Ex negativo

Udo Franke-Penski und Heinz-Peter Preußer geben einen Band über die Männerfantasie des kriegerischen Geschlechts der Amazonen heraus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Die Amazone“ lautet der vielversprechende Titel eines Buches, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Berlin erschien. Wer sich jedoch von diesem „Roman einer Frauenkämpferin“ eine emanzipatorische Lektüre verspricht, wird bitter enttäuscht werden. Denn sein Verfasser, ein heute längst vergessener Autor namens Theodor Wolff-Thüring, domestiziert seine Titelfigur, die ebenso gescheite wie feministische Johanna Albrecht, nach allen damals bekannten Regeln der antifeministischen und misogynen Missgunst, bis sie dem eigentlichen, natürlich männlichen Helden des Romans schließlich „leise und scheu“ bekennt: „Ich bin besiegt!“ Dass sie ihm nun willig in die Ehe folgt, versteht sich. Nur allzu offensichtlich hat der Autor sich seine titelstiftende Amazone als besonders klug, stark und kämpferisch erdacht, um ihre Unterwerfung im Geschlechterkampf desto wirkungsvoller in Szene setzen zu können.

Heinz-Peter Preußer mag der Roman vielleicht unbekannt sein. Der Plot dürfte ihn allerdings kaum überraschen. Denn wie er feststellt, unterliegen die kriegerischen Frauen ihren männlichen Gegnern bereits in Amazonenmythen mit steter Regelmäßigkeit. Daher stellt er die These auf, dass „Männer in patriarchalischen Gesellschaften“ sich den Mythos und die Fiktion dieser „kriegerischen Gegenbilder“ überhaupt nur ausgedacht haben, um anhand der „vordergründig starke[n] Frauen“ die bestehenden Rollenbilder zu „bekräftigen“ und zu „fixieren“. Dies, so Preußer weiter, habe sich bis heute nicht geändert und treffe zumal auf das Mainstream-Kino zu. Beispiele für fiktive Frauen, deren kämpferische Aktivitäten „als emanzipatorische Akt[e] gefeiert werden“, die tatsächlich jedoch nur eine „Festschreibung des Geschlechterverhaltens“ bewirkten, fallen dem Autor so einige ein. Unter anderem nennt er die Protagonistin aus „Kill Bill“, Selene aus „Underworld“, Sarah Connor aus „Terminator 2“ sowie Tank Girl, Red Sonja, Catwoman, Xena und Lara Croft. Sie alle seien nicht nur „Sexidole“, sondern zugleich auch noch „vermännlicht“. KennerInnen der Filme und Serien werden erkennen, dass sein Verdikt durchaus nicht allen genannten Figuren gerecht wird. Doch Preußer zufolge sind die starken Frauen des Kinos selbst dann antiemanzipatorisch, wenn sie die Kampf- und Geschlechterarena als Siegerin verlassen. Es sei denn, sie sind zugleich androgyn. Als solche gelten ihm die „junge Polizistin“ aus „Blue Steel“ und Nikita. Man sieht also, so plausibel Preußers Ausgangsthese auch sein mag, seine Schlüsse sind es mitnichten oder doch bestenfalls mit Abstrichen.

Veröffentlicht hat er seine Überlegungen in dem von ihm gemeinsam mit Udo Franke-Penski herausgegebenen Band „Amazonen – Kriegerische Frauen“. Ebenso wie Preußer befasst sich auch Franke-Penski mit „Amazonen im modernen Action-Film“, wobei ihm die Bezeichnung des mythischen Volkes für alle kriegerischen oder auch nur kampferprobten Frauen von Foxy Brown über Ellen Ripley bis hin zu Buffy dient, die sich als Vampir-Jägerin bekanntlich in einem völlig anderen Mythen-Universum bewegt als das wehrhafte Frauenvolk der Antike.

Hervorgegangen ist der Band aus einem gemeinsamen Symposium der Universität Bremen und des Bremer Theaters. Das Zusammenspiel dieser so unterschiedlichen Institutionen spiegelt sich in den beiden Teilen des Bandes wider. Spannen WissenschaftlerInnen diverser Disziplinen im ersten Teil des Buches „einen weiten Bogen“ von den ursprünglichen Amazonen-Mythen über deren feministische Umschreibungen bis zu den ,Amazonen’ heutiger Action-Filme, so befassen sich die AutorInnen des zweiten Teils mit dem von Stefan Schütz’ am Bremer Theater inszenierten Stück „Die Amazonen“; unter ihnen der Regisseur selbst, der gleich mit zwei Texten vertreten ist.

Die von den Herausgebern gemeinsam verfasste Einleitung erweist sich als weniger überzeugend als die beiden Beiträge, für die sie jeweils als alleiniger Autor verantwortlich zeichnen. Dabei sind es vor allem zahlreiche Einzelheiten, die Bedenken oder gar Widerspruch hervorrufen. Das beginnt schon in den ersten Zeilen, wenn sie die Befreiung, auf welche die Neue Frauenbewegung Anspruch erhob, in einfache Anführungszeichen setzen, was gemeinhin als Zeichen kritisch-ironischer Distanzierung zu verstehen ist und den Verdacht nahe legt, die beiden Herren seien der Auffassung, seinerzeit hätte es so gut wie nichts gegeben, wovon sich Frauen hätten befreien können – sieht man einmal von dem patriarchalischen Gehabe der Studierendenführer ab, denen die Genossinnen „für die befreite männliche Sexualität zur Verfügung stehen“ mussten und die ansonsten „zum Kaffeekochen gerade gut genug waren, während die Cheftheoretiker hitzig diskutierten“. Gerade so, als hätte es für die in die Fesseln gutbürgerlicher Ehen geschlagenen Frauen nicht die eherechtlich vorgeschriebene Pflicht gegeben, den Haushalt zu führen, und für den Ehegatten nicht das ebenfalls gesetzlich verbriefte Recht, sie zu vergewaltigen – sowie überhaupt die Vormundschaft des Gatten über die Frau in so ziemlich allen relevanten Lebensfragen und -lagen.

Auch hätte man gerne gewusst, welchen Feministinnen der Zweiten Frauenbewegung Amazonen als „Identifikationsfigur für eine neu zu interpretierende ‚Weiblichkeit‘“ prädestiniert schienen, wie dies von den Herausgebern unterstellt wird. Zwar wurde der Mythos hier und da tatsächlich aufgegriffen. So existierte in Berlin etwa für einige Zeit der feministische Amazonen-Verlag. Die Identifikationsfigur der Aktivistinnen und Theoretikerinnen der Zweiten Frauenbewegung war jedoch keineswegs die Amazone, sondern viel eher die Hexe. Als lila Aufkleber leuchtete sie in den 1970er- und 1980er-Jahren mit ihrem Besen auf unzähligen Windschutzscheiben und Heckklappen von Kraftfahrzeugen, an dessen Steuer eine Frau saß. Zwar sah Mann womöglich ebenso oft die fürchterliche Doppelaxt, die neben Pfeil und Bogen als eine Amazonenwaffe gilt. Während und nach der Zweiten Frauenbewegung stand die als Kastrationsinstrument einsetzbare Waffe jedoch vor allem für lesbische Sexualität und Identität.

Nun mag es also schon so sein, dass es die eine oder andere Frauenrechtlerin gab und gibt, die den Amazonenmythos für sich entdeckt hat. Für die feministische Mehrheit spielte er allerdings von je her eine ebenso geringe Rolle wie Bachofens Thesen, dessen Annahme eines vorgeschichtlichen Matriarchat es schon in den diversen Flügeln der Ersten Frauenbewegung nur hier und da zu einigem Ansehen gebracht hatte. Ungeachtet all dessen errichten Franke-Penski und Preußer eine feministische Pappkameradin, der sie „die frauenbewegte Zurichtung der Matriarchats-Idee à la Bachofen“ unterstellen, um sie anschließend desto leichter umstoßen zu können. Tatsächlich aber wurde Bachofen von kaum einer Frauenrechtlerin „feministisch beerbt“, wie die Herausgeber behaupten. Bezeichnenderweise können sie mit Berta Eckstein und Heide Göttner-Abendroth denn auch gerade mal eine Außenseiterin der Ersten und eine der Zweiten Frauenbewegung nennen, die tatsächlich der Matriachts-These anhingen beziehungsweise anhängen. Genau genommen traten beide Theoretikerinnen erst nach dem Auslaufen der Ersten (Eckstein) beziehungsweise der Zweiten Frauenbewegung mit ihren wichtigsten matriarchatstheoretischen Schriften hervor.

Die These, der Amazonenmythos und Bachofens Matriarchatsideen seien für die Frauenbewegung(en) von nennenswerter Relevanz, steht also auf tönernen Füßen. Auch geben sich die Herausgeber nicht immer sonderlich viel Mühe, wenn es darum geht, Quellen für ihre Angaben ausfindig zu machen. Als Beleg für die Behauptung, der „verstörende Mythologem der wehrhaften Kriegerin habe festgefügte Geschlechterkonstruktionen“ erschüttert, führen sie beispielsweise keine geringere als die Gendertheoretikerin mit dem klangvollen Namen Judith Butler an, genauer gesagt ihr bahnbrechendes Werk „Das Unbehagen der Geschlechter“. Schlägt man die angegebenen Stellen jedoch in diesem Buch nach, ist weit und breit kein Sterbenswörtchen über Amazonen oder sonstige Mythologeme wehrhafter Kriegerinnen zu finden.

Nun ließen sich leicht etliche weitere kritische Anmerkungen zu den einleitenden Ausführungen machen. Doch darauf soll verzichtet werden. Nur eines noch: „Ex negativo“, monieren Franke-Penski und Preußer, „entfernt sich das Bild der kriegerischen Amazone gar nicht so sehr von der Ontologie der Haushüterin“. Das ist etwa ebenso überzeugend, als wolle man Befreiung mit dem Argument kritisieren: Ex negativo entferne sich Freiheit gar nicht so sehr von Sklaverei.

Titelbild

Udo Franke-Penski / Heinz-Peter Preußer (Hg.): Amazonen - Kriegerische Frauen.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2010.
188 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783826038884

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