„Dandyism’s not Dead“

Ein von Alexandra Tacke und Björn Weyand herausgegebener Sammelband verfolgt die Spuren depressiver Dandys bis in die Pop-Moderne

Von Jochen StrobelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jochen Strobel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Anfang war „Tristesse royale“: Das Performance- und Buchprojekt fünfer junger Autoren, unter ihnen Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht, gestartet im Jahr 1999, gilt den Herausgebern als trendsetzendes Ereignis der jüngeren Literaturgeschichte, als Beweis für die Auferstehung des Dandys in der Pop-Moderne. Die exemplarischen Protagonisten eines Dandytums der Gegenwart dürfen für die ursprünglich auf Moritz Baßler zurückgehende These herhalten, es gebe Korrespondenzen zwischen Dandytum und Décadence der Klassischen Moderne sowie einer zeitgenössischen Popliteratur, die unter anderem im Zeichen eines „Archivismus“ mehr bieten wollte als seichte Unterhaltung.

Das Listenwesen der Popliteraten erinnert Heinz Drügh an die Autonomisierung der Lexeme in der Lyrik der Moderne. Niels Werber sieht im besagten Archivismus der Jüngeren die ästhetische Konsequenz eines Ennui, der aus dem Mangel an Neuem resultiert, aus dem Zwang, lediglich das Altbekannte zu ‚verwalten‘ – ein Listenwesen dieser Art pflegte schon einer der bekanntesten Dandys des 19. Jahrhunderts, Joris-Karl Huysmans’ Romanfigur des Esseintes. Es mag sich dabei um die Pop-Version eines postmodernen ‚Endes der Geschichte‘ handeln.

Schon erhebt sich aber das Problem, was denn nun Dandyismus eigentlich sei, vor allem: ob es dieses Phänomen in unserer Gegenwart überhaupt noch geben könne. Ja – behaupten die Herausgeber und mit ihnen die 13 Beiträger des Bandes und durchforsten den Literatur- und Medienbetrieb der Gegenwart nach depressiven Dandys. Dabei müssen sie sich der Frage stellen, wie populäre Massenkultur und demonstrativer Individualismus zusammengehen.

Wenn einer der Ur-Dandys, Jules Barbey d’Aurevilly, behauptet hat, Dandyismus sei „eine ganz aus Nuancen bestehende Art zu sein“, dann fragt es sich, welche Nuancen, welche Abweichungen von gängigen sozialen Normierungen hinreichende Bedeutungsmerkmale darstellten. Isabelle Stauffer weist darauf hin, dass auch und gerade die Autoren der Gegenwart Markenartikel sind und somit – ganz anders als ihre ‚Vorfahren‘ – ökonomischen Zwängen folgen. Wären also diese Autoren statt Dandys zu sein lediglich Dandy-Darsteller für die dekadenzlüsternen Leser, die immer schon mit einem Auge auf die Berichterstattung der Boulevard-Blätter geschielt hatten? Tatsächlich wiederholt sich ein aristokratisches Prinzip des modernen Literaturbetriebs. Kunst und Künstler geben sich exklusiv, um zugleich ein in der Regel doch möglichst großes Publikum anzusprechen.

Aufschlussreich ist Günter Erbes einleitender Aufsatz, der die Herkunft des Dandys aus der Adelskultur verfolgt, deren Randfigur er zunächst war. Der Dandy des 19. Jahrhunderts war demnach ein Typus der Verwandlung und Metaphorisierung der aristokratischen Semantik, der Ablösung der Bedeutungsmerkmale vom alten Bedeutungskern einer sozialen Schicht, die längst in die Kritik geraten war. Schon der allererste Dandy Beau Brummell war ein Bürger, dessen aristokratische Allüren ihn hoffähig machten – ein durchaus nachrevolutionäres Phänomen. Selbstinszenierung, Lust an der Mode und an Eleganz – das alles macht den Dandy von Anfang an aus.

Es ist zudem keineswegs ausgemacht, dass der Dandy ein überzeitlicher Typus sein kann. Mit Hiltrud Gnüg sah die bisherige Dandy-Forschung ihn als historisch und literatursoziologisch fest umrissen, beschränkt auf das 19. Jahrhundert – ein aristokratischer Typus in einer bürgerlichen Welt. Der Band nun bietet einen aktualisierten Dandy oder vielmehr mehrere Dandy-Begriffe an. Alexandra Pontzen etwa geht in ihrem anspruchsvollen, Rainald Goetz gewidmeten Beitrag davon aus, dass Dandyismus und Pop zwei distinkte Konzepte mit Berührungspunkten seien, und sie verknüpft ihre Beobachtungen mit einer Gender-Perspektive. Die Gemeinsamkeiten lägen „in der Funktion des Ästhetischen für die Außendarstellung und Selbstverständigung der (virtuellen) männlichen Community“. Das Rollenmodell, das den Dandy und den Popliteraten verbindet, ist das der „Coolness“, ein Ideal der Affektkontrolle, das zugleich spezifisch männlich ist. Coolness, so könnte man tatsächlich behaupten, ist eine Spätform des weltmännischen Verhaltens, eines schon in der Frühen Neuzeit aus der Adelskultur in den bürgerlichen Verhaltenskodex einsickernden Ideals.

Herbeireden kann man den Dandy aber auch dann, wenn man ihn mit Dekadenz-Diagnosen verbindet, wenn man Popliteratur als „Spiel mit tradierten Formen und Verfahren der Dekadenz“ definiert. Gegenwartstauglich ist auch Susan Sontags benachbarter kulturkritischer „Camp“-Begriff. Der Band versammelt Indizienbeweise, er möchte einen Trend in der Kultur der Gegenwart nachweisen.

Die Lichtgestalt des Bandes ist Christian Kracht, desssen Texte und dessen öffentliche Rollen immer wieder verhandelt werden. Zumal „Tristesse royale“ wird zum Epizentrum eines neuen Dandyismus erklärt (der nach 2000 aber eher implodiert als explodiert ist).

Die Depression kommt dabei als ästhetische Antriebskraft in Betracht. Damit wird die alte These vom Konnex zwischen Ingenium und Melancholie aufgegriffen und gegenwartstauglich gemacht. Doch einige Beiträge entfernen sich unversehens vom Thema – gewiss geht es immer irgendwie um Popliteratur, doch wieso sollte der Held von Bret Easton Ellis’ Roman „American Psycho“ ein depressiver Dandy sein? Der Leser wird den Eindruck nicht los, dass der Band sein durchaus beachtliches Kapital aus einer mitunter ein wenig vage bleibenden Zuschreibung schlägt, die zudem um den Preis erkauft wird, dass aus Beweisnot in den einzelnen Beiträgen die Unterscheidung zwischen Textwelten und Leben immer wieder unterlaufen wird. Die wahren Dandys fänden diese Grenzüberschreitung wohl gut.

Lebt also der Dandy? Das auf Seite 155 abgebildete T-Shirt, auf dem unter Oscar Wildes Konterfei die Aufschrift „Dandyism’s not Dead“ prangt – der Bezug auf das längst abgedroschene „Punk’s not Dead“ ist evident –, kann nicht vollends überzeugen. Wilde würde sich ob des Kleidungsstücks im Grabe umdrehen. Ein spielerisch-zitathaftes Interesse an der Kultur des Dandys jedoch (und damit auch an Versatzstücken eines Verbürgerlichungsphänomens aristokratischer Kultur) ist aus der Gegenwart nicht wegzudenken. Auch wenn die Popliteratur der vergangenen Jahrtausendwende ihren Zenit überschritten haben dürfte, erfüllt doch der vorliegende Band mit seinen lesenswerten und auch gut lesbaren Beiträgen seine Funktion einer Historisierung dieses Phänomens einer ganz besonderen „Neo-Dekadenz“.

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Alexandra Tacke / Björn Weyand (Hg.): Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne.
Böhlau Verlag, Köln 2009.
256 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783412202798

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