Meister der Gottlosigkeit

Peter D. G. Brown legt Oskar Panizzas „Liebeskonzil“ in einer neuen englischen Übersetzung vor und liefert dazu einen Anhang mit allen wichtigen Materialien zum Stück

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer im Glashaus sitzt, der möge doch bitte schön nicht mit Steinen werfen, meint der Volksmund. Ginge es nach ihm, hätten westliche KritikerInnen angesichts der mörderischen Reaktionen von AnhängerInnen des islamischen Glaubens auf die Mohamed-Karikaturen wohl zu schweigen. Denn es ist beispielsweise noch gar nicht so lange her, dass ausgerechnet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Verbot eines religionskritischen Filmes für rechtens erklärte, da es gelte „to protect the right of citizens not to be insulted in their relgious feelings by the expression of views of other persons“. Sollten Taliban oder ähnlich tyrannisch gesinnte religiöse Fanatiker je von dem Urteil erfahren, dürften sie wohl die Sektkorken knallen lassen – wenn ihnen das nicht ebenfalls als gottlos gelten würde.

Das Stück, auf dem die inkriminierte Verfilmung beruht, hat seinerseits schon eine rund 100-jährige Verfolgungs- und Verbotsgeschichte aufzuweisen: „Das Liebeskonzil“ von Oskar Panizza. Der Autor, dem selbst ein Leidensweg durch Gefängnisse und Psychiatrien aufgebürdet wurde, war zwar ein begnadeter Blasphemiker, aber darum noch lange nicht frei von jedem ethischen Makel. So konnten Schweizer Behörden etwa seinen Verkehr mit einer erst 15-jährigen Prostituierten nutzen, um ihn des Landes zu verweisen.

Sein Skandal-Stück allerdings wurde nicht nur ein ums andere Mal verboten, sondern bis heute auch immer wieder aufgelegt – und in fremde Sprachen übertragen. Eine neue Übersetzung ins Englische hat nun der renommierte Panizza-Forscher Peter D.G. Brown vorgelegt, der erst unlängst mit der Publikation der Faksimile-Ausgabe des Manuskripts zum Stück hervorgetreten ist. Ebenso wie diese Publikation ist auch seine Übersetzung in mehrfacher Hinsicht begrüßenswert. Zunächst einmal ist Orest Puccianis Übertragung aus dem Jahre 1973 bereits seit längerem vergriffen. Zudem lässt sich gegen die nun vorliegende Übertragung anders als gegen Puccianis nicht einwenden, dass sie selbst nicht auf dem Original, sondern auf einer französischen Übersetzung beruht, derjenigen von Jean Bréjoux von 1960. Mehr noch, Brown zog nun als erster Panizzas 1893 niedergeschriebenes Manuskript des Werkes heran.

Außerdem enthält der vorliegende Band mit Dokumenten und Informationen zu den zahlreichen Gerichtsverfahren, die gegen das „Liebeskonzil“ angestrengt wurden, seiner zeitgenössischen und der späteren Rezeption sowie der Aufführungshistorie das gesamte „key material“ zu dem Stück und ergänzend „extensive and updated material“ über seinen Autor.

Bleibt zu hoffen, dass der Band in England und vor allem den Vereinigten Staaten, einer, wie Brown nicht ohne ironischen Zungenschlag anmerkt, „relatively enlightend and advanced country“, zahlreiche LeserInnen finden möge.

Dass es dazu beitragen könnte, den fundamentalistischen Gottesglauben vieler US-AmerikanerInnen zu erschüttern, dürfte angesichts einer Umfrage von 1988, der zufolge 43 % von ihnen in Aids eine göttliche Strafe für gottlosen Lebenswandel sehen (woran sich bis heute wohl nicht viel geändert haben wird), jedoch wohl ein frommer Wunsch sein.

Titelbild

Peter D. G. Brown: Oskar Panizza and The Love Council. A History of the Scandalous Play on Stage and in Court, with the Complete Text in English and a Biography of the Author.
McFarland Publishers, Jefferson 2010.
286 Seiten, 43,22 EUR.
ISBN-13: 9780786442737

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