Männliche Gefühle und gefühlte Männlichkeiten

Manuel Borutta und Nina Verheyen geben einen Sammelband über Männlichkeit und Emotion in der Moderne heraus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieser Tage wird in den Feuilletons des 150. Todestages eines Mannes gedacht, der vom festen Willen beseelt war, mit der liebsten Vorstellung der zumindest seinerzeit im universitären Elfenbeinturm residierenden Philosophie aufzuräumen, die da besagte, bei dem Menschen handele es sich ganz wesentlich um ein Vernunftwesen. Schopenhauer, von dem die Rede ist, galt die Vernunft hingegen als bloßer Wasserträger des Willens, dessen Zentrum dem Meisterpessimisten und Extremmisogyn zufolge wiederum in den Genitalien saß.

Angesichts dieser so radikalen Vorstellung nimmt sich die heute gängige Erkenntnis geradezu moderat aus, dass die Vernunft nie rein sei, sondern immer schon von Gefühlen durchdrungen. Selbst so fragwürdige Topoi wie der von der emotionalen Intelligenz werden seit einigen Jahren weithin akzeptiert und die ihnen zugrundeliegende Auffassung geteilt.

Vielen Größen der Philosophiegeschichte galten Vernunft und Emotionalität jedoch nicht nur als zwei getrennte oder zumindest strikt von einander zu trennende Bereiche, sie waren ihnen zudem geschlechtlich konnotiert. Das Gefühl weiblich, die Vernunft männlich. Immerhin glaubte nicht jeder große Geist, bei Frauen handele es sich um ganz und gar vernunftlose Wesen. So sind etwa von Kant Sentenzen überliefert, die besagen, das „schöne Geschlecht“, habe „ebenso wohl Verstand als das männliche“. Allerdings, so schränkte der Transzendentalphilosoph und Pflichtethiker ein, sei es bloß „ein schöner Verstand“, dem an so manchem mangele. So wie Kant Frauen zugestand, durchaus eine gewisse Form der Vernunft zu besitzen, stellte er umgekehrt auch nicht in Abrede, dass Männer Gefühle haben. Doch ähnlich wie die Vernunft sind auch diese Kant zufolge geschlechtsspezifisch zu unterscheiden. Und zwar nicht nur als Gesamtheit, sondern jedes einzelne Gefühl. So haben bestimmte Emotionen bei den Geschlechtern je unterschiedliche Ursachen, sie äußern sich verschieden und sie sind geschlechtsspezifisch unterschiedlich konnotiert. Widerspricht der Zorn beispielsweise den Gesichtszügen einer Frau, so steht er Männern gut zu Gesicht. Männer werde aus guten Gründen eifersüchtig, Frauen hingegen völlig sinnlos. Auch weinen Männer ebenso wie Frauen, wenn auch nicht so häufig – und überhaupt sind es nur die „weibischen“ Männer, die gelegentlich weinen.

Nicht nur der Königsberger Aufklärer des 18. Jahrhunderts fragte nach den Spezifika männlicher Gefühle, auch in den heutigen postpostmodernen Zeiten stehen sie auf der Tagesordnung. So brachten Manuel Borutta und Nina Verheyen jüngst einen Sammelband heraus, der „Männlichkeit und Emotion in der Moderne“ nachgeht. Er fußt auf einer vom „Arbeitskreis Geschichte + Theorie“ zusammen mit dem „Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung“ organisierten Tagung, die im Herbst 2007 stattfand. Dem unter dem Titel „Die Präsenz der Gefühle“ erschienene Band liegt allerdings nicht die literatur- und kulturwissenschaftliche Vorstellung der Moderne zugrunde, die diese Epoche mit dem fin de siecle beginnen lässt, sondern die philosophische, die den Beginn der Moderne rund ein Jahrhundert zuvor auf die Zeit datiert, als der alte Kant sich noch über seinen ungetreuen Diener Lampe ärgerte.

Der Herr, nicht der Diener findet denn auch in Catherine Newmarks Aufsatz Erwähnung, in dem die Philosophin die Frage erörtert, wie sich ihre Zunft „von der frühneuzeitlichen Moralphilosophie bis zum bürgerlichen Zeitalter“ das Verhältnis von „männlicher[r] Rationalität und Emotionalität“ dachte. Auch in ihrem Beitrag klingt das den gesamten Band betreffende Anliegen der Herausgeberinnen an, das „gleichermaßen widersprüchliche wie einseitige Bild einer defizitären und pathologischen maskulinen Emotionalität“ zu „erweitern“ und zu „verändern“. Dabei nimmt das Buch insgesamt eine „gemäßigt sozialkonstruktivistische Position ein“, die „Gefühle als Praxis“ versteht, welche „Emotionen auf performative Weise herstellt und modelliert“, wie das HerausgeberInnenduo formuliert.

Borutta und Verheyen selbst erörtern in ihrem gemeinsamen Beitrag die „genuin historische Frage nach dem Wandel der Beziehung von Emotion und Männlichkeit“ und ergänzen sie durch eine „möglichst differenzierte Beschreibung emotionalen Handelns und Ausdrucks in den pluralen, synchronen Praxisfeldern von Männern“, indem sie danach fragen, wie Emotion und Männlichkeit jeweils definiert und wie Gefühle von Männern praktisch hergestellt, gezeigt und kultiviert wurden. Außerdem gehen sie der „emotionalen Motivation männlichen Handelns“ nach. Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses der Analyse steht hierbei das „ständige Nebeneinander konkurrierender Ansprüche in verschiedenen sozialen Gruppen und Handlungskontexten“.

Dem Text der HerausgeberInnen folgen unter der Rubrik „Disziplinäre Perspektiven“ der bereits genannte Beitrag von Newmark sowie ein Aufsatz von Andreas Reckwitz „zur historischen Kultursoziologie männlicher Subjektformen und ihrer Affektivität vom Zeitalter der Empfindsamkeit bis zur Postmoderne“. Der Autor entwickelt ein vierstufiges Modell „der Transformation[en] hegemonialer Affektivität in der Moderne“: die „,empfindsame‘ Bürgerlichkeit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts“, die „geschlechtsdualistische Bürgerlichkeit des 19. Jahrhunderts“, die „kulturell von den USA dominierte ,organisierte Moderne‘ der ersten zwei Drittel des 20. Jahrhunderts“ sowie schließlich die „Postmoderne seit den 1970er-Jahren“.

Den drei „disziplinären Perspektiven“ der ersten Rubrik schließen sich die „historische Analysen“ des zweiten, mit zehn Texten ungleich umfangreicheren Teils an. Stefan-Ludwig Hoffmann geht hier „bürgerliche[n] Gefühlspraktiken im 19. Jahrhundert“ anhand der „Freundschaft als Passion“ nach und Daniel Morat beleuchtet „Weimarer Verhaltenslehren im Spannungsfeld von Emotionen- und Geschlechtergeschichte“. Widmet sich mit Sylka Scholz’ Untersuchung zur „Männlichkeit und Emotionalität in der DDR“ einer der Beiträge den Befindlichkeiten von Männern unter der SED-Herrschaft, so befassen sich gleich zwei mit deren Geschlechtsgenossen in der alten BRD. Benno Gammerl geht „Homosexualität und emotionale[n] Männlichkeiten zwischen 1960 und 1990 in Westdeutschland“ nach und Pascal Eitler nimmt „Emotion und Religion in der Bundesrepublik Deutschland 1970-1990“ in den Blick. Ein von Ute Frevert gezeichneter historischer Abriss „gefühlvolle[r] Männlichkeit beschließt den Band.

Titelbild

Manuel Borutta / Nina Verheyen (Hg.): Die Präsenz der Gefühle - Männlichkeit und Emotion in der Moderne. Männlichkeit und Emotion in der Moderne.
Transcript Verlag, Bielefeld 2010.
336 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783899429725

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