Eine echte Räuberpistole

Über Peter Høegs Roman „Die Kinder der Elefantenhüter“

Von Volker HeigenmooserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Heigenmooser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer den Namen Peter Høeg liest, denkt wohl sofort an seinen Erfolgsroman „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ aus dem Jahr 1994. Der dänische Autor hatte einen Kriminalroman vorgelegt, der in dieser Form neu war. Neu vor allem deshalb, weil er hart an der Grenze zur Realität entlangschrammte und durchaus in mystische Regionen vordrang. Mit seinem Internatsroman „Der Plan von der Abschaffung des Dunkels“ folgte 1995 ein Buch, in dem es nicht nur um pubertäre Liebesgeschichten geht, sondern auch darum, „daß Zeit nur vergeht, wenn man unaufmerksam ist.“ 1997 folgte der Roman „Die Frau und der Affe“, ein rasantes Buch, das das Verhältnis der Menschen zur Tierwelt und Intelligenz zum Thema hat. Nach langer Pause kam vor drei Jahren „Das stille Mädchen“ heraus, eine arg esoterische und verstiegene Geschichte. Nun gibt es einen neuen Roman von Høeg, „Die Kinder der Elefantenhüter“.

Høeg hatte in seinen früheren Roman den erkennbaren Drang, Grundsätzliches zu transportieren wie etwa die Bedeutung der Zeit oder der Transzendenz und anderer religiöser Fragen. Dass da manches im Stil von Kalenderblattweisheiten vergangener Tage daherkam, machte aber nichts, weil es der dänische Autor verstand, spannend und unterhaltend zu schreiben. Außerdem ist es nicht schlimm, wenn jemand in einer Gesellschaft, in der vor allem Leistung und Geld zählen, moralisiert. Diesmal, im Roman „Die Kinder der Elefantenhüter“, sind jedoch die moralischen Zutaten auf ganz kleine Prisen reduziert. Der Ich-Erzähler ist in diesem Roman ein 14jähriger fußballbegeisterter Junge, Stürmer bei den „Finø AllStars“. Ein cleveres Kerlchen, das mit schöner Süffisanz eine Geschichte erzählt, die er immer wieder hübsch überdreht. Peter Finø, so der Name des Erzählers, lebt mit seiner zwei Jahre älteren, sehr altklugen Schwester Tilte auf der Insel Finø im Kattegat. Ihr älterer Bruder Hans studiert in Kopenhagen. Der Vater der Geschwister ist Pastor, die Mutter Organistin und Elektronikbastlerin mit Hang zu geradezu fantastischen stimmerkennenden Mechanismen. Vater und Mutter sind plötzlich verschwunden. Weil Peter und Tilte annehmen, dass da etwas nicht stimmt, begeben sie sich auf die Suche nach ihren Eltern. Daran sollen sie jedoch gehindert werden, durch Amtspersonen wie die Gemeindedirektorin Bodil Fisker, genannt Bodil Nilpferd, die Bischöfin Anaflabia Borderrud und den Psychiater am Neuen Amtskrankenhaus Arhus, Professor Thorkild Thorlacius-Drøbert. Diese tumben Vertreter der Obrigkeit scheinen etwas über die Eltern zu wissen, was sie veranlasst, die Kinder zu trennen und in einer geschlossenen Anstalt unterbringen zu wollen. Was die sich nicht gefallen lassen, sondern sich mit allerlei Tricks den behördlichen Nachstellungen entziehen. Denn bald kommen die Kinder darauf, dass die Eltern, die in der Vergangenheit mit religiösem Budenzauber so erfolgreich waren, im Maserati über die kleine Insel brausen konnten, einen neuen Coup planen. Und zwar ist auf dem Schloss eines exzentrischen Grafen eine Art Weltsynode aller Weltreligionen geplant, bei der auch allerlei einmalige Reliquien und Kostbarkeiten ausgestellt werden sollen. Peter und Tilte sind überzeugt, dass ihre Eltern es auf diese Kostbarkeiten abgesehen haben. Allerdings auf eine etwas vertrackte Art. Da Pastorvater und Organistinmutter – Peter und Tilte finden das so nach und nach heraus – davon Wind bekommen haben, dass Terroristen den Schatz zerstören wollen, haben sie einen Plan entwickelt, wie sie den Schatz retten, verstecken und ihn dann finden können. Das Ziel dieses schrägen Plans: einen Finderlohn in Millionenhöhe kassieren. Geht der Plan am Schluss auf? Das wird hier natürlich nicht verraten. Nur soviel: Die Terroristen sind fundamentalistische religiöse Fanatiker unterschiedlicher Herkunft und Religionen. Außerdem gibt es einen Polizeichef, der zum Frühstück die Monatsration eines normal Sterblichen vertilgt, es gibt eine Leiche, die immer zum richtigen Moment in der immer dazu passenden Verkleidung auftaucht, es gibt einen finsteren Reeder und Waffenschieber mit seinen Bodyguards, eine Puffmutter, die als Pallas Athene auftritt, es gibt Verfolgungsfahrten und was derlei Skurrilitäten mehr sind: Dieses Buch ist eine echte Räuberpistole, und darüber hinaus eine Persiflage auf allerlei Actionfilme, nur schöner, weil es ein Buch ist. Außerdem macht sich Høeg über Fundamentalismus jeglicher Spielart lustig. Was mir der einzig richtige Umgang mit dieser Seuche unseres unübersichtlichen Zeitalters zu sein scheint. Dass der Übersetzer Peter Urban-Halle für dieses fidele Buch den richtigen flapsigen Ton gefunden hat, ist ein Glück für alle deutschsprachigen Leser, die des Dänischen nicht mächtig sind. So kann man die fröhliche Lust am Erzählen und Fabulieren auch hierzulande genießen. Und zwar deshalb, weil immer wieder die Gefilde der Realität und Wahrscheinlichkeit verlassen werden, und die Fantasie mit dem Erzähler durchgeht, der viel Spaß an Pointen hat und selbst keinen Sparwitz auslässt. „Die Kinder der Elefantenhüter“ ist pure Unterhaltung, diesmal nahezu ohne Belehrung, nur ordentlich gemachter Spaß. Aber was heißt da „nur“!

Titelbild

Peter Høeg: Die Kinder der Elefantenhüter. Roman.
Übersetzt aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle.
Carl Hanser Verlag, München 2010.
482 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-13: 9783446235526

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