Die Verwertung der Farce

Zwei Sammelbände zum Werk von Michael Hardt und Antonio Negri

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als im Frühjahr 2000 „Empire“ von Michael Hardt und Antonio Negri auf Deutsch erschien, da war die Begeisterung groß. Quer durch alle politischen Lager wurde das Buch frenetisch gefeiert. Der Nachfolger „Multitude“ löste rund zwei Jahre später fast nur noch Enttäuschung aus. Diese war berechtigt, verwundert aber, denn der Folgeband war ebenso miserabel und dümmlich wie sein Vorgänger. Seit wenigen Monaten liegt mit „Common Wealth“ der dritte Band vor, und zu dem hört man gar nichts mehr. Offensichtlich hat sich die Arbeit, die linke Akademiker und Sub-Akademiker sich der Zwischenzeit gemacht hatten, nicht gelohnt. Da lohnt ein Blick zurück.

Die beiden besprochenen Bände sind sehr ähnlich gelagert. Der Herausgeber- und Autorenkreis überschneidet sich und auch die Intentionen. Beide enthalten Aufsätze der Vordenker und ihrer prominenten Kollegen respektive Mitstreiter und Anhänger.

Der Band, der beim Westfälischen Dampfboot erschien, beginnt und endet mit einem Beitrag von Negri, in denen er das Verhältnis von Multitude und „konstituierender Macht“ sowie die Lohntheorie und dessen Entwicklung erläutert. Hardt umschreibt nochmals den Begriff der „affektiven Arbeit“. In dem Band, der bei Campus erschien, nimmt Negri zu seinem Begriff der „gesellschaftlichen Ontologie“ Stellung. Den beiden Autoren stehen Paolo Virno, Saskia Sassen, Maurizio Lazzaroto und Yann Moulier Boutang zur Seite. Deren neues Theorieangebot wird von anderen Autoren daraufhin abgeklopft, ob und inwiefern es mit den bisherigen Angeboten auf dem Markt subversiver Theorien kompatibel ist. Einen besonders großen Raum nehmen hier die Beiträge von Rosi Braidotti, Encarnación Gutiérrez Rodriguez, Judith Revel und Cornelia Eichhorn zum Thema Feminismus und gender politics ein. Aber auch die Migration wird stark gemacht, mit Beiträgen von Sandro Mezzadra und wieder Boutang. Hier werden die eigenen Claims abgesteckt: Ansprüche der eigenen Theorien und des eigenen politischen Terrains vorgetragen, mögliche Anknüpfungspunkte vorgetragen, aber auch illegitime Grenzüberschreitungen zurückgewiesen.

„Empire“ wird ausgelegt und kanonisiert – was schnell ebenso ermüdend wird wie die ad nauseam repetierten Foucault-Referate. Auffällig ist ohnehin die Selbstbezüglichkeit der beiden Bände. Zum einen bewegen sich die Vordenker ohnehin nur noch in ihrer eigenen Theoriesprache, und ihre Adepten folgen ihnen nach. Sie alle verarbeiten nur das, was ihre Sicht bestätigt, saugen für ihre Position ausschließlich solche historischen und soziologischen Studien an, die von ähnlich gesinnten Wissenschaftlern stammen. Ihr Theorieuniversum ist inzwischen fast so geschlossen wie das der trotzkistischen Zitierkartelle.

Zum zweiten wird Kritik ausgeblendet. Dass „Empire“-Kritiken in beiden Bänden nicht vertreten sind, verwundert nicht und kann auch schlechterdings nicht ernsthaft gefordert werden. Aber wie mit Kritik umgegangen wird, das zeugt von forscher Chuzpe. Jede Kritik wird bereits am Gatter abgewiesen. Denn sie bestehe nur aus „Denunziationen“ und zeuge von „Abwehrreflexen“, weiß Thomas Seibert. Der Diffamierung folgt die Psychologisierung, gegen die man als Foucaultianer doch eigentlich misstrauisch sein sollte.

Foucault und die linken Foucaultianer kritisieren stets zu Recht an der Psychoanalyse, dass diese als Methode der Selbst-Erforschung und -Befragung des Individuums zu einem Herrschaftsinstrument werden kann (auch wenn sie das nicht werden muss). Simon Weil verdammte die Freud’sche Lehre aus diesem Grunde schon in der Mitte der 1930er-Jahre. Aber wieso beschleicht die bewegungspolitischen Foucaultianer angesichts ihrer eigenen sozialwissenschaftlichen Arbeit dieses Unbehagen nicht auch? Denn ihre Bemühung um die „Kartographierung“ (wie es in der Verwendung des postmodernen Jargons mit geografischen Metaphern heißt) der „Mikropraxen“ des Widerstands – das ist die Arbeit des Revolutionstheoretikers vom imaginären Feldherrenhügel des sozialwissenschaftlichen Instituts aus mit Blick auf den Ameisenhügel der Multitude. Doch der von Hardt und Negri begeisterte Revolutionstechnologe will seine systematische Erfassung angeblicher „Potenziale“ für seine imaginären Legionen auch noch als Widerstand gegen den akademischen Mainstream verkaufen.

Lediglich Opitz und Matthies kritisieren in dem Campus-Band das, was merkwürdigerweise auch den meisten „Empire“-Kritikern nicht übel aufstieß: dass Hardt und Negri eine Ontologie propagieren – also eine Schwundstufe von Weltbewusstsein und ein Bollwerk gegen jedes Denken, dass sich selbst und die Welt in Frage stellt. Aber das Sein fasziniert sie; das, „was unterschiedslos allen gemeinsam“ sein soll (Virno). Die Bemühung ums Sein ist begleitet von der, zum Vor-Individuellen zu gelangen, gegen das als ‚herrschaftlich‘ verschriene objektive Denken, gegen das man – ganz herrschaftlich, nämlich ohne Begründung – sein „situiertes Wissen“ (Boutang) setzt, gegen die Dialektik, die Metaphysik und die Transzendenz (Seibert). Übers Sein soll man nicht hinausgelangen, diese äußerste Abstraktion, die als das ganz Konkrete missverstanden wird. Dass das Vorhaben, Abstraktionen in der Wirklichkeit zu realisieren, die Wirklichkeit zerstört, davor warnte schon Hegel. „Wer Sein sagt, muß notwendig Macht und Tod meinen“, so schloss Max Horkheimer sich ihm an, „und wenn er das Urteil ernst nimmt und das Besondere als ins Sein ganz eingegangen ansieht, hat er es schon als Nichts besiegelt, das mit Recht zugrunde geht.“

Wie gesagt: Von dem „Empire“-Boom ist nicht viel geblieben. Der Begriff „Multitude“ hat sich etablieren können, weil er so schön catchy ist, man ihn sowohl englisch (poppig) als auch lateinisch (Distinktion) aussprechen kann und weil er einem alten begehrten Objekt, nämlich dem „revolutionären Subjekt“, das bei den Revolutionstheoretikern immer nur das Objekt ihrer Projektionen und strategischen Manöver ist, einen neuen Namen gegeben hat. Alle 20 bis 30 Jahre müssen die Ladenhüter neu lackiert werden, um die Nachgewachsenen anzuziehen und die Alten zu reaktivieren.

Vervielfältigt hat sich ein Substrang aus „Multitude“, nämlich vorsichtig und unentschieden mit den ‚revolutionären Bewegungen‘ des Islamismus anzubändeln. Bei den Äußerungen von Judith Butler und Alain Badiou zu den palästinensischen ‚Befreiungsbewegungen‘ aus den letzten Monaten werden Hardt und Negri als Vorläufer vergessen. Denn die Intifada von 2000, so die beiden, sollte das „Demokratiedefizit“ der früheren Guerillabewegungen angeblich weitgehend überwunden haben. Sei sie auch „höchstens eine Anspielung auf die Form, die wir suchen“, so weise sie doch immerhin „Tendenzen zur Organisationsform eines verteilten Netzwerks“ auf – und Netzwerk ist für Hardt und Negri immer gut.

Der Organisationssoziologe und Historiker Wolfgang Seibel hat inzwischen nachgewiesen, dass auch der Nationalsozialismus, und insbesondere die Vernichtung der Juden, so gut funktionierte, weil er „kein Befehlszentrum“ hatte, sondern vielmehr „ein Maximum an Autonomie der verschiedenen Teilbereiche“ gewährte. „Wie ein Rudel Wölfe“, „mit zahlreichen autonomen Clustern“ (Hardt und Negri), so gelang die effektive Kommunikation zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen Berlin einerseits und Einsatzgruppen sowie Vernichtungslagern andererseits. Der „Exzess einer immer im Kommen gehaltenen Demokratie“ (Opitz und Matthies) war hier bereits realisiert.

Aller Rede vom ‚Rassenkern‘ – zu dem die Historiker, die von Foucaults Konzept der „Biopolitik“ beeinflusst sind, seit 30 Jahren so überaus massiv forschen und publizieren – zum Trotz war auch das ‚Deutsch-Sein‘ des nationalsozialistischen Projekts wie die Multitude eine „Instanz“, „die die Ordnung des Gemeinsamen regelt, ohne eine gemeinsame Instanz vorauszusetzen“ (Opitz und Matthies). Das Deutsch-Sein konstituierte sich erst in der Verfolgung. Was immer die Revolutionstheoretiker von heute sich als ‚wilde Theorie‘ ausdenken – die Deutsche Revolution hat es bereits vorweggenommen.

Titelbild

Thomas Atzert / Serhat Karakayali / Marianne Pieper / Vassilis Tsianos (Hg.): Empire und die biopolitische Wende. Die internationale Diskussion im Anschluss an Hardt und Negri.
Herausgegeben von Marianne Pieper, Thomas Atzert, Serhat Karakayali und Vassilis Tsianos.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
315 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3593375419
ISBN-13: 9783593375410

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Thomas Atzert / Jost Müller (Hg.): Immaterielle Arbeit und imperiale Souveränität. Analyse und Diskusion zu Empire.
Westfälisches Dampfboot Verlag, Münster 2004.
292 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3896915452
ISBN-13: 9783896915450

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