Berliner Untergrund

D. B. Blettenbergs „Berlin Fidschitown“ lebt von den Einblicken in die Berliner Bunker- und Schachtanlagen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kriminalromane, die mit internationalen, ja globalen Sujets arbeiten, haben den Vorteil, dass sie ihre Leser in schöne, bunte Gegenden mit fremden Menschen führen, die so gar nichts mit der Banalität des eigenen Alltags zu tun haben. Dabei bräuchte man nur den Blick auf die Exotik der eigenen Nachbarschaft zu richten. So tut es immer wieder gut, wenn ein Fremder das für einen übernimmt, der in die eigenen Lande kommt und einem zeigt, wie skurril diese in Wirklichkeit sind.

Nun hat das neue Berlin seit einigen Jahren kaum das Problem, als banal oder öde wahrgenommen zu werden. Seitdem die DDR aufgehört hat zu existieren, ist der Stadtstaat im Nordosten der Bundesrepublik eines der internationalen Modernisierungszentren. Berlin gehört zu den Orten, an denen immer etwas los ist, tagsüber und nachts, oberhalb des Asphalts und unterhalb.

Dass es weitläufige Anlagen im märkischen Sand gibt, die so etwas wie ein Schattenbild der Hauptstadt bilden, ist seit längerer Zeit bekannt. Die aufgegebenen oder nie zuende gebauten U-Bahn-Tunnel, Bunker und Schächte sind mittlerweile auch touristisch einigermaßen erschlossen. Da steht der literarischen Verarbeitung nichts mehr entgegen. Und so platziert Blettenberg in seinem erstmals 2003 erschienenen Krimi ganze Banden und Bandenkriege in den Berliner Untergrund. Das ist eine hübsche Idee und lässt Raum für vielfältige Inszenierungen, bei denen viel gerannt, viel geschossen und heftig gestorben wird.

Dabei verbindet Blettenberg zwei grundsätzliche Inszenierungen, die Berliner Bandenkämpfe mit einem exotischen Hauptakteur. Zwei vietnamesische Banden stehen sich verfeindet gegenüber, chinesische Banden machen ihnen Konkurrenz und russische Gangsterrunden stehen am Horizont bereit, um auch dieses Geschäft zu übernehmen. Ein lange Zeit in Thailand aktiver deutscher Gangster will mit einer vietnamesischen Gang fusionieren, weil er sein Geschäft nicht mehr allein aufrecht erhalten kann.

Diese deutsche Rotlicht-Größe, Gustav Torn, ist das verbindende Element zum Erzählstrang, der in Bangkok beginnt. Der private Ermittler und Killer Surasak „Farang“ Meier erhält den Auftrag, von diesem Herrn Torn einen beträchtlichen Betrag einzutreiben, den er einem seiner alten Partner schuldet. Klagen in diesem Milieu werden nun recht drastisch und ohne größeren Aufhebens eingereicht. Farang, der einen deutschen Vater und eine thailändische Mutter hat, soll jedenfalls einfach nach Berlin reisen, um dort Torn aufzusuchen und ihm das Geld abzunehmen.

Das ist soweit kein grundsätzliches Problem, spricht Farang doch ganz gut deutsch und kommt auch sonst einigermaßen zurecht. Es gibt Bekannte aus Thailand, es gibt Kontakte, die man nutzen kann, und es gibt eine große asiatische Exilgemeinde in Berlin, die das gröbste Heimweh verhindert, auch wenn man sich ihren Mordattacken erwehren muss. Worauf er freilich nicht eingestellt ist, ist der deutsche Winter, der sich im Romangeschehen in etwa auf dem Niveau des Winters 2009/2010 bewegt – wir erinnern uns.

Sind Temperaturen weit im Minusbereich, ein zugefrorener Wannsee und Schneewehen auf allen Berliner Straßen doch auch schon für die Einheimischen ein mittelschweres Hindernis, dem sie aber souverän begegnen, wie die wiederholten Kneipenszenen zeigen. Für die an die tropische Dauerwärme gewöhnten Thailänder fühlt sich dieser Winter jedoch an wie ein Tiefgefrierer im Großformat, in jedem Fall wie eine Gegend, die man besser nur mit geeigneter Expeditionsausrüstung und auch nur für kurze Zeit aufsucht.

Blettenberg fügt der Szenerie noch ein paar Zutaten hinzu, die die angewandte Berliner Untergrund-Exotik weiter aufwerten. So hat die Gang, die sich das Zielobjekt von Farangs Begierde unter den Nagel gerissen hat, den Berliner Stadtplan mit dem von Saigon kontaminiert. Dabei kommen nicht nur Codenamen für Treffpunkte und Schlachtfelder heraus. Chiffren entziffern ist vielleicht ein hübsches Hobby, aber ändert nichts an der Profanität dessen, was entziffert werden muss. Blettenberg treibt sein Spiel immerhin so weit, dass das Untergrund-Berlin sich auch im Erscheinungsbild mehr und mehr der Folie annähert, die ihm unterlegt wird – und das trotzt der Kälte.

Farangs Berliner Suche wird zudem vor dem Hintergrund der Geschichte des Vietnamkriegs geführt, der sogar eine Reihe von Figuren entspringen: Kämpfer, die in den Höhlen vor Saigon aufeinander Jagd gemacht haben und jetzt nicht viel mehr tun als ihr gewohntes Leben weiter zu führen. Und das besteht nun einmal darin, Territorien zu verteidigen oder auszuweiten und sich seiner Feinde zu entledigen. Allerdings nähert sich Blettenbergs Roman dabei gelegentlich dem Slaptstick, was man ihm aber gern nachsieht.

Titelbild

D. B. Blettenberg: Berlin Fidschitown.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2010.
366 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783865322043

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