Benns Moderne

Eine Tagung am Deutschen Literaturarchiv gibt Auskunft über Benns Modernität

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Benns 50. Todesjahr 2006 war Anlass einer Reihe von Publikationen, von denen die Neuausgabe der „Statischen Gedichte“ nicht die unwichtigste war. Und auch die Literaturwissenschaft ehrt einen ihrer vornehmsten Autoren und Untersuchungsgegenstände mit intensiven Publikationsanstrengungen. Helmut Lethen und Gunnar Decker legten Benn-Biografien vor, eine Benn-Personalbibliografie wurde herausgebracht, zahlreiche Aufsätze, Monografien und Sammelbände belegen, dass Benn nicht nur als Autor anerkannt, sondern auch als wissenschaftlicher Gegenstand attraktiv ist.

Das zeigt nicht zuletzt auch der von Friederike Reents herausgegebene Band mit Vorträgen, die auf Einladung des Germanistischen Seminars der Universität Heidelberg und des Deutschen Literaturarchivs in Marbach gehalten worden waren. Namhafte Bennforscher waren hier gefragt, und zwar nach „Benns Modernität“, die sie auf den Prüfstand zu stellen hatten.

Nun kommen Literaturwissenschaftler solchen Aufträgen in der Regel nur sehr widerwillig nach, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass sie sich zumeist vorbehalten, sich mit genau dem zu beschäftigen, was sie als jeweils zentrales Thema gewählt haben. Insofern ist bei einem solchen Sammelband eine relativ ungebrochene Beschäftigung mit dem Hauptthema kaum zu erwarten, und wird im Band auch nicht geboten, was ein schneller Blick über die Beiträge und ihre Themen zeigt:

Holger Hof rekonstruiert den Briefwechsel Benns mit Astrid Claes, was als biografische Studie des alternden Dichters allemal durchgeht, Christan Schärf reflektiert den Fuge-Begriff bei Benn, Marcus Hahn, der sich mit dem Antidarwinismus Benns beschäftigt, ist immerhin zu konzedieren, dass er Benns Position zu einer der kulturellen Zentralfiguren modernen Denkens beschreibt, Thomas Wegmann folgt dem Bild des Parasiten bei Benn, das ihm naheliegend zur Zentralmetapher Benns wird (was vielleicht doch etwas zuviel des Guten ist), Wolfgang Emmerich eruiert die Tiefen und Untiefen des bacchantischen, mithin antirationalen Denkens Benns, was große Auswirkungen auf dessen Poetologie hat (der aus dem Rauschhaften heraus schreiben muss, statt zu montieren, was das Verfahren des späten Benn kennzeichnen könnte). Carsten Dutt beschreibt die Fassung des Exotismus am Beispiel des Gedichts „Ostafrika“ (was nicht zuletzt die Beliebigkeit und Intentionalität des Exotismus erkennbar macht, über Benn hinaus), Friederike Reents schließt Benns Dichterkonzept an den Existenzialismus an (wenngleich sie ihn dabei nicht eben klarer macht oder sagen wir: erklärt), Thomas Ehrsam zeichnet ein besonderes Strukturmerkmal Benns nach, die finale Struktur, mithin seine Neigung, in den frühen Gedichten vor allem seine Texte mit einem Perspektivwechsel oder dergleichen am Schluss besonders zu skandieren.

All das sind Themen oder Themenarten, die in der Literaturwissenschaft immer wieder behandelt werden – allerdings sind von ihnen nur teilweise Ergebnisse zu erwarten, die Aufschluss über die Ausgangsfrage geben können, Benns Modernität. Die Anschlussmöglichkeiten, die die Autoren bieten, gehen jedenfalls nicht immer über allgemeine Bekenntnisse hinaus.

Dabei helfen auch Reents Ausgangsbemerkungen nicht allzu weit, in denen sie dem Begriff der Modernität Ungenauigkeit einerseits, Systemhaftigkeit andererseits zuschreibt. Benns Antirationalismus ist jedenfalls mindestens genau so modern wie sein Bekenntnis zum Expressionismus respektive sein Versuch, den Expressionismus als deutsche Variante der Moderne im deutschen Faschismus zu zu verankern. Seine Techniken und seine Sujets sind modern, sein Archaismus und Essentialismus ebenso wie sein Hedonismus, der sich durch sein gesamtes Werk zieht. Benn ist zweifellos widersprüchlich und politisch in Teilen seiner Biografie nicht akzeptabel – aber modern? Was sonst?

Was nicht heißen soll, dass es nicht sinnvoll wäre, sich Benns Modernität anzunehmen, was ihn denn zu einem höchst modernen Autor macht. Dabei helfen noch am ehesten die Beiträge von Thomas Anz, Dirk von Petersdorff und Dieter Lamping.

Anz bettet Benns „Rede auf Marinetti“ im Jahr 1934 und sein Bekenntnis zum Expressionismus in die intensiven Diskussionen um Avantgarde und Moderne des beginnenden 20. Jahrhunderts ein. Dass diese Diskussion überhaupt geführt wurde, liegt nicht zuletzt an der relativen Offenheit auch des Nationalsozialismus in konzeptionellen Fragen, die in Sachen Kunst erst im Laufe des NS-Regimes geschlossen wurde. Die gegensätzlichen Positionierungen des „Modernisten“ Joseph Goebbels und des „Völkischen“ Alfred Rosenberg zeigen das.

Die Widersprüchlichkeit der Szenerie zeigt sich zudem darin (worauf Anz verweist), dass sich eben nicht nur die politische Rechte als modern attributierte, sondern dass sich auch die ästhetische Moderne gegen die zivilisatorische Moderne wandte. Kategorien wie Offenheit oder Geschlossenheit der Formen, Haltungen und Inhalte kommen den Widersprüchen allerdings sehr viel näher als die Modernekategorie. Benn habe versucht, so Anz, mit seinem Bekenntnis zum Expressionismus den faschistischen Modernebegriff mit dem ästhetischen zu verbinden. Was ihm – gottseidank – nicht gelungen ist.

In einem auf den ersten Blick ähnlichen Terrain bewegt sich Dieter Lamping, der Benns Beziehungen zur internationalen Moderne respektive Avantgarde herauszuarbeiten versucht und dabei auf Benns Vorliebe für Filippo Tommaso Marinetti und Wystan Hugh Auden zu sprechen kommt. Bei Marinetti attestiert er Wahlverwandtschaft, bei Auden eine Parallelerscheinung zu Benn. Allerdings bewegt sich Lamping dabei auf der ästhetischen Ebene, den Dichtungskonzepten und Haltungen der Autoren.

Auf Benns hedonistische Wendung in der Bundesrepublik kommt hingegen von Petersdorff zu sprechen. Die neue Offenheit, die Benns späte Texte kennzeichne, seine verdeckt „Moral“, der Benn in seinen Essays widerspreche, zeigen einen sich rasch verändernden und ins Offene vorstoßenden Autor, der sich, so von Petersdorff, der „unkontrollierten Fülle der Lebenserscheinungen hingibt“. Immerhin ein sympathischer Zug des Autors Benn, der zweifelsohne zu den Großen des 20. Jahrhunderts gehört (wenn auch anscheinend nur zu den Großen der Deutschen), und dessen Modernität man aus vielerlei und widersprüchlichen Gründen nicht suspendiert wissen will.

Titelbild

Friederike Reents (Hg.): Gottfried Benns Modernität.
Wallstein Verlag, Göttingen 2007.
220 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783835301511

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