual für den Kampf der Kulturen. Warum der Islam eine Herausforderung ist.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
221 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783458710127

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