Streit um die Don Juan-Figur

Hanns-Josef Ortheils Roman "Die Nacht des Don Juan"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Roman über Mozart und das Entstehen seiner Oper "Don Giovanni" ist ein gleichermaßen reizvolles wie gewagtes Projekt. Doch wem anders als Hanns-Josef Ortheil würde man zutrauen, ein solch ambitioniertes und anspruchsvolles Werk zu verfassen. Ortheil, der längst zur ersten Garnitur der zeitgenössischen deutschsprachigen Romanciers zählt, hat sich nämlich auch als Musikexperte längst einen Namen gemacht. 1982 erschien im S. Fischer Verlag sein Mozart-Essay "Im Inneren seiner Sprache", 1991 ein darauf basierendes Hörspiel, 1987 schrieb er das Libretto zu der in Nürnberg uraufgeführten Oper "Sturmnacht", und unlängst glänzte der Autor mit einem intelligenten Essay zum Bach-Jubiläum.

Drei große, ähnlich konstruierte, auf den Spuren der Kunstgeschichte wandelnde Romane ("Faustinas Küsse" ; "Im Licht der Lagune") mit einem kapitalen Gesamtumfang von mehr als 1000 Seiten hat der 49-jährige nun binnen zwei Jahren vorgelegt. Skepsis würde man angesichts dieses gigantischen literarischen "Outputs" den meisten Autoren entgegen bringen; bei Ortheil gerät man ob der gleichbleibend hohen künstlerischen Qualität ins Staunen und zollt aufrichtige Bewunderung.

Er erzählt eine um drei männliche Protagonisten und diverse weibliche Figuren kreisende Geschichte, die im Prag des ausgehenden 18. Jahrhunderts angesiedelt ist. Mozart arbeitet an seiner Oper "Don Giovanni" und kommt nur schleppend voran. Die Sorge um seine kranke Frau und die vielen Verehrerinnen lassen die Kreativität des Genies hin und wieder versiegen. Außerdem ist Mozart mit seinem Librettisten Lorenzo da Ponte unzufrieden. Er wirft ihm vor zu wenig Sinnlichkeit zu haben. Plötzlich wird aus dem ungleichen künstlerischen Duell sogar ein "Dreikampf". Der Venezianer Giacomo Casanova taucht auf Einladung des Grafen Prascha auf und inszeniert ein ausgeklügeltes Intrigenspiel. Die Prager Damenwelt liegt ihm ob seiner guten Manieren und seines großen (manchmal nur vorgetäuschten) Kunstverstandes sogleich zu Füßen. Außerdem gelingt es Casanova im Handumdrehen, Mozarts Gunst zu gewinnen und ihn gegen da Ponte aufzuhetzen: "Die Musik ist beredt, die Musik spielt aus dem Herzen, so außergewöhnlich, daß der Text beinahe stört."

Casanova gewinnt immer stärkeren Einfluss auf Mozart und die Gestaltung der Opernfigur Don Juan. "Die Oper steht und fällt mit der Figur des Don Juan. Sie ist leblos, eine Attrappe", wettert Casanova gegen da Pontes Libretto. Die Abneigung gegen seinen venezianischen Landsmann reicht jedoch über den künstlerischen Bereich hinaus: "Ich verabscheue ihn, es gibt kaum einen Menschen, den ich mehr verabscheue", erklärt Casanova über da Ponte, dessen Platz er liebend gern einnehmen möchte.

Die Figur des gleichermaßen liebenswerten wie egoistischen Intriganten Casanova, des exaltierten Genießers liegt Hanns-Josef Ortheil offenkundig besonders am Herzen. Kommen da Ponte und auch Mozart etwas steif und engstirnig auf ihre Kunstwelt fixiert daher, so erleben wir Casanova als lebenslustigen Feingeist, als eloquenten Schmeichler, als ausgewiesenen Experten der feinen Küche und rundherum gebildeten Zeitgenossen.

In diesem Roman geht es wie in den durchaus vergleichbaren Roman-Biographien von Peter Härtling und Dieter Kühn nicht um historische Authentizität. Es wird mit viel Feingefühl ein historisches Ambiente evoziert und ein fantasievolles Spiel mit biographischen Möglichkeiten betrieben.

Vor allem die Menschenbilder sind Ortheil hervorragend gelungen. Nicht nur die drei so unterschiedlichen männlichen Protagonisten, sondern auch die diversen weiblichen Figuren, die sich in deren Dunstkreis tummeln. Von Eifersucht besessen kämpfen die Prager Sängerinnen untereinander um die glanzvolleren Arien; eine alternde betagte Diva stellt Mozart ihren Landsitz zur Verfügung und erhofft sich dadurch nicht nur eine kleine Rolle in dessen Oper; die junge Gräfin Prascha wird von obsessiven Tag- und Nachtträumen heimgesucht, in denen ihr unbekannte Männer vehement zu Leibe rücken; und ihre ergebene "Dienerin" Johanna wehrt sich standhaft gegen da Pontes plumpe Annäherungsversuche. Eigentlich - zumindest zwischen den Zeilen suggeriert es Ortheil - kreist das Denken, Fühlen und Handeln der Damenwelt nur um den lebenslustigen Casanova, dessen Credo Mozart treffend auf den Punkt bringt: "Signor Giacomo wußte genau, wie Don Juan zu feiern verstand." Dem ist nichts hinzuzufügen.

Am Ende ist die Oper fertig gestellt, erlebt eine glanzvolle Uraufführung, und Mozart kehrt mit seiner Ehefrau nach Wien zurück. Casanova sitzt derweil an den Aufzeichnungen seines bewegten Lebens, das er selbst für den besten Opernstoff hält.

Titelbild

Hanns-Josef Ortheil: Die Nacht des Don Juan. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2000.
384 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-10: 3630870740

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